Bayern: Kultusminister Ludwig Spaenle im Gespräch:"Die Zahl der Hauptschüler wird zurückgehen ..."

... dennoch sieht Bayerns CSU-Kultusminister Ludwig Spaenle keinen Grund, sich - wie die Schwesterpartei CDU - von der Hauptschule zu verabschieden. Bleibt den Christsozialen nur die Rolle der Ewiggestrigen?

Tobias Dorfer

Es war ein großer Schritt für die CDU - auch wenn er sich längst abgezeichnet hat: Die Christdemokraten haben mit einem neuen Bildungskonzept den Ausstieg aus der Hauptschule zementiert - und damit den Weg in das zweigliedrige Schulsystem. An die Stelle von Haupt- und Realschule soll nach dem Willen der CDU künftig eine Oberschule treten. Während viele Bildungsexperten die Entscheidung der CDU loben, kommt Kritik von der Schwesterpartei CSU - die an der Hauptschule festhalten will. Als einer der schärfsten Kritiker des CDU-Beschlusses meldet sich derzeit Ludwig Spaenle zu Wort, der bayerische Kultusminister.

Bayern: Kultusminister Ludwig Spaenle im Gespräch: "Das differenzierte Schulwesen in Bayern hat sich bewährt", sagt Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (hier beim Besuch einer Grundschule).

"Das differenzierte Schulwesen in Bayern hat sich bewährt", sagt Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (hier beim Besuch einer Grundschule).

(Foto: Robert Haas)

sueddeutsche.de: Herr Spaenle, am Montag hat sich die CDU endgültig von der Hauptschule verabschiedet. Die CSU dagegen hat das dreigliedrige Schulsystem immer verteidigt. Stehen Sie jetzt nicht ziemlich dumm da?

Ludwig Spaenle: Überhaupt nicht. Die CDU bestimmt ihre Bildungsgrundsätze immer noch selbst, ohne die CSU zu fragen. Ich halte diese Entscheidung für falsch. Aber wirklich überraschend kam sie nicht. Aus Gesprächen mit meinen Kollegen, etwa dem sächsischen Kultusminister Roland Wöller, kenne ich die Überlegungen in der CDU genau.

sueddeutsche.de: Umso mehr muss es Sie doch wurmen, dass die CSU-Position in der CDU nichts zählt, oder?

Spaenle: Davon kann keine Rede sein. In diesem Papier stehen viele Punkte, in denen CDU und CSU übereinstimmen. Allerdings haben wir als größtes Flächenland bei manchen strategischen Fragen einen anderen Zugang. Zum Beispiel bei der Hauptschule, die wir in Bayern zur Mittelschule weiterentwickelt haben.

sueddeutsche.de: Die öffentliche Wahrnehmung ist doch: Die CDU reagiert auf die Wirklichkeit. Für Sie bleibt nur die Rolle des Ewiggestrigen.

Spaenle: (lacht) Franz Josef Strauß hat immer gesagt, manchmal müssen die Bayern die letzten Preußen sein. Aber im Ernst: Wir halten ja nicht an der Hauptschule um ihrer selbst Willen fest. Das wäre reaktionär. Das differenzierte Schulwesen in Bayern hat sich bewährt. 40 Prozent der Hochschulzugangsberechtigungen werden bei uns nicht am Gymnasium erworben.

sueddeutsche.de: Nach der vierten Klasse wechseln ja nicht die starken Schüler auf die Hauptschule sondern die Schwachen. Was soll denn an einem Schulsystem differenziert sein, das Kinder, die schlecht rechnen können, mit anderen Schlecht-Rechnern in eine Klasse steckt?

