Solar Impulse:Das fliegende Nichts

Lautlos und ohne jegliche Emissionen: Die durch Sonnenergie angetriebene "Solar Impulse" ist der Star der Luftfahrtmesse in Paris-Le Bourget.

Andreas Spaeth

Der Flughafen Le Bourget bei Paris hat schon einige historische Landungen erlebt - darunter eine der bedeutendsten der Luftfahrtgeschichte. Am 21. Mai 1927 setzte Charles Lindbergh mit der einmotorigen Spirit of St. Louis nach dem ersten Alleinflug über den Atlantik in Le Bourget auf. Er kam aus New York und hatte für die 5808 Kilometer genau 33 Stunden und 30 Minuten in der Luft verbracht.

Mobiles Leben

Der Flügel der Solar Impulse hat mit 63 Metern die Spannweite eines Airbus A340.

Am vergangenen Dienstagabend wurde erneut ein Rekordflieger begrüßt: Das nur von Solarenergie angetriebene schweizerische Flugzeug Solar Impulse landete vollkommen lautlos und ohne jegliche Emissionen nach genau 16 Stunden und fünf Minuten Flug. Pilot André Borschberg war am frühen Morgen in Brüssel zum zweiten Flugabschnitt mit diesem weltweit einmaligen Versuchsfluggerät gestartet, nachdem am 13. Mai die erste Etappe vom Heimatflughafen Payerne in der Westschweiz in die belgische Hauptstadt in zwölf Stunden und 59 Minuten absolviert worden war.

Höchst komplexes Gebilde

Am Pfingstsamstag dann musste ein erster Versuch, nach Paris weiter zu fliegen, wegen schlechten Wetters auf halber Strecke abgebrochen werden - die Solar Impulse kehrte nach Brüssel zurück. Konstrukteur Bertrand Piccard erklärte danach: "Die Erfolge der ersten Flüge haben zu dem falschen Eindruck geführt, dass die Dinge einfach sind."

Denn Solar Impulse ist ein höchst komplexes Gebilde - das Flugzeug hat die Spannweite eines Airbus A340, das Gewicht eines Familienautos und die Kraft eines Motorrollers. Die wegen notwendiger Umwege 672 Kilometer lange Strecke von Brüssel nach Paris bewältigte es schließlich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von gut 41 km/h. In Paris ist das Solarflugzeug einer der Publikumsmagnete auf der Luftfahrtschau, die an diesem Montag in Le Bourget beginnt. Auch deshalb, weil geplant ist, mit Solar Impulse die Welt 2013/2014 in fünf Etappen zu umrunden.

Pioniertaten gehören seit Generationen zur Familiengeschichte der Piccards. Auguste Piccard stieg 1932 mit einem Gasballon auf 23.000 Meter - Höhenweltrekord. Zusammen mit seinem Sohn Jacques Piccard gelang ihm dann 1960 mit dem sogenannten Batyscaph Trieste der Tiefenrekord im Marianengraben, in den er 10.916 Meter abtauchte.

Auf jedes überflüssige Gramm verzichtet

Heute hat es längst Bertrand Piccard, Jacques' Sohn, übernommen, die Rekordgeschichte der Familie fortzuschreiben. Und er hat seinen eigenen Platz in den Geschichtsbüchern bereits sicher: Der 52-jährige Abenteurer umrundete 1999 als erster Mensch in einem Ballon nonstop die Erde. Damals führte Treibstoffknappheit fast zum vorzeitigen Abbruch der Mission. Piccard verkündete nach diesem Erfolg, ein zweites Mal den Globus umrunden zu wollen, aber dann ohne jeden Treibstoff. "Die großen Heldentaten des 20. Jahrhunderts waren Eroberungen - die beiden Pole, der Mount Everest, die Tiefen der Ozeane, der Mond. Die Großtaten des 21. Jahrhunderts", so empfindet es Bertrand Piccard, "müssen darin bestehen, die Lebensqualität auf unserem Planeten zu erhalten und zu verbessern."

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Um das Gesamtgewicht so gering wie möglich zu halten, findet sich im Cockpit nur das Nötigste.

Auf den ersten Blick erscheint Solar Impulse fast nur aus einem endlos langen Flügel zu bestehen, an dem ein paar zierliche Motorgondeln hängen; der Rumpf und das Cockpit sind so schmal und klein, dass man sie kaum sieht. Ihre bescheidene Leistung erreicht die Maschine nur dank extremer Optimierung der gesamten Energiekette an Bord sowie der superleichten Bauweise, bei der auf jedes überflüssige Gramm verzichtet wurde.

Startgewicht 1600 Kilogramm

Das Startgewicht inklusive Pilot beträgt nur 1600 Kilogramm - einmalig in der Luftfahrt. "Wir haben sogar ausgerechnet, dass allein meine Knochen mit 3,2 Kilo zu Buche schlagen", erzählt Pilot und Projektleiter André Borschberg, der am 7. April 2010 den Erstflug und dann im Juli 2010 den ersten Tag- und Nachtflug, der 26 Stunden und zehn Minuten dauerte, erfolgreich absolvierte. "Das war nach 40 Pilotenjahren mein aufregendster Flug. Vor allem wegen der entscheidenden Frage, ob wir mit der am Tage gespeicherten Sonnenenergie tatsächlich die ganze Nacht in der Luft bleiben können", erinnert sich der 59-Jährige. "Je weiter ich flog, umso mehr Energie speicherten die Batterien - eine völlig neue Erfahrung", so der Pionier. Auch bei Ankunft in Paris waren die Akkus noch zu 95 Prozent voll.

