Kika-Affäre weitet sich aus:Im Schatten des Skandals

Kaum ist in der Kika-Affäre das Urteil gegen Herstellungsleiter Marco. K. gesprochen, schon kommen neue Unterschlagungen ans Licht. Nicht nur, dass der Schuldige diverse Trittbrettfahrer hatte, es geht auch um mangelnde Kontrollmechanismen. Der Betrugsfall ist längst zur Krise des MDR geworden.

Christiane Kohl

Vier Prozesstage lang befasste sich das Erfurter Landgericht mit dem Betrugsskandal in dem von ARD und ZDF gemeinsam betriebenen Kinderkanal Kika. Dann fällten die Richter ein vernichtendes Urteil, das nicht nur den Angeklagten empfindlich traf, sondern vor allem auch den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR): Bereits "aus den nackten Daten" ergebe sich, befand der Vorsitzende Richter lapidar, dass es beim MDR "keine effektiven Kontrollen gab".

Ki.Ka-Betrugsprozess beginnt in Erfurt

Der ehemalige Kika-Herstellungsleiter vor dem Erfurter Landgericht: Der Betrugsfall nimmt größere Ausmaße an als erwartet.

(Foto: dpa)

Gegen das Urteil, demzufolge der einstige Kika-Herstellungsleiter Marco K. eine Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten absolvieren soll, haben dessen Verteidiger an diesem Montag Revision eingelegt. Und auch für den MDR ist noch lange kein Ende abzusehen in diesem wohl größten Betrugsskandal in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn die Akten im Erfurter Landgericht waren kaum geschlossen, da wurden schon wieder neue Betrugsmeldungen über den Kinderkanal bekannt.

Zwischenzeitlich hatte die Staatsanwaltschaft ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Marco K. eröffnet, in welches auch weitere Kika-Mitarbeiter verwickelt sein sollen. Und so waren, noch während der Prozess lief, Ende Juni klammheimlich neue Durchsuchungen bei dem Kindersender und in Erfurter Wohnungen durchgeführt worden. Wieder geht es bei den Ermittlungen um Scheinrechnungen für nicht erbrachte Leistungen und wieder ist viel Geld im Spiel. Diesmal spricht die Staatsanwaltschaft davon, dass etwa eine halbe Million Euro veruntreut wurde.

Angesichts der bislang bekannten rund 8,2 Millionen Euro, die Marco K. im Laufe von knapp zehn Jahren veruntreut haben soll, könnten die neu entdeckten Unterschlagungen geradezu wie "peanuts" anmuten. Tatsächlich offenbaren sie jedoch, dass der Betrugsfall beim Kika weit größere Ausmaße hatte, als bislang angenommen - nicht nur was die Anzahl der Beteiligten betrifft, sondern vor allem auch, was die offenbar vorhandenen Betrugsmöglichkeiten in dem vom MDR federführend betriebenen Kindersender anbelangt.

Bislang ging man davon aus, dass Marco K. seine mit der Berliner Koppfilm GmbH erstellten Scheinrechnungen beim Kika weitgehend allein eingefädelt hatte. Nun wird hingegen klar, dass der ehemalige Herstellungsleiter beim Kika offensichtlich noch allerlei Trittbrettfahrer hatte, die vermutlich sein Spiel durchschaut hatten und so ebenfalls begannen, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Sowohl Daniel H., ein freier Mitarbeiter des Kika, der formell als "Finanz-Controller" in der Herstellungsleitung tätig war, als auch Ronny D., ein weiterer freier Mitarbeiter beim Kika, sollen mit eigens gegründeten Scheinfirmen bei dem Kindersender Geld abgezweigt haben. Allein Daniel H., der dem einstigen Herstellungsleiter aufs Engste verbunden war - er reiste noch kurz vor dessen Verhaftung mit ihm nach Las Vegas - soll auf diese Weise etwa 160.000 Euro für sich "erwirtschaftet" haben.

Insgesamt laufen derzeit noch sechs Ermittlungsverfahren gegen entlasene beziehungsweise noch beschäftigte Kika-Mitarbeiter. Darüber hinaus laufen gegen sieben Geschäftsführer von Firmen Ermittlungen, die ihren Sitz in Berlin, Erfurt und Baden-Württemberg haben. Aber auch die Zeugenaussagen im Prozess gegen Marco K. haben erkennen lassen, dass es mit der administrativen Ordnung wie auch den entsprechenden Kontrollen sowohl beim Kika als auch beim MDR nicht allzu weit her gewesen sein kann.

