Frauen-WM 2011: Aus für Deutschland:Eine gigantische Enttäuschung

Der nie für möglich gehaltene Fall ist eingetreten: Deutschlands Fußballerinnen scheiden mit einem bitteren 0:1 gegen Japan frühzeitig im Viertelfinale der Heim-WM aus und müssen nun sogar um die Teilnahme an den Olympischen Spielen bangen. Bei den jüngeren Spielerinnen herrscht vor allem Trauer - bei Birgit Prinz eindeutig Wut.

Carsten Eberts, Wolfsburg

Saskia Bartusiak setzte sich still neben Nadine Angerer, direkt an den Mittelkreis, ein paar Meter weiter streunte Celia Okoyino da Mbabi einsam über den Rasen. Nebenan, da jubelten andere, die Japanerinnen. Irgendwann sammelte Trainerin Silvia Neid ihre tieftraurigen Spielerinnen zusammen, sprach ein paar Worte, alle umarmten sich. Die Frage, die jeder ins Gesicht geschrieben stand: Wie sollen wir das da draußen bloß erklären?

Frauen-WM 2011: Aus für Deutschland: Fassungslos und niedergeschlagen: Deutschlands Fußballerinnen konnten das Ausscheiden im ersten Moment selbst nicht glauben.

Fassungslos und niedergeschlagen: Deutschlands Fußballerinnen konnten das Ausscheiden im ersten Moment selbst nicht glauben.

(Foto: AP)

Es gab zunächst nicht viel zu erklären. Außer, dass mit diesem Fall niemand, aber auch gar niemand gerechnet hat. Nicht die Spieler, nicht die Trainer, nicht die Fans: Deutschland holt bei der Heim-WM nicht den dritten Titel in Serie, das Team erreicht nicht mal das Endspiel. Deutschland ist ausgeschieden, sehr frühzeitig sogar, nach einem bitteren 0:1 nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Japan.

Die deutsche WM ist damit auf einen Schlag beendet. Auch wenn das Turnier natürlich weitergeht.

Als Erste versuchte Bundestrainerin Neid, das Geschehene in Worte zu fassen. Ihre Art ist in solchen Momenten manchmal eher lapidar als bitterernst. "Ich fand nicht, dass wir die schlechtere Mannschaft waren", sagte Neid deshalb: "Aber wir haben leider keine Tore erzielt, wir hätten heute noch paar Stunden spielen können und hätten auch nicht getroffen."

Das Spiel war ein höchst unglückliches. Schon nach drei Minuten musste Kim Kulig unter Tränen ausgewechselt werden: Sie riss sich das vordere Kreuzband des rechten Knies und muss nun - das ergab die Untersuchung der Ärzte - bis zu sechs Monaten pausieren. "Das Aus von Kim war ein Schock, das ging durch die ganze Mannschaft. Sie hat uns gefehlt", sagte die Bundestrainerin.

Neid stellte früh um, brachte bereits nach acht Minuten Bianca Schmidt, beorderte Linda Bresonik überraschend ins defensive Mittelfeld. Trotzdem hatte Deutschland die Partie gegen die zweikampfstarken Japanerinnen meist im Griff, erspielte sich Chancen, die vor allem Celia Okoyino da Mbabi und Inka Grings in schöner Regelmäßigkeit vergaben. Oder bereits bei der Ballannahme verstolperten.

An einem normalen Tag hätte eine der ideenlosen 15 bis 20 Flanken und Freistöße, die Melanie Behringer und Babett Peter aufs japanische Tor zogen, trotzdem zu einem Treffer geführt. So hatte es in den ersten Spielen auch geklappt. An diesem Abend nicht: Als die deutschen Angreiferinnen resignierten und als sich alle bereits auf ein Elfmeterschießen einstellten, lief die Japanerin Karina Maruyama Abwehrfrau Saskia Bartusiak davon, erwischte sogar die sonst auffallend souveräne Torfrau Nadine Angerer in einem unguten Moment - und erzielte nach 108 Minuten das Tor des Tages.