Spaenle: Die Hauptschule bietet den Schülern etwas, was sonst keine Schule kann. Es gibt keine allgemein bildende Schulart, die so intensiv mit der Arbeitsagentur zusammenarbeitet. Zusammen bieten wir einen Weg zur dualen beruflichen Ausbildung. Das verstehe ich unter individueller Förderung und genau das werden wir weiterentwickeln - auch, indem wir mehr Geld in die Haupt- und in die bayerischen Mittelschulen stecken. Außerdem ist es uns wichtig, Schule wohnortnah zu gestalten und den Bildungsweg zu stärken, der den Menschen am nächsten ist. Wir haben knapp 1000 Hauptschulstandorte in Bayern. Die kleinen Standorte zu erhalten, ist nicht billig.

sueddeutsche.de: Wenn die Hauptschule tatsächlich so gut ist, wie Sie sagen: Warum ist sie dann die Schulart, die - auch in Bayern - mit Abstand die meisten Schüler verliert?

Spaenle: Die demographische Entwicklung trifft die Hauptschule besonders stark, das ist der erste Grund. Der zweite Grund liegt im Schulwahlverhalten der Eltern, die für ihre Kinder immer den besten Abschluss wollen. Klar ist deshalb, die Zahl der Hauptschüler wird weiter zurückgehen. Aber deshalb kann ich doch nicht eine Schulart auflösen, die von der Wirtschaft als leistungsstark wahrgenommen wird. 60 Prozent der Auszubildenden in Bayern kommen aus der Hauptschule. Ich sehe keinen Vorteil darin, sie abzuschaffen.

"Aus Prinzip an etwas festzuhalten, ist immer falsch"

sueddeutsche.de: In unionsregierten Ländern wie Sachsen und Thüringen sind Haupt- und Realschule längst zusammengefügt. Was spricht dagegen, unter dem Dach einer Oberschule beide Abschlüsse anzubieten?

Spaenle: Das sind völlig unterschiedliche Konzepte. In Bayern haben wir vor knapp zehn Jahren die sechsstufige Realschule eingeführt. Da kann die Mittlere Reife abgelegt werden und zugleich haben die Schüler die Möglichkeit, über die berufliche Oberschule den Weg zur Hochschulreife weiterzugehen. Ein solches Schulkonzept mit der stark praxisorientierten Hauptschule zusammenzulegen, ist politisch falsch.

sueddeutsche.de: Den Schülern in Sachsen hat die sächsische Version der Mittelschule, die Haupt- und Realschule unter einem Dach verbindet, nicht geschadet. Im Pisa-Ranking belegt Sachsen stets Spitzenpositionen.

Spaenle: Das stimmt. Aber wenn Sie sich die einzelnen Züge der Haupt- und Realschule unter dem Dach der Mittelschule anschauen, dann sind die bayerischen Ergebnisse noch ein wenig besser.

sueddeutsche.de: Dennoch: Die CDU hat sich von der Hauptschule verabschiedet. Wie wollen Sie das jetzt noch verhindern?

Spaenle: Jetzt wird dieser Beschluss erst einmal auf dem CDU-Parteitag im November in Leipzig diskutiert. Ich bin mit der Union in unterschiedlicher Funktion, auch als Sprecher der Unions-Kultusminister, im Gespräch - und werde meine Argumente natürlich weiter einbringen.

sueddeutsche.de: Die CSU ist in letzter Zeit kaum wiederzuerkennen. Horst Seehofer kann es mit dem Atomausstieg gar nicht schnell genug gehen. Ist die Schulpolitik und das Festhalten an der Hauptschule nicht der letzte verzweifelte Versuch, so etwas wie ein konservatives Profil zu wahren?

Spaenle: Aus Prinzip an etwas festzuhalten, ist immer falsch. Wenn Sie mit konservativ meinen, dass ich das Erhaltenswerte bewahren und weiterentwickeln möchte, dann bin ich gerne konservativ.

sueddeutsche.de: Kann die CDU nach der Entscheidung vom Montag weiter der bildungspolitische Partner der CSU sein?

Spaenle: Selbstverständlich, denn wir sind uns ja in großen Teilen einig. Die Kollegen von der CDU sind unsere natürlichen Gesprächspartner und politischen Seelenverwandten.

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