Interview mit Muhammad Yunus:"Ich habe Angst"

Einst galt Muhammad Yunus als Heiliger der Finanzwelt - dank der von ihm erfundenen Mikrokredite. Dafür gab's zunächst den Nobelpreis und später viel Kritik. Ein Gespräch über diejenigen, die seine Idee missbrauchen - und die Befürchtung, alles zu verlieren, was er aufgebaut hat.

Alina Fichter

In der Stimme von Muhammad Yunus, 70, liegen Traurigkeit und Anspannung. Er sitzt in seiner Bank in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Lange ist Yunus nicht gereist, der Nobelpreisträger von 2006, der die Wirtschaftswelt und Entwicklungshilfe mit seiner Idee der Mikrokredite revolutionierte. Gerichtsprozesse hielten ihn in seinem Heimatland. Yunus streitet sich mit der Regierung um seine Grameen Bank - der Wirtschaftsprofessor fürchtet, alles zu verlieren, was er aufgebaut hat. Er wurde wegen Verleumdung angeklagt und aus seinen Ämtern gejagt. In der Süddeutschen Zeitung spricht Yunus erstmals über die Vorwürfe und seine Wut.

Interview mit Muhammad Yunus: Nobelpreisträger Muhammad Yunus.

Nobelpreisträger Muhammad Yunus.

(Foto: AFP)

SZ: Herr Yunus, wie geht es Ihnen?

Yunus: Wie es mir geht? Na ja. Ich bin noch immer mitten in einem schlimmen Sturm.

SZ: Die Regierung Bangladeschs hat Sie als Chef der Grameen Bank abgesetzt. Bisher galten Sie als Heiliger, der die Welt von Armut befreien würde...

Yunus: Die Erlebnisse der vergangenen Wochen waren grässlich. Niemals hätte ich mit so etwas gerechnet: Aus der eigenen Bank gejagt zu werden, ohne nachvollziehbaren Grund.

SZ: Die Regierung sagt, Sie hätten das Pensionsalter für Bankchefs in Bangladesch überschritten, es liege bei 60 Jahren. Sie sind 71.

Yunus: Den Statuten der Grameen Bank widerspricht das nicht.

SZ: Hielten Sie nicht zu lange an Ihrem Posten fest? Sie führen das Institut seit mehr als 30 Jahren.

Yunus: Vor 34 Jahren gründete ich die Bank, um armen Menschen Geld zu leihen. Sie sollten Unternehmen gründen, um sich aus der Armut zu befreien. Niemand sonst war bereit zu so einem Experiment. Also baute ich die Bank auf, Stück für Stück. Vor zwei Jahren begann ich, meine Nachfolge vorzubereiten. Ich wollte einen sanften Übergang. Aber dann kam der Angriff der Regierung.

SZ: Wieso fiel der Regierung Ihr Alter plötzlich auf?

Yunus: Viele denken, die Regierung will die Grameen Bank unter ihre Kontrolle bringen. Das Institut hat über acht Millionen Kreditnehmer. Politiker könnten die Gunst dieser Wähler gewinnen, indem sie Zinsen senken oder Schulden erlassen. Andere glauben, die Premierministerin Sheikh Hasina sehe eine Gefahr in mir.

SZ: Und was denken Sie?

Yunus: Darüber möchte ich nicht sprechen.

SZ: Warum nicht? Der oberste Gerichtshof hat Ihre Amtsenthebung bestätigt. Es ist vorbei.

Yunus: Nein, es geht weiter. Die Regierung versucht jetzt, die Statuten der Grameen Bank zu ändern, um ihren Einfluss weiter auszuweiten.

SZ: Was wäre die Folge?

Yunus: Ein Desaster. Meine Idee ginge verloren, alles fiele auseinander. Heute gehören 97 Prozent der Anteile den armen Kreditnehmern, für die ich die Bank gründete. Wenn Politiker die Macht an sich reißen, würde die Bank zu einer Regierungsinstitution verkommen, in die Misswirtschaft und Ineffizienz Einzug hielten. Es wäre nicht mehr die Bank, die den Friedensnobelpreis bekam.

SZ: Was werden Sie tun?

Yunus: Die Pläne anfechten - zusammen mit einem weiteren Vorhaben der Regierung, das den Rest meines Lebenswerkes bedroht.

SZ: Welches Vorhaben meinen Sie?

Yunus: Ich habe in den vergangenen Jahren einige Sozialunternehmen gegründet, also Firmen, deren Ziel es nicht ist, Profit zu machen, sondern Menschen zu helfen. Mit dem Lebensmittelkonzern Danone haben wir einen Joghurt für Unterernährte entwickelt, mit BASF verteilen wir Moskitonetze.

SZ: Wo ist das Problem?

Yunus: Alle Kooperationen tragen den Namen Grameen - und die Regierung ist der Ansicht, folglich gehörten sie zur Bank. Das stimmt nicht, sie sind rechtlich unabhängig, haben andere Ziele. Es ist schrecklich zu sehen, wie die Dinge zu zerfallen drohen, die ich aufgebaut habe.

SZ: Ihre Amtsenthebung haben Sie ebenfalls angefochten. Vergeblich.

