Berufsalltag Zimmermädchen:"Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so tief sinken würde"

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Sie werden von halbnackten Gästen beim Putzen beobachtet, beseitigen die Spuren von Sex-Orgien und wissen oft mehr über ihre Gäste, als denen lieb ist: Keiner kennt die Abgründe des Reichtums so gut wie die Zimmermädchen in Luxushotels. Drei Betroffene aus Berlin berichten.

Thorsten Schmitz

Ana Feory sitzt in der Lobby eines Berliner Design-Hotels, schulterfreies T-Shirt mit Tigermotiv, sonnengebräuntes Dekolleté, schwarze Röhrenhose, neben ihr ein Rollkoffer, vor ihr ein Cappuccino. Sie wirkt wie eine Geschäftsfrau, fehlen nur Laptop und iPhone, aber dafür hat sie kein Geld. Auch der Cappuccino ist eine Ausnahme. Eine Übernachtung im Hotel kann sich Ana Feory nicht leisten. Zimmer und Suiten von insgesamt 17 Luxushotels hat sie in ihrem früheren Leben als Zimmermädchen mit dem Staubsauger in der Hand kennengelernt. Heute ist Feory 71 Jahre alt, sieht aber aus wie 50. "Die Bewegung beim Putzen hält jung", sagt sie. Das ist ernst gemeint.

Zimmermädchen erfahren oft mehr über ihre Gäste, als denen lieb ist. (Foto: picture alliance / dpa)

Zimmermädchen: Wer sind diese Frauen, die mit gesenkten Augen über Hotelflure huschen? Die mehr von den Gästen mitbekommen, als manchen Gästen lieb ist? Die an Türen klopfen und "Housekeeping" rufen? Die mit tausendfach gebeugtem Rücken Badewannen polieren, damit der Gast der Illusion erliegt, er sei der erste, der diese Wanne benutzt? Und die so tun müssen, als sei nichts, wenn der Gast sie halbnackt beim Putzen beobachtet?

Es sind Menschen wie Ana Feory. Sie beginnt zu weinen, wenn sie von ihrem Leben erzählt, von Ehe und Scheidung, einem früheren Führungsjob bei einer Behörde und Geld, das sie verlor, als sie dem falschen Anlagenberater vertraute. Irgendwann wusste sie nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollte.

Ana Feory hätte aufgeben können, aber sie riss sich zusammen und wurde Zimmermädchen in Fünf-Sterne-Hotels - in einem Alter, in dem andere Menschen in Rente gehen. "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so tief sinken werde." Als Angestellte eines Subunternehmers verdiente sie manchmal nur 3,65 Euro Brutto die Stunde für die Reinigung von 400-Euro-Zimmern. 30 Minuten hatte sie pro Zimmer Zeit, um Betten neu zu beziehen, zu saugen, Badezimmer zu polieren.

Über die Fernbedienung zu wischen, sei oft nicht drin gewesen, sagt sie, obwohl das nötig wäre: "Manche Gäste sehen sich Pornofilme im Bett mit der Fernbedienung an und greifen sich ans Geschlecht." Andere gäben sich erst gar keine Mühe, irgendetwas zu vertuschen: "Einmal musste ich ein Zimmer reinigen, das übersät war mit gefüllten Kondomen. Ein Russe hatte dort Orgien mit Prostituierten gefeiert."

Das Grand Hyatt am Potsdamer Platz, eine Tür im fünften Stock. Ein "Bleibezimmer" entnimmt Dembee Forkert ihrer Liste - es ist also noch für mindestens eine Nacht belegt. Das Klingelschild leuchtet grün, doch am Türgriff hängt noch die International Herald Tribune - schläft der Gast vielleicht? Dembee Forkert klopft und ruft zweimal "Housekeeping", sicher ist sicher. Sie lässt die Tür offen, während sie das Zimmer putzt.

Das Bett ist zerwühlt, am Boden liegen ein Schlangenledergürtel und ein Plastikzahnstocher. Forkert rührt beides nicht an und saugt dran vorbei. Auf dem Glastisch steht ein aufgeklappter Laptop, Forkert wischt drumherum. Sie mag es nicht hochheben, "ich habe Angst, etwas kaputtzumachen". Das Zimmer kostet 515 Euro die Nacht, 60 Mal soviel wie Dembee Forkert in einer Stunde verdient (8,40 Euro). Von der Affäre um den früheren Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, hat sie gehört. "Eine unglaubliche Geschichte", sagt sie. Ihr selbst sei "so etwas" noch nie passiert.

Kampf gegen den Feinstaub

Zwischen 14 und 16 Zimmern putzt sie jeden Tag. Immer ist es ein Kampf gegen den Feinstaub, der auf die Möbel rieselt, wenn sie diese gerade erst poliert hat. Ein Kampf gegen das Hungergefühl ist das Putzen auch. Forkert verzichtet auf eine Mittagspause, aus Zeitgründen. So sei sie früher Zuhause. Ihr Zuhause ist eine Plattenbausiedlung in Marzahn, wo ihr deutscher Ehemann kocht und putzt. "Ich habe doch keine Lust mehr zum Putzen, wenn ich nach Hause komme", sagt sie und lacht. Ihr Traum? Sie streicht noch einmal über das in Polen gewaschene und gebügelte Bettlaken und lächelt: "Einmal eine Nacht in so einem Hotel."

Das Ritz Carlton Berlin. Es ist ein eher ruhiger Tag für Josie Schreiber, "Housekeeping Coordinator", nur 36 Gäste reisen ab. Morgen werden es 210 sein. Schreiber ist 29 Jahre alt, trägt Krawatte und das Haar zum Zopf gebändigt, in der Hand das Tagesblatt, das alle Daten enthält über Gäste und Menüs und den Spruch des Tages, den die Konzernzentrale in den USA bestimmt. An diesem Tag ist es ein Satz von Albert Einstein: "Lernen Sie von gestern, leben Sie für heute, hoffen Sie für Morgen." Zu Schreibers Job gehört es, für den Mops eines Gastes Schnuller zu besorgen, und darauf zu achten, dass die Sängerin Pink das richtige Wasser in ihrer Suite vorfindet. Seit sieben Jahren arbeitet sie im Ritz-Carlton.

Manchmal muss Schreiber auch heikle Situationen meistern: "Es ist schon vorgekommen, dass ein Zimmermädchen in einem Zimmer reinigen muss, in dem der Gast nur in Unterhose herumläuft. Dann werde ich angerufen, dass sie sich unwohl fühlt, und ich schicke einen Zimmerjungen hoch." Seit der Affäre um Strauss-Kahn, gilt auch im Ritz-Carlton Berlin, dass ein Zimmermädchen einen Türstopper befestigen muss, wenn der Gast im Raum ist. Es gibt zudem keine Massagen mehr auf den Zimmern, nur noch im Spa.

14.000 Euro - für eine Nacht

Von Stars (und ihrem Gehabe) lässt sich Josie Schreiber nicht beeindrucken, seit sie einmal im Badezimmer der Suite 1212 gesehen hat, dass der Schauspieler Will Smith dieselbe Zahnseidenmarke benutzt wie sie. "Stars sind doch auch nur Menschen", sagt sie. Der Unterschied ist nur: Sie haben etwas mehr Geld. Suite 1212 kostet 14.000 Euro - pro Nacht.

Manche Gäste, erzählt Schreiber, benähmen sich so, "wie ich mich nie in einem Hotel aufführen würde. Wir haben Gäste, vor allem aus dem Orient, die verlassen ihre Suiten, und man denkt, da hat eine Bombe eingeschlagen. Da müssen wir Teppiche extra reinigen, neu tapezieren und zerkratztes Parkett ausbessern lassen." Das werde den Gästen dann in Rechnung gestellt.

Zimmermädchen müssen im Ritz-Carlton jeden Tag 13 Punkte zusammenputzen. Für ein kleines Zimmer gibt es einen Punkt, für eine Suite drei Punkte. Wenn Erbrochenes weggewischt werden muss, bekommt man mehr Geld. Josie Schreiber hat während ihrer Ausbildung selbst Betten bezogen und Wannen poliert. "Das ist ein harter Job, ich ziehe den Hut vor meinen Zimmerfrauen."

Raus aus den Luxushotels

Noch ein paar Monate, dann wird Josie Schreiber die Welt der Luxushotels verlassen, sich den Rucksack umschnallen und nach Australien fliegen. "Mein Herz sagt mir, ich muss noch mehr machen." Sie wolle "etwas für die Menschheit tun, auch wenn das jetzt großspurig klingt". Vor ein paar Wochen hat sie einen Bericht gesehen über die Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikmüll. "Ich kann mir auch vorstellen, für Greenpeace auf einem Boot unterwegs zu sein und mit eigenen Händen den Plastikmüll aus dem Meer herauszufischen."

Ein Zimmer, sagt Ana Feory nach drei Jahren in 17 verschiedenen Luxushotels, "verrät sehr viel über den Gast". Geschäftsmänner sind ihr die liebsten gewesen: "Die duschen morgens, sind den ganzen Tag unterwegs und abends in der Hotelbar, die kommen nur zum Schlafen." Amerikaner seien großzügig und hinterließen Trinkgeld, Fußballteams unordentlich, Franzosen neigten zum Geiz, aber gefürchtet habe sie sich "vor reichen arabischen Großfamilien. Die reisen mit Hauspersonal an, bleiben für Wochen, gehen den ganzen Tag shoppen und sitzen ansonsten vor dem Fernseher. Sie verrücken die Möbel und werfen Müll auf den Boden." Ana Feory schüttelt noch heute den Kopf, wenn sie an die drei Jahre als Putzfrau denkt. "Es ist unvorstellbar, wie verdreckt und vermüllt manche ihre Zimmer hinterlassen."

Ana Feory sagt, auf den Fluren der Fünf-Sterne-Häuser habe sie sich geschworen: "Darüber schreibst Du ein Buch." Vor ein paar Tagen ist es erschienen, Deutschland, mein Herz schlägt nicht für Dich heißt es. Es ist ein Protokoll aus einer Welt, für die man keinen Blick hat, wenn man sich ein 500-Euro-Zimmer leisten kann. Schlimm seien die rauen Hände gewesen, sagt Feory, die lange von 400 Euro im Monat leben musste. Und die eigene Unsichtbarkeit. Zimmermädchen sind Luft", sagt sie. Es sei ihnen verboten, mit den Gästen zu reden, "aus Schutz vor sexueller Belästigung".

Die Lobby genießen

Feory hat ihren Cappuccino längst ausgetrunken, möchte aber noch einen Moment in der Lobby sitzen bleiben. Sie genießt es, in einem Hotel zu sitzen und nicht abwischen oder saugen zu müssen. "Haben Sie die Toiletten hier gesehen?", fragt sie zum Abschied. "Müssen Sie! Sehr sauber!"

© SZ vom 22.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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