Murdoch, die Briten und die Politik:Der naive Mister Cameron

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War es reine Naivität, dass David Cameron den Chefredakteur des Revolverblattes "News of the World" zu seinem Sprecher machte, oder fehlende Menschenkenntnis? Und was ist davon zu halten, dass er so lange an Andy Coulson festgehalten hat? Der Abhör-Skandal ist noch nicht ausgestanden, politisch wird ihn der britische Premier wohl überleben. Doch sein Image ist durch den Murdoch-Skandal schwer ramponiert.

Christian Zaschke, London

Was immer im englischen Abhör- und Bestechungsskandal noch alles ans Licht kommt - Premierminister David Cameron geht aus der Affäre gezeichnet hervor. Der Blick auf ihn wird künftig ein anderer sein. Zwar hatte er am Mittwoch vor dem Unterhaus einen guten Auftritt, zwar sind seine Versicherungen glaubhaft, die Vorgänge gründlich untersuchen zu lassen und Konsequenzen zu ziehen, dennoch bleiben große Zweifel: am Urteilsvermögen des Premierministers - und an seiner Menschenkenntnis.

Premierminister David Cameron: Schwerer Imageschaden (Foto: AFP)

Dass Cameron im Jahr 2007 Andy Coulson zum Sprecher der Konservativen gemacht hat, war eine erstaunliche Entscheidung. Schließlich hatte Coulson zuvor seinen Posten als Chefredakteur der News of the World räumen müssen, weil zwei seiner Mitarbeiter Telefone gehackt hatten und einer dafür verurteilt worden war. Cameron sagte jetzt immer wieder, er habe Coulson persönlich gefragt, ob der etwas von dem Abhörmaßnahmen gewusst habe. Das habe dieser stets verneint.

Es ist immer noch möglich, dass Coulson tatsächlich von nichts wusste. Aber Camerons Vorgehen ist mindestens naiv: Was erwartet er vom arbeitslosen vormaligen Chefredakteur eines Kampagnenblattes? Dass dieser die Aussicht, Sprecher des mutmaßlich zukünftigen Premiers zu werden, aufs Spiel setzt, weil ein paar frühere Mitarbeiter Telefone ausspioniert haben? Wohl kaum. Aber gut, Cameron wollte einen Kampagnenmann, einen Boulevardjournalisten. Vielleicht nahm er deshalb in Kauf, dass Coulson von kriminellen Machenschaften möglicherweise wusste. Das wäre allerdings nicht naiv, sondern dumm.

Nach Camerons Wahl zum Premier im Frühling 2010 bekam die Sache eine andere Qualität, denn ob einer wie Coulson Partei- oder Regierungssprecher ist, macht einen gewaltigen Unterschied. War es zuvor fragwürdig, Coulson anzuheuern, so wird Camerons Verhalten als Premier schlicht unverständlich. Bereits vor seinem Amtsantritt hatte der Guardian Camerons Stabschef informiert, dass Coulson seinerzeit einen verurteilten Straftäter angestellt hatte, der später beschuldigt wurde, im Auftrag der Zeitung die Polizei geschmiert zu haben. Im Mai 2010 warnte der Chef der Liberalen, Nick Clegg, Cameron davor, Coulson zum Sprecher der gemeinsamen Regierung zu machen. Im September 2010 schrieb die New York Times, mehrere Zeugen bestätigten, Coulson habe vom Hacken der Telefone gewusst. Und Cameron? Hielt unbeirrt an Coulson fest. Erst Anfang 2011 trat er zurück.

Cameron wird nicht stolpern über Coulson. Er hat sich zuletzt weit genug distanziert und für den Fall der Fälle eine Entschuldigung angekündigt. Doch der Premier muss damit leben, dass die politischen Eliten im Land ihm nicht vertrauen, weil nicht ganz klar ist, was hinter dem Festhalten an Coulson steckt: fehlendes Urteilsvermögen, Naivität? Letztere würden ihm die Wähler am ehesten verzeihen und die Eliten am wenigsten.

© SZ vom 23.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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