Zahlungsabläufe nicht hinterfragt

Da erklärten immer wieder Mitarbeiter, dass sie ungeprüft Rechnungen und Zahlungsanweisungen unterzeichnet hätten. Und der einstige Programmgeschäftsführer des Kika und heutige Fernsehdirektor des NDR, Frank Beckmann, verwahrte sich nachgerade dagegen, dass er sich als Kika-Chef auch noch ums Rechnungswesen habe kümmern sollen: "Ich war für die wirtschaftlichen Gesamtdaten zuständig und nicht für einzelne Rechnungen". Ähnlich ließ sich auch der amtierende Kika-Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp ein, der offen bekannte, die Zahlungsabläufe im Kika "nicht hinterfragt" zu haben.

Ganz anders der ZDF-Revisor Alfons Birke, der im Prozess hart die Versäumnisse kritisierte. Seiner Ansicht zufolge hätte man spätestens im MDR-Rechnungswesen aufmerksam werden müssen, als immer wieder Belege eingereicht wurden, "die nicht ordnungsgemäß abgezeichnet waren". Nicht nachvollziehbar für Birke war denn auch, dass Beckmann, der von 2002 bis 2008 Kika-Chef gewesen war, nicht gehandelt habe, als ihm von der möglichen Spielsucht des einstigen Herstellungsleiters Marco K. berichtet worden war. "Da hätte man eins und eins zusammenzählen und dem intensivst nachgehen müssen", meinte Birke. Immerhin sei Beckmann zweimal darüber informiert worden, dass Marco K. im Erfurter Kasino häufig große Mengen Geld verlor - "das sind Warnsignale erster Güte", fand Birke.

Tatsächlich hatte ein Kika-Mitarbeiter, der mit einer Kasino-Kassiererin befreundet war, im Prozess berichtet, er habe Beckmann zweimal sowie den Kika-Redaktionsleiter sogar mehrfach auf die großen Spielverluste von Marco K. hingewiesen. Die Geldverluste waren offenbar so enorm, dass selbst der thüringische Finanzbeamte aufmerksam geworden war, der die Spielgeräte im Kasino zu kontrollieren hatte: "Ich wusste immer, an welchem Apparat K. gespielt hatte", berichtete der Mann - "es war stets das Gerät mit den größten Verlusten".

Den ZDF-Revisionsmitarbeiter Birke beschäftigte der Fall so sehr, dass er eigens noch einmal zur Urteilsverkündung nach Erfurt reiste. Auch in der Chef-Etage des Zweitens Fernsehens wird die Tonlage immer kritischer: Dass Beckmann bei seinem Zeugenauftritt im Prozess "nicht einen Hauch von Selbstkritik" gezeigt habe, sei schon bemerkenswert, heißt es in Mainz. Was geschehen sei beim Kika, müsse nun gründlich aufgearbeitet werden, denn schließlich "ist das immer auch eine Frage der Amtsführung", sagt ein ZDF-Vertreter. Beckmann will zu derlei Kritik nichts sagen, er verweist auf das, was er im Zeugenstand erklärt habe: Immerhin sei in zehn Jahren "niemals eine beanstandete Rechnung auf meinen Tisch gekommen".

Kein Zweifel: Die Veruntreuungen beim Kika entwickeln sich langsam zum Super-Gau für den MDR. Das ist auch dem scheidenden Intendanten Reiter klar, dessen Lebenswerk mehr und mehr von dem Skandal überschattet wird. Als Reiter kürzlich den Rundfunkrat über die neuen Ermittlungen informierte, kam er auch auf die letzte Sitzung der ARD-Intendanten zu sprechen, bei welcher der Betrugsfall im Kika ein Thema gewesen sei. "Die Stimmung dort", so Reiter, "war durchaus kritisch". Die ARD-Intendanten wollen durchsetzen, dass der Haushalt des Kika jährlich um eine Million reduziert wird - denn immerhin sei ja zuvor auch nicht aufgefallen, dass jeweils rund 800.000 Euro auf betrügerische Weise abgezweigt worden waren. Reiter meint, dem Argument sei "schwer etwas zu entgegnen".

Unterdessen lässt der MDR derzeit diskret prüfen, inwieweit der einstige Herstellungsleiter tatsächlich alle Gelder verspielt hat, wie er behauptet. So notierte ein Abgesandter des vom MDR beauftragten einstigen LKA-Mannes Ingmar Weitemeier aufmerksam jede Zeugenaussage im Prozess. Seine Einschätzung: "Es könnte durchaus noch Geld zu finden sein."

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