Atomausstieg in Deutschland:Ein abgeschaltetes AKW soll wieder ans Netz

Der Atomausstieg wird aufgeweicht: Seit der Katastrophe von Fukushima sind sieben Atomkraftwerke abgeschaltet. Nun soll nach Einschätzung der Bundesnetzagentur eines wieder ans Netz gehen - als Reserve-Reaktor. Deutschland droht sonst eine Lücke bei der Stromversorgung.

Markus Balser

Trotz des von Bundestag und Bundesrat besiegelten Atomausstiegs soll in Deutschland nun doch ein Alt-Meiler als Reserve am Netz bleiben. Die Bundesnetzagentur deutete am Dienstag an, dass die Gefahr von Stromausfällen in den kommenden Wintern nur mit Hilfe eines Reserve-AKW in Süddeutschland abgefangen werden könne. Eines der sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke, die seit der Atomkatastrophe von Fukushima aus Sicherheitsgründen abgeschaltet sind, könnte also wieder ans Netz gehen.

Kernkraftwerk Isar

Läuft das Atomkraftwerk Isar 1 noch als Reserve-AKW weiter? Nach Meinung der Bundesnetzagentur kann eine Stromlücke in den kommenden Wintern wohl nur mit Hilfe eines Reserve-Atomkraftwerkes in Süddeutschland abgefangen werden.

(Foto: dapd)

Die Behörde in Bonn hatte von Bundesregierung und Parlament den Auftrag erhalten, nach Alternativen für ein Atomkraftwerk als Reserve zu suchen. Das misslang. "Die Zahlen, die uns bislang vorliegen, sprechen eher dafür, dass wir eines dieser Kernkraftwerke benötigen", sagte Netzagentur-Chef Matthias Kurth bei einer Konferenz in Berlin. "Die vielbeschworene fossile Kaltreserve hat sich bislang nicht als tragfähige Option entpuppt." Mögliche andere Anlagen wie das Öl-Kraftwerk Pleinting in Niederbayern könnten kurzfristig nicht reaktiviert werden.

Hinter der möglichen Aufweichung des beschleunigten Atomausstiegs steckt die Angst vor einem Stromausfall. Nach Berechnungen der Bundesnetzagentur führt der Wegfall von insgesamt acht alten Atomkraftwerken - den sieben nach Fukushima abgeschalteten Meilern plus dem stillgelegten Pannen-AKW Krümmel - vor allem im industrialisierten Süden Deutschlands zu Stromengpässen. Vor allem an kalten Wintertagen, wenn Windparks und Solaranlagen wenig Strom einspeisen, drohe ein Blackout, befürchtet die Behörde. Die europäischen Nachbarn brauchen ihren Strom dann selbst - Importe können daher keine Abhilfe schaffen.

Bis August will die Netzagentur eine Entscheidung über die Reserve treffen. Dann will sie auch festlegen, welches süddeutsche Atomkraftwerk die Betreiber wieder anfahren können. In Frage kommen die Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I in Baden-Württemberg, Biblis A und B in Hessen sowie der Meiler Isar I in Bayern. Die Bundesnetzagentur sehe dies als Übergangslösung für die kommenden beiden Winter, sagte eine Sprecherin. Danach rechne die Netzagentur mit ausreichend neuen Kohle- und Gaskraftwerken.

Das Aufweichen des Atomausstiegs wäre politisch brisant. Denn die Opposition hatte sich deutlich gegen entsprechende Pläne der schwarz-gelben Koalition ausgesprochen. Fraglich ist zudem, ob ein Altreaktor als Reserve überhaupt wirtschaftlich wäre. Denn das betreffende Kraftwerk müsste womöglich aufgerüstet werden, um höhere Sicherheitsanforderungen nach der Atomkatastrophe in Japan zu erfüllen. Zudem gibt es für den Betreiber keine Garantie, dass der Altmeiler tatsächlich noch einmal ans Netz gehen und Strom produzieren kann. Die Kosten müssten damit voraussichtlich alle Verbraucher über die sogenannte Netzumlage in ihren Stromrechnungen zahlen.

Kurth sprach sich in Berlin zudem für Finanzhilfen beim Bau neuer Gaskraftwerke aus. So könnte die nötige Produktion von Stromkapazitäten per Ausschreibung an den günstigsten Bieter vergeben werden. "Der Wettbewerb ist damit nicht am Ende, wir brauchen nur Kreativität", hielt Kurth Kritikern des Modells entgegen. Diese warnen in der Debatte über neue Subventionen für die Energiebranche vor einer neuen Verstaatlichung des Sektors.

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