Überteuerte Großprojekte:Auf Lügen errichtet

Ob Sydneys Oper, der Überschalljet Concorde oder der Busbahnhof in Hamburg - überall in der Welt kosten Bauprojekte mehr Geld als versprochen. Politik und Verwaltung sind dann beschämt, viele verdienen allerdings an den falschen Berechnungen.

Sebastian Beck

Rolf Westphalen kann jetzt endlich mal gute Nachrichten verkünden: Irgendwann in diesem Sommer soll der Busbahnhof Bergedorf tatsächlich eröffnet werden, versichert der Sprecher der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH). Ob bis dahin das Dach drauf ist, steht zwar noch nicht fest. Aber das zählt ohnehin zu den Detailproblemen, wenn man die Baugeschichte betrachtet: Vier Jahre lang hat die VHH als Projektträger an dem Busbahnhof herumgewurstelt, ein Allerweltsgebäude, das vor allem dadurch auffällt, dass seine Kosten von 20,8 auf 44,1 Millionen Euro gestiegen sind. "Eine schwierige Baustelle" sei das gewesen, sagt Westphalen, "ein komplexes Projekt".

Opernhaus in Sydney

Die Oper von Sydney (hier eine Aufnahme von 2002) war bei ihrer Eröffnung 1973 fünfzehn Mal so teuer wie geplant.

(Foto: REUTERS)

Warum der Busbahnhof am Ende aber mehr als doppelt so teuer wie geplant wird, dazu möchte sich Westphalen lieber nicht äußern. Schließlich haben sich andere bereits ausgiebig mit dieser Frage befasst - unter ihnen die Hamburger Bürgerschaft und der Rechnungshof. Denn der Busbahnhof in Hamburg-Bergedorf diente als Modellfall zur Beantwortung einer Frage, die Politiker wie Bürger auch angesichts der Kontroverse um den geplanten Stuttgarter Tiefbahnhof gleichermaßen umtreibt: Warum werden gerade bei öffentlichen Großprojekten die Kosten so oft unterschätzt?

Die Antworten darauf hat Hamburgs Rechnungshof im vergangenen Jahr zu einem 78-seitigen Gutachten zusammengefasst. Es ist die umfangreichste Untersuchung dieser Art in Deutschland, und sie zeichnet ein für Politik und Verwaltung beschämendes Bild: Bei den 104 Projekten, mit denen sich die Rechnungsprüfer zwischen 1989 und 2009 in ihren Jahresberichten befasst hatten, rügten sie 368 Mängel, die zu einer Kostensteigerungen von 301 Millionen Euro führten.

Ein Großteil der Fehler wird demnach bereits zu Beginn gemacht: "Schlecht geplant heißt teuer gebaut", lautet ein Fazit der Rechnungsprüfer. Alleine überzogene Standards haben Mehrkosten von 90 Millionen Euro verursacht - bei mehr Sparsamkeit und einer besseren Aufsicht wäre dies vermeidbar gewesen. Dazu aber brauche man "Sach- und Fachverstand in der Verwaltung", also "stadteigenes Personal mit praxisnaher Erfahrung", heißt es in den 20 Leitlinien, die das Gutachten zusammengefasst hat. Damit sich Fälle wie Bergedorf nicht wiederholten, dürften künftig nur noch dann Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden, wenn Projekte auch wirklich baureif seien.

Extrem oberflächlich

In Bergedorf war dies nicht der Fall: Der Bauherr sei überfordert, die Kostenschätzung extrem oberflächlich gewesen, sagt ein Lokalpolitiker, der nicht genannt werden will. Und der Stadt mangele es an Kapazitäten, um solch komplizierte Bauten zu betreuen. Dass in Hamburg nach der Expertise des Rechnungshofs künftig die Kostenvorgaben eingehalten werden, erscheint jedoch unwahrscheinlich - zumindest dann, wenn man die Erfahrungen von Bent Flyvbjerg zugrunde legt.

Der Professor für Planung an der Universität Oxford beschäftigt sich seit Jahren mit internationalen Großprojekten und der chronischen Abweichung zwischen geschätzten und realen Kosten. Der Busbahnhof in Bergedorf nimmt sich hier im Vergleich wie eine zu teuer geratene Garage aus. Flyvbjerg hat in einer Studie 258 Verkehrsprojekte mit einem Volumen von 90 Milliarden Dollar untersucht. Besonders anfällig für Teuerungen sind Bahnprojekte: Hier ergaben sich im Schnitt Mehrkosten von 45 Prozent gegenüber der anfänglichen Planung, bei Tunneln und Brücken sind es 34 Prozent, dahinter folgen Straßen mit 20 Prozent. Zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten gibt es keinen Unterschied, auch Deutschland rangiert nur im Mittelfeld: Die Kalkulationen sind überall gleichermaßen fehlerhaft.