Eine halbe Stunde nach dem Spiel zeigten sich die Spielerinnen fassungslos. Viele hatten geweint, auf dem Platz oder in der Kabine - oder waren kurz davor. "Wir sind alle total traurig und enttäuscht", sagte etwa Lena Goeßling: "Wir hatten doch alle geplant, dass wir noch eine Woche im Turnier sind." Simone Laudehr fühlte hingegen nur noch "Leere. Ich weiß gar nicht, was ich sonst noch fühle." Torfrau Nadine Angerer resümierte: "Für mich ist das alles noch total surreal."

Für Spielerinnen wie Goeßling, Laudehr, Mbabi oder auch Alexandra Popp ist das frühzeitige WM-Aus zwar eine gigantische Enttäuschung - jedoch nicht das Ende ihrer Karriere. Viele sind noch jung, zwischen 20 und 25 Jahre alt, sie können sich in zwei und vier Jahren für die EM 2013 oder die WM 2015 motivieren. Aus ihnen soll Neid, die ihren Vertrag beim DFB noch vor Turnierbeginn langfristig verlängerte, das neue Team formen - es wird keinesfalls chancenlos sein.

Mehr als ein Turnier verloren

Für manch ältere Spielerin ging an diesem Abend mehr als ein Turnier verloren. Für Birgit Prinz etwa. Sie wollte die WM im eigenen Land zu ihrer persönlichen Abschiedstournee machen, jeder rechnete damit, dass sie mit ihrem dritten WM-Titel im DFB-Team würde aufhören können. Das Turnier war ein schwieriges für sie, mit frühen Auswechslungen, einer Auszeit gegen Frankreich, einer viel beachteten Pressekonferenz. "Das tut mir sehr leid, das ist für sie kein schöner Abgang", sagte Neid.

Um ihren Abgang machte sich Prinz an diesem Abend noch keine Gedanken, auch nicht über das aufkommende Thema eines offiziellen Abschiedsspiels, das ihr DFB-Präsident Theo Zwanziger indirekt anbot. Prinz war gedanklich noch bei der Partie gegen Japan - und sie war wütend. "Ich habe mich fit gefühlt und hätte gerne gespielt", sagte Prinz, "aber die Trainerin hat sich anders entschieden."

Die 33-Jährige lief sich kurzzeitig warm, Bundestrainerin Neid entschied sich dennoch für die junge Alexandra Popp als dritte Einwechselspielerin, die jedoch auch im vierten WM-Spiel auffallend glücklos blieb. "In meinen Augen stand meine Einwechslung schon zur Debatte", sagte Prinz trotzig, "in den Augen der Trainerin offenbar nicht." Prinz fühlte sich betrogen, um ihren Abschied von der bedeutenden Bühne. An dem sie nicht mehr mitwerkeln durfte. Weil die Trainerin anderen vertraute.

Doch auch für andere Spielerinnen dürfte es das letzte große Turnier gewesen sein. Mit dem Viertelfinal-Aus hat Deutschland ziemlich sicher auch die Olympia-Qualifikation für 2012 in London verspielt, muss auf einen Ausrutscher der Schwedinnen im anderen Viertelfinale gegen Australien hoffen. Die zwei besten europäischen Mannschaften fahren nach London, Frankreich steht bereits im Halbfinale, Schweden könnte nachziehen.

London hätte für Spielerinnen wie Inka Grings ein letztes Ziel sein können - ihr Karriereende in der Nationalmannschaft wird nun wahrscheinlich vorverlegt. "Unser Traum war, den Titel zu verteidigen. Der Titel fehlt mir nun halt", sagte Grings. Da meinte sie noch die WM. Dass es sich mit Olympia womöglich auch erledigt hat, hatte sie in diesem Moment noch gar nicht realisiert.

Wie auch? Es hatte ja vorab niemand für möglich gehalten, dass Deutschland an diesem Samstagabend in Wolfsburg tatsächlich gegen Japan verliert. Und es ist doch passiert.

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