Solarzellen auf dem riesigen Flügel

Um das zu erreichen, ist der riesige Flügel entscheidend. Er hat eine Fläche von 200 Quadratmeter und 63,40 Meter Spannweite, um möglichst viel Auftrieb zu erzeugen und genügend Platz für die Solarzellen als einzigen Energielieferanten zu schaffen. Insgesamt 10.748 monokristalline Siliziumzellen, jede 0,15 Millimeter dünn, bilden die Haut der Tragflächenoberseite, 880 weitere bedecken das Höhenruder. Die Solarzellen verwandeln aber nur 22 Prozent des Lichtes in Energie, ein höherer Wert hätte nach schwereren Zellen verlangt und damit vor allem in der kritischen Nachtflugphase Gewichtsprobleme gebracht.

Die größte Herausforderung nachts ist die ausreichende Verfügbarkeit von Energie in den Akkus. Die vier Lithium-Polymer-Batterien, eine pro Motor, wiegen zusammen 400 Kilo und machen damit ein Viertel des Gesamtgewichts aus. "Wir brauchen 35 Kilo Batterien, um die Energie von einem Kilo Kerosin zu speichern", verdeutlicht Bertrand Piccard die Dimensionen. Jeder der Elektromotoren leistet sieben kW (zehn PS), wobei üblicherweise nur sechs kW (acht PS) erreicht werden - etwa jene Kraft, die auch die Wright-Brüder beim ersten Motorflug 1903 zur Verfügung hatten. Mit den vier Propellern von jeweils 3,5 Meter Durchmesser lässt sich eine Reisegeschwindigkeit von rund 40 km/h erzielen. "Optimal sind 46 km/h, wir haben aber auch schon mal 125,9 km/h erreicht", so Borschberg.

"Wir transportieren eine Botschaft"

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Pionier-Geist: Der Pilot André Borschberg (links) und Bertrand Piccard sind die Väter des Projekts.

Entscheidend ist die optimale Aerodynamik. "Bei einem Segelflugzeug kann ein Quadratmeter Flügelfäche 40 Kilo Gewicht tragen, bei Solar Impulse sind es nur acht Kilo", weiß Piccard. Dafür sorgt der Riesenflügel für hervorragende Gleitfähigkeit, die Sinkrate ohne Antrieb beträgt nur 30 Zentimeter pro Sekunde, halb so viel wie bei einem Segler. Rumpf- und Flügelstruktur sind wie auch sonst im modernen Flugzeugbau aus hochfestem und leichtem CFK-Komposit-Material, die Flugzeughaut besteht aus widerstandsfähiger Folie. "CFK ist aus Öl gemacht, und es ist dumm, Öl zu verbrennen. Die Welt braucht Öl, um leichtere Strukturen zu bauen", ereifert sich Bertrand Piccard, der es versteht, Menschen für seine Ideen zu begeistern.

"Wir transportieren keine Passagiere, sondern eine Botschaft. In 25 Jahren dann werden vielleicht Passagiere mit solargetriebenen Flugzeugen unterwegs sein", hofft Piccard, "denn bis dahin wird der Ölpreis die Billigflieger sowieso gekillt haben".

Das von Sponsoren und privaten Unterstützern finanzierte Projekt benötigt über zehn Jahre ein Budget von rund 85 Millionen Euro, wovon 80 Prozent bereits finanziert sind. Eine große Investition steht erst noch bevor: der Bau eines zweiten Flugzeugs, mit dem dann die Weltumrundung in zwei Jahren stattfinden soll. Die Bauplanung dafür wird bereits diesen Sommer abgeschlossen sein, Anfang 2013 soll die Maschine fliegen.

"Sie wird sich nicht wesentlich von der heutigen unterscheiden", sagt André Borschberg, "70 Meter Spannweite sind möglich, weil wir mehr Nutzlast-Kapazität für Satelliten-Kommunikation, Autopiloten, Sauerstoff, Verpflegung sowie vier Liter Wasser pro Tag brauchen." Um das zu ermöglichen wollen die Ingenieure versuchen, an anderer Stelle Gewicht zu sparen und die Solarzellen mit nur 0,1 Millimeter noch dünner zu machen.

Einsitzer mit extrem engem Cockpit

Der zweite Sonnenflieger wird weiterhin ein Einsitzer mit extrem engem Cockpit sein, in dem die Piloten während der Weltumrundung abwechselnd jeweils fünf Tage und Nächte am Stück verbringen müssen. "Dabei herrschen unter der Glashaube Temperaturen von plus 35 bis minus 17 Grad Celsius", sagt Borschberg. Heiße Mahlzeiten wird es ebenso wenig wie eine Toilette geben, stattdessen kommen Windeln zum Einsatz. "Wir wollen einige der Pioniertaten der frühen Luftfahrtgeschichte wie den ersten Transatlantikflug und die erste Überquerung der USA neu erfliegen, nur jetzt von der Sonne angetrieben", sagt Bertrand Piccard.

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