Strategische Verfälschungen

Das gilt nicht nur für Verkehrs-, sondern für sämtliche Infrastrukturprojekte: Als Beispiele führt Flyvbjerg die Oper von Sydney an, die bei ihrer Eröffnung 1973 fünfzehn Mal so teuer wie geplant war, oder den Überschalljet Concorde, dessen Baukosten die Schätzungen um das Zwölffache übertrafen. Flyvbjerg zieht einen ebenso simplen wie provozierenden Schluss daraus: "Fehlkalkulationen können nicht durch Fehler erklärt werden, sondern sind am ehesten auf strategische Verfälschung, also Lügen zurückzuführen." Das erinnert an die Debatte um Stuttgart 21 und die "Lügenpack"-Parolen der Projektgegner. Zumindest mussten auch hier die Kosten alleine für die ICE-Strecke von zwei auf 2,89 Milliarden Euro korrigiert werden.

Ein merkwürdiger Befund

Flyvbjerg listet in seiner Studie eine Reihe von Indizien auf, die seine Schwindelthese belegen sollen: etwa den Umstand, dass Kosten für Großprojekte vor 70 Jahren genauso unterschätzt wurden wie heute. Offensichtlich haben mehrere Generationen von Projektmanagern nichts dazugelernt - in den Augen von Flyvbjerg ein merkwürdiger Befund, der sich nur so erklären lasse: Die systematische Unterschätzung von Kosten zahlt sich aus, und zwar für denjenigen, der daran verdient. So interviewten US-Forscher Beamte, Planer und Berater, die an Verkehrsprojekten beteiligt waren: Die Befragten gaben zu, dass sie für Vorgesetzte Zahlen schönrechnen mussten, um eine Entscheidung zugunsten des Projekts zu erreichen.

Ein solches Verhalten wird bei öffentlichen Ausschreibungen sogar noch belohnt, auch in Deutschland: Denn hier gewinnt nicht derjenige, der die realistischen Kosten ansetzt, sondern derjenige, der die niedrigsten Kosten vorgaukelt, auch wenn er später Nachforderungen erheben muss. Schließlich kann man sich darauf verlassen: Wenn erst einmal die Baugrube ausgehoben ist, dann werden Projekte fertiggestellt - koste es, was es wolle. Eine Ruine in der Landschaft macht sich für die Politik zu schlecht.

Vor dem Bau des Kanaltunnels zwischen England und Frankreich köderte die private Tunnelgesellschaft Investoren mit naiven Prognosen: Die Bohrtechniken seien erprobt, das Kostenrisiko belaufe sich auf zehn Prozent, warb die Betreibergesellschaft 1987 bei Banken - ein unrealistisches Szenario für ein Projekt dieser Größenordnung. Alle Risiken wie etwa Bauverzögerungen, Managementprobleme oder veränderte Vorschriften wurden dabei ausgeblendet. Eine durchaus übliche Form der Täuschung, die von der Weltbank als "Egap-Prinzip" bezeichnet wird: everything goes according to plan - alles läuft nach Plan. Beim Kanaltunnel war das nicht der Fall: Er kostete schließlich 15 Milliarden Euro - doppelt so viel wie geplant.

Das Argument, wonach man für ehrgeizige Projekte eben Kostensteigerungen in Kauf nehmen müsse, lässt Flyvbjerg nicht gelten: Zwar könne Sydney über sein Opernhaus glücklich sein. Doch in demokratischen Staaten sei man nun einmal auch verpflichtet, den Parlamenten vor Entscheidungen über Investitionen wahrheitsgemäße Informationen zu liefern. Und eine Voraussetzung dafür seien eine gute Planung und funktionierende Kontrollen - hier deckt sich Flyvbjergs Einschätzung mit der des Rechnungshofs. Flyvbjerg geht aber noch weiter: Absehbare Kalkulationsfehler sollten bestraft werden, fordert er.

Solange dies nicht der Fall ist, gibt er Gesetzgebern, Banken, Verwaltungen und Medien einen Ratschlag: Den Kalkulationen von Projektmanagern und Gutachtern sollten sie stets misstrauen.

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