Schuldenkrisen in Europa und den USA:Die Orte der Angst

Weder Europa noch den USA gelingt es, an den Märkten Vertrauen zu schaffen. Trotz Griechenland-Rettungsplan und US-Schuldenkompromiss wächst überall die Nervosität - von New York über Frankfurt bis Tokio. Und neben den aktuellen Sorgen um Italien und Spanien schwelt auch das Griechenland-Problem weiter. Ein Überblick über die Krisen-Orte.

Johannes Aumüller

Es waren die Tage, die alle finanzpolitischen Unsicherheiten beenden sollen. Vor zwei Wochen kamen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zusammen, um mit großem Tamtam das nächste und diesmal wirklich ultimative Griechenland- und Euro-Rettungspaket zu verkünden. Und in den USA verständigten sich zu Beginn der laufenden Woche Demokraten und Republikaner in letzter Minute, die Schuldenobergrenze von 14,3 Billionen Dollar anzuheben - und verhinderten so die Zahlungsunfähigkeit der USA und die Herabstufung durch die Ratingagenturen.

Computer displays are seen in front of the DAX Index board on the trading floor at Frankfurt's stock exchange

Die Nervosität an den Börsen ist derzeit immens.

(Foto: REUTERS)

Na wunderbar, dachten sich da viele: Dann ist ja alles geklärt, die finanzpolitische Welt ist wieder halbwegs in Ordnung. Falsch gedacht. Nur wenige Tage nach den großen Rettungen herrschen wegen der immer noch ungelösten Euro-Krise und der angespannten Wirtschaftslage in den USA allerorten wieder Angst und Unsicherheit - von Athen bis Tokio. Ein Überblick.

[] New York: Der große Crash ist ausgeblieben, die Ratingagenturen stufen die USA nach dem Last-Minute-Kompromiss nicht zurück. Vorerst nicht. Denn die Märkte sind mit der Übereinkunft zwischen Demokraten und Republikanern keineswegs zufrieden. Sie befürchten, dass der Deal die strukturellen Haushaltsprobleme nicht wirklich löst, sondern nur aufschiebt - und dass die angedachten Sparideen die ohnehin schwächelnde Wirtschaft noch weiter abwürgen. Die jüngsten Konjunkturdaten fallen durch die Bank schlechter als erwartet aus. Entsprechend warnen die Ratingagenturen Moody's und Fitch bereits, die Vereinbarung werde mittelfristig nicht reichen, um das Spitzenranking der USA zu sichern.

[] Bern: Früher redeten Finanzexperten des Öfteren von der Euro-Dollar-Parität, also jenem Moment, in dem ein Euro exakt einen Dollar wert ist. Diese Zeiten sind weit entfernt: Der Euro liegt gerade bei etwa 1,43 Dollar. Stattdessen könnte es aber bald zu einer Euro-Franken-Parität kommen. Die Schweizer Währung stieg in den vergangenen Tagen so stark, dass ein Euro nur noch 1,10 Franken wert war. Dieser Run der Spekulanten und der Anleger, die tatsächlich eine sichere Anlage wünschen, schmeckt den Schweizern überhaupt nicht. Schweizer Waren verkaufen sich bei solchen Währungskonstellationen im Ausland deutlich schlechter. Deswegen senkte die Nationalbank am Mittwoch überraschend deutlich den Leitzins auf nahezu Null und pumpte viele Franken in den Markt.

[] Tokio: Eine besondere Situation hat sich in den vergangenen Tagen in Japan entwickelt. Die Wirtschaft des Landes leidet seit der Katastrophe von Fukushima merklich - und was macht die japanische Währung? Der Yen steigt und steigt und steigt: Denn die Eurokrise und die Angst vor einer Rezession in Amerika treiben die Anleger nicht nur in den Schweizer Franken, sondern auch in den Yen. Und das stellt für die Japaner ein noch größeres Problem dar als für die Schweizer, weil ihre Wirtschaft weitaus intensiver vom Export abhängig ist und eine stärkere Währung für schlechtere Exportgeschäfte sorgt. Entsprechend reagiert das Land nun. Die Regierung verkauft Yen, um "spekulative und ungeordnete Wechselkursbewegungen einzudämmen", und flankierend pumpt die Nationalbank mehr Geld auf den Markt.

[] Rom: Monatelang waren sich sowohl die verantwortlichen Politiker um Premierminister Silvio Berlusconi als auch die Beobachter sicher, dass Italien nicht unter den Druck der Finanzmärkte geraten werde - zu gut sei das Land grundsätzlich aufgestellt. Diese Einschätzung war falsch. Der Zinsaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen lag am Mittwoch bei gut sechs Prozent. Zwar sank dieser Wert nach Berlusconis Auftritt im Senat und in der Abgeordnetenkammer am Donnerstag etwas, aber zur Einordnung dennoch ein Vergleich mit Griechenland: Als im vergangenen Jahr die Zinsen der zehnjährigen Staatsanleihen auf sieben Prozent kletterten, begann die intensive Phase der Rettungsdiskussionen. Im Herbst muss Italien insgesamt 80 Milliarden Euro umschulden - angesichts der derzeitigen Zinssätze eine immense Herausforderung. Und die Prognosen sind entsprechend düster: Italien werde angesichts des Schuldenbergs nur dann eine Pleite vermeiden können, wenn die Wirtschaft kräftig wachse, sagte das Centre for Economics and Business Research (CEBR). "Realistisch betrachtet steht Italien die Zahlungsunfähigkeit bevor."