Yunus: Auch diesmal bezweifeln viele, dass ein Gericht etwas gegen eine Regierungsentscheidung unternimmt. Das macht mir Angst.

SZ: Haben Sie keine andere Möglichkeit als einen Prozess?

Yunus: Ich kenne keine. Haben Sie einen Vorschlag?

SZ: Sie werden nicht nur in Bangladesch angegriffen. Der Erfolg Ihrer Mikrokredite wird weltweit in Frage gestellt, seit sich in Indien Frauen verbrannten, die ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten.

Yunus: Diese Ereignisse sind schrecklich. Aber leider verbrennen sich dort schon immer Frauen, die Gründe sind vielfältig. Und ein Mikrokredit, der einen Menschen in den Tod treibt, hat mit meiner Idee nichts mehr zu tun. Viele missbrauchen Mikrokredite, um Profit zu machen.

SZ: Ihre Idee galt als Heilsbringer, sie hat zahlreiche Nachahmer gefunden.

Yunus: Darunter mischen sich eben auch schwarze Schafe. Wer reich wird, weil er armen Menschen Geld leiht, ist ein Ausbeuter. Ein Kreditnehmer bei Grameen, der erkrankt, muss seine Raten beispielsweise nicht fristgerecht zurückzahlen.

SZ: Das ist nicht überall so.

Yunus: In Indien gingen Mikrokredit-Institute an die Börse, sie drängen auch Kranke zur Rückzahlung. Ich bin sehr wütend über diese Entwicklung und sage den Nachahmern: Bitte, benutzt nicht den Begriff Mikrokredit!

SZ: Ist das nicht naiv? Ihr Erfolg ließ den Markt boomen, heute gibt es Tausende Institutionen auf der Welt - wer soll die kontrollieren?

Yunus: Es sollte in jedem Land eine Behörde geben, die Mikrokredite reguliert und den Menschen den Unterschied zwischen meiner Idee und den Kredithaien klar macht.

SZ: Aber auch Ihre Mikrokredite sind nicht perfekt. Nicht jeder arme Mensch ist ein Unternehmer.

Yunus: Das stimmt. Manche Kreditnehmer sind erfolgreich, kaufen eine Kuh, verdienen gut und besiegen ihre Armut. Andere versagen. Sie vermehren ihr Geld nicht. Aber ein guter Lehrer wirft Schüler mit schlechten Noten nicht von der Schule. Er hofft auf bessere Ergebnisse im nächsten Jahr.

"Bangladesch ist meine Heimat"

SZ: Aber sollten Mikrokredite nicht nur an Menschen vergeben werden, die mit Geld umgehen können - damit sich keiner mehr überschuldet, wie es in Indien geschehen ist?

Yunus: Das wäre gut, aber dafür ist eine Überwachung nötig und die ist kompliziert. Manche Kreditnehmer erscheinen anfangs nicht smart genug, aber sie entwickeln schnell unternehmerisches Denken. Besonders Frauen sind zuerst schüchtern und trauen sich nichts zu - werden aber rasch zu äußerst erfolgreichen Geschäftsfrauen.

SZ: Also nehmen Sie einfach hin, dass viel Geld verloren geht?

Yunus: Das Problem ist nicht, dass die Armen das Geld verlieren. Was Menschen uns vorhalten, ist, dass Mikrokredite die Armut nur langsam lindern.

SZ: Lindern? Die Armut hat in den vergangenen Jahren zugenommen.

Yunus: Armut hat eben viele Ursachen - und braucht daher viele Lösungen. Kleinstdarlehen können nichts ausrichten gegen schlechte Regierungsführung, mangelnde Bildung oder ein fehlendes Gesundheitssystem.

SZ: Glauben Sie noch daran, dass es Armut irgendwann nur noch im Museum gibt, wie sie es einmal sagten?

Yunus: Selbstverständlich glaube ich daran. Arme Menschen sind wie Bonsais. Der beste Samen eines großen Baumes wird nur wenige Zentimeter groß, wenn man ihn in einen Blumentopf pflanzt; er verkümmert, genau wie die Armen. Ihr Problem ist nicht der Samen, sondern die Gesellschaft, die ihnen keinen Raum gibt zu wachsen. Wenn wir das ändern, muss niemand mehr arm sein.

SZ: Was sind Mikrokredite in diesem Bild? Ein wenig Dünger - der aber nichts Grundsätzliches ändert?

Yunus: Mikrokredite vergrößern die Fläche, auf der Arme wachsen können und Kontrolle über ihr Leben gewinnen. Sie werden gebraucht, deshalb werden sie sich weiter ausbreiten. Ebenso wie die anderen Sozialunternehmen.

SZ: Auch wenn die Regierung Ihnen die Kontrolle darüber raubt?

Yunus: Auch dann. Ich will die Idee ohnehin in anderen Ländern verbreiten.

SZ: Wollen Sie weg aus Bangladesch?

Yunus: Nein, es ist meine Heimat, hier lebe ich. Das soll auch so bleiben.

SZ: Sind Sie verbittert?

Yunus: Nein, Höhen und Tiefen sind Teil des Lebens.

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