Anschläge in Norwegen:"Das war nicht der letzte Fall"

Seit mehr als 25 Jahren verfolgt Rick Eaton als verdeckter Ermittler die rechtsradikale Szene. Mit der "Süddeutschen Zeitung" sprach der Nazi-Jäger darüber, warum Attentäter oft Teil einer Gruppe waren, bevor sie sich zu "einsamen Wölfen" entwickelten - und dass ihn der Fall des Norwegers Anders Behring Breivik besonders beunruhigt.

Andrian Kreye

Rick Eaton verfolgt seit mehr als 25 Jahren als verdeckter Ermittler für das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles die rechtsradikale Szene. Anfang der neunziger Jahre entlarvte er den bürgerlichen Rechtsradikalismus in Deutschland. Er unterwanderte die Aryan Nations und die nationalistischen Militias in den USA. 1994 spürte er in Argentinien den ehemaligen Hauptsturmführer der SS, Erich Priebke, auf. Den Rechtsradikalismus im Internet beobachtet Eaton schon seit den späten achtziger Jahren.

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"Die Hoffnung ist, dass solche Vorfälle Einzelfälle sind." Rick Eaton über die Anschläge, die Anders Behring Breivik (Foto) in Norwegen verübte.

(Foto: Reuters)

SZ: Erleichtert das Internet die Verbreitung rechtsradikaler Propaganda?

Eaton: Rechtsradikale gehörten bei neuen Medien schon immer zu den Erstanwendern. Die Neonazi-Website Stormfront ging 1995 ans Netz, also kurz nachdem es das World Wide Web überhaupt gegeben hatte. Inzwischen gibt es mehr als 10.000 rechtsradikale Seiten. Davor waren es Netze wie Genie und Compuserve, davor die Bulletin Boards, das Usenet oder Relay Chats.

SZ: Ist Rechtsradikalismus im Internet nicht vor allem hasserfüllter Lärm, den Einzelgänger produzieren?

Eaton: Die Szene ist sehr weit verstreut, allerdings weiß man nie, wann eine Hassbotschaft hängenbleibt und was sie bewirkt. Die Leute, die solche Botschaften in die Welt setzen, wissen das. Es mag schon sein, dass der Normalbürger von solchem Hass abgeschreckt wird. Aber es reicht ja schon eine Minderheit. Daher treten Rechtsradikale ja auch in Fernsehsendungen auf, obwohl sie dort nur beschimpft und ausgebuht werden. 99 Prozent der Zuschauer finden sie furchtbar. Aber ein Prozent wird irgendwie mit ihnen sympathisieren.

SZ: Bleibt das wirklich hängen?

Eaton: Leider ja. Wie Fälle wie Anders Behring Breivik und Timothy McVeigh (1995 tötete der "Oklahoma-Bomber" 168 Menschen, Red.) zeigen. Der Hoffnungsschimmer ist sicherlich, dass solche Vorfälle Einzelfälle sind.

SZ: Sind solche Einzeltäter denn nicht so etwas wie einsame Wölfe?

Eaton: Sie entwickeln sich dazu. Aber zunächst waren sie Teil einer Bewegung. Timothy McVeigh brauchte viele Jahre, bis er sich zu einem "Lone Wolf" entwickelte. Er gehörte zunächst zu jenen Menschen, die gegen die Belagerung des rechtsradikalen Sektenlagers der Branch Davidians in Waco, Texas protestierten, bei der 76 Menschen ums Leben kamen. Benjamin Smith, der 1999 mehrere Leute niederschoss, war erst Mitglied der Church of the Creator. Buford Furrow, der im selben Jahr das jüdische Gemeindezentrum zusammenschoss, gehörte zu den Aryan Nations. Und so wie ich das Manifest von Anders Behring Breivik verstehe, gehörte er zu einer Gruppe, die sich 2002 traf, weil sie den Tempelorden neu gründen wollte, um Muslime zu bekämpfen. Der "Lone-Wolf"-Philosophie verschrieben sie sich alle erst nach Jahren.

SZ: Gibt es eine solche Philosophie?

Eaton: Der kalifornische Rechtsradikale Alex Curtis hat sie Ende der neunziger Jahre propagiert. Er hat sie sich sicherlich nicht ausgedacht, sondern wahrscheinlich aus linker Literatur abgeschrieben. Aber in seinen Texten ging es ihm letztlich darum, eine Operation im Alleingang durchzuführen, weil man als Einzelner nicht infiltriert werden kann. Er hat sich allerdings selbst nicht daran gehalten und wurde mit drei Verbündeten verhaftet.

SZ: Warum sind die meisten rechtsradikalen Attentate aus den USA bekannt?

Eaton: Das ist schwer zu sagen. Aber wir haben im Rest der Welt nur wenige Fälle beobachtet. Sicherlich ist es in den USA leichter, Kontakt zu radikalen Gruppen und Philosophien zu bekommen. Dazu kommt, dass man hier an jede nur erdenkliche Waffe kommt. Obwohl die Waffenverbote Breivik ja auch nicht verhindert haben.

SZ: Hat das Netz die rechtsradikale Szene verändert?

Eaton: Nein, die Szene selbst hat sich verändert. Wir sind mit dem Bild vom tumben Redneck mit Baseballschläger aufgewachsen. Doch seit zwanzig Jahren präsentiert sich der Rechtsradikalismus immer intelligenter.

SZ: Seit wann gehört der Anti-Islamismus zum Repertoire der Rechten?

Eaton: Anti-Islamismus beobachten wir erst seit ein paar Jahren. Das war sicherlich eine Folge von 9/11. Der Fall in Norwegen beunruhigt uns allerdings. Ich glaube nicht, dass das der letzte Fall war.

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