Und dann ist da noch Griechenland

[] Madrid: Wer sich nur die ökonomischen Rahmendaten anschaut, muss zu dem Schluss kommen: Spanien ist im Kern eine gesunde Volkswirtschaft. Die Schuldenquote, also das Verhältnis der Staatsverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt, zum Beispiel liegt bei 70 Prozent - deutlich unter dem EU-Schnitt und auch unter dem deutschen Wert (83,2 Prozent). Aber dennoch gerät das Land an den Märkten immer stärker unter Druck. Die Zinsaufschläge für zehnjährige Staatsanleihen liegen fast auf italienischem Niveau. Am Donnerstag musste das Land bei einer Anleihe-Auktion höhere Zinsen als zuletzt zahlen. Insgesamt sammelte die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone 3,3 Milliarden Euro frisches Geld für die bis 2014 und 2015 laufenden Bonds ein. Die Nachfrage war etwas zögerlicher als erhofft. Spanien hatte angepeilt, bis zu 3,5 Milliarden Euro einzunehmen. Die Regierung Zapatero kapitulierte bereits vor den Attacken der Märkte - und kündigte vorgezogene Neuwahlen an.

[] Brüssel: Nun müsse mal Schluss sein mit diesen ständigen Treffen - diese Losung hatte Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, der auch als Eurogruppen-Chef fungiert, nach dem großen Gipfel vor zwei Wochen ausgegeben. Kurze Zeit später war diese Hoffnung dahin. Zwar gab es keine Zusammenkunft aller 27 EU-Staats- und Regierungschef, um ein neues Rettungspaket zu schnüren. Aber immerhin sahen sich die Verantwortlichen schon dazu veranlasst, öffentlich auf ein Treffen Junckers mit Italiens Finanzminister Giulio Tremonti hinzuweisen - "um die Märkte zu beruhigen". Eine vergebliche Hoffnung. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy prangerte in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung den Umgang der Märkte mit "gesunden Volkswirtschaften" wie Italien oder Spanien an. Und Kommissionschef José Barroso schlug wegen der hohen italienischen und spanischen Zinsaufschläge Alarm.

Überhaupt, Juncker und Van Rompuy: Offenbar sind Europas Spitzenpolitiker schon so unsicher, dass sie sich künftig anders aufstellen wollen. Der Eurogruppen-Chef Juncker schlug vor, dass Van Rompuy künftig nicht nur als EU-Ratspräsident, sondern auch als Sprecher des Euro fungieren solle.

[] Frankfurt I: Die Europäische Zentralbank musste in der Schuldenkrise viel Kritik einstecken. Gleich zweifach verstieß sie gegen eigene Prinzipien: zum einen, indem sie griechische Staatsanleihen in einem enormen Umfang aufkaufte, und zum zweiten, indem sie eine höhere Inflationsrate bewusst zuließ. Dieses Verhalten führt zu neuen Begehrlichkeiten. Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) verlangt einen Eingriff der EZB in den Bondmarkt. "Wir brauchen jemanden, der interveniert", sagte der Chefökonom für Europa, Jean-Michel Six, dem französischen Radiosender Inter Radio. "Der einzige Feuerwehrmann, der uns schnell aus dem brennenden Haus tragen kann, ist die EZB, die seit Beginn der Krise bei der Beruhigung der Märkte eine bewundernswerte Rolle gespielt hat." Der Zentralbank-Rat beließ den Leitzins wie erwartet bei 1,5 Prozent.

[] Frankfurt II: "Der Markt ist komplett durchgedreht. Gestern bin ich eine Zigarette rauchen gegangen, und als ich zurückkam, war der Dax um 70 Punkte gefallen. Ich komme gerade aus meiner Zigarettenpause zurück und der Markt ist 100 Punkte gefallen - ich sollte wohl das Rauchen aufgeben." So kommentierte am Mittwoch ein Aktienhändler die dramatischen Einbrüche des Deutschen Aktienindex (DAX), und in der Tat: Der deutsche Leitindex hat eine schlimme Woche hinter sich. Von mehr als 7300 Punkten stürzte er bis Donnerstag auf sein Jahrestief von unter 6450 Punkten.

[] Athen: Die griechische Regierung dürfte die Tage genießen. Das zweite Rettungspaket ist verabschiedet, fast 110 Milliarden Euro fließen in den nächsten Jahren zusätzlich, und derzeit stehen ausnahmsweise einmal andere Staaten im Fokus, die USA, Spanien und Italien. Doch es ist nur eine Frage von Tagen, bis Athen wieder mehr Aufmerksamkeit bekommt. Denn das vollmundig angekündigte Sanierungsprogramm kommt nur schleppend in Fahrt. Die Taxifahrer demonstrieren gegen die angekündigten Liberalisierungen, auf die EU und IWF bestanden hatten. Die Schuldenquote des Landes könnte neuesten Berechnungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge im kommenden Jahr auf den Rekordwert von 161 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ansteigen. Und es ist noch nicht mal ansatzweise klar, wie es die im Sparpaket angedachten 50 Milliarden Euro an Privatisierungserlösen zusammenbekommen soll.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: