Strauss-Kahn und Kachelmann:Männer, Macht und Moral

Jörg Kachelmann ist freigesprochen, Dominique Strauss-Kahn wird womöglich gar nicht erst angeklagt. Auf dem Schaden, den das öffentliche Interesse angerichtet hat, bleiben beide sitzen. Im Fall Strauss-Kahn aber ist das Lamento über die angeblich unnatürlich aufgebauschte Medienberichterstattung unangemessen.

Hans Holzhaider

Als Dominique Strauss-Kahn auf dem New Yorker Flughafen festgenommen wurde, ging der Vergewaltigungsprozess gegen Jörg Kachelmann gerade in seine letzte Runde. An dem Tag, als er von seinem Posten als Direktor des Internationalen Währungsfonds zurücktrat, hielt im Landgericht Mannheim der Staatsanwalt sein Plädoyer und forderte vier Jahre und drei Monate Haft für den einstigen Wettermoderator.

Dominique Strauss-Kahn and his wife Anne Sinclair arrive for a hearing at the New York State Supreme Courthouse in New York

Medieninteresse im Fall Dominique Strauss-Kahn: Journalisten warten auf die Ankunft des ehemaligen IWF-Chefs vor dem Gerichtsgebäude in New York.

(Foto: REUTERS)

Die vergleichsweise milde Strafforderung begründete er mit den Nachteilen, die Kachelmann durch das außerordentliche Medienecho erlitten habe. "Sein gesamtes Privatleben ist zusammengebrochen, und er wird es auch sehr schwer haben, beruflich wieder an seine Karriere anzuknüpfen", sagte der Staatsanwalt.

Das gilt für Dominique Strauss-Kahn in noch weitaus höherem Maße, schon allein deshalb, weil er ungleich mehr zu verlieren hatte als Kachelmann. Die nahezu beispiellose Machtposition an der Spitze des Währungsfonds - ebenso perdu wie die Chance, in Frankreich Präsident zu werden. Allein sein luxuriöser Hausarrest kostet ihn laut New York Times eine Viertelmillion Dollar im Monat, von den Honoraren für seine Staranwälte ganz zu schweigen.

Und nun ist Kachelmann freigesprochen, und Strauss-Kahn wird womöglich gar nicht erst angeklagt. Auf dem Schaden bleiben beide trotzdem sitzen, was im Fall Kachelmann möglicherweise noch etwas ungerechter wäre als im Fall Strauss-Kahn. Was ein popeliger Fernsehmoderator in seinem Privatleben treibt, geht weiß Gott keinen Menschen etwas an.

Ein Mann, der täglich mit Milliarden hantiert und dabei über das Schicksal ganzer Nationen entscheidet, muss sich wohl zu Recht höheren Ansprüchen an seine moralische Integrität stellen. Bei so einem möchte man doch lieber sichergehen, dass er zumindest außerhalb des Schlafzimmers von seinem Kopf und nicht von seinem Penis gesteuert wird. Deshalb ist auch das Lamento über das angeblich unnatürlich aufgebauschte Medieninteresse unangemessen. Wer sich auf die Bühne stellt, darf sich nicht über das Rampenlicht beschweren. Das gilt für Strauss-Kahn in noch weit höherem Maße als für Jörg Kachelmann.

Bemerkenswert ist die Rolle der amerikanischen Staatsanwaltschaft. Als ihre Ermittlungen zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin führten, erwirkte sie von sich aus einen außerplanmäßigen Gerichtstermin und informierte Strauss-Kahns Anwälte. Als im Fall Kachelmann die Belastungszeugin nach langen, eindringlichen Befragungen zugeben musste, dass sie in wichtigen Punkten gelogen hatte, hielt die Mannheimer Staatsanwaltschaft eisern an ihrer Anklage fest und widersetzte sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Entlassung des Beschuldigten aus der Untersuchungshaft. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft in Deutschland gesetzlich verpflichtet ist, auch entlastende Umstände zu ermitteln und in das Verfahren einzubringen, während die Ankläger in Amerika parteiisch sein dürfen, auch wenn es ihnen verboten ist, entlastendes Material zurückzuhalten.

War es dann aber nicht doch voreilig, Strauss-Kahn aus dem Flugzeug heraus zu verhaften und ihn im New Yorker Strafgericht an den Pranger zu stellen? Vielleicht hätte er sich, wie einst Roman Polanski, der amerikanischen Justiz entzogen - aber weder als IWF-Präsident noch als französischer Präsidentschaftskandidat wäre er noch tragbar gewesen, wenn er sich in den USA nicht mehr hätte blicken lassen können.

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