Euro-Krise und der Kurssturz:Schrille Töne aus Europas Panik-Orchester

Kommissionschef Barroso auf Irrwegen: Der Portugiese entfacht mit seinem Brandbrief an die EU-Regierungen einen Machtkampf unter den Euro-Rettern und schickt damit die Märkte tief ins Minus. Dabei gibt es ökonomisch gesehen keinen Grund zur Panik - und die politischen Probleme in den kriselnden Ländern können mit Geld eh nicht gelöst werden.

Claus Hulverscheidt, Nico Fried und Cerstin Gammelin

In dieser Woche erschien in vielen deutschen Tageszeitungen ein Foto, das Angela Merkel samt Ehemann Joachim Sauer bei einem Spaziergang durch ihren Urlaubsort Sulden zeigt - sie im schicken weißen Blazer mit dezent abgesetztem olivgrauen Kragen und gleichfarbiger Hose, er in Jeans, hellem Hemd und dunkelblauem Pullover. Im Hintergrund lässt sich das Bergpanorama Südtirols erahnen. Auf dem Bild lächelt Merkel freundlich, es sieht sogar so aus, als würde sie den Fotografen einen kleinen Scherz zurufen. Ganz offensichtlich wusste sie in dem Moment noch nicht, dass José Manuel Barroso mal wieder zu einer Irrfahrt aufgebrochen war.

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EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: Penetrant, wenn er von einer Idee überzeugt ist?

(Foto: AFP)

Am Donnerstag veröffentlichte Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, einen Brief, den er von seinem Urlaubsort in Portugal aus an die EU-Regierungschefs verschickt hatte. Darin heißt es sinngemäß, dass die beim Sondergipfel am 21. Juli getroffenen Entscheidungen zur Rettung des Euro nicht ausreichten. Vielmehr müsse das Hilfspaket der Staatengemeinschaft, das bereits 440 Milliarden Euro umfasst, aufgestockt werden, weil sonst Frankreich und Italien in den Schuldenstrudel hineingezogen werden könnten und die Märkte weiter verrückt spielten.

Mit Letzterem immerhin behielt Barroso recht: Nach Bekanntwerden seines Schreibens brachen die Kurse an den Aktienbörsen so drastisch ein wie zuletzt auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2008.

Im Berliner Kanzleramt ist man seither - höflich ausgedrückt - verstimmt über den Kommissionschef, an anderer Stelle ist gar von einem "Amoklauf" die Rede. Und Angela Merkel wird sich fast 900 Kilometer weiter südlich in Südtirol zum wiederholten Male gefragt haben, was sie eigentlich 2009 geritten hat, dem damals wie heute umstrittenen Portugiesen zur Wiederwahl zu verhelfen.

Europäisches Großmannstheater

Schon mehrmals hat Barroso die Kanzlerin seither eher undiplomatisch und ohne Rücksicht auf ihre innenpolitischen Nöte angegriffen. Barroso kann zudem, so wissen Eingeweihte aus dem Kanzleramt zu berichten, sehr penetrant sein, wenn er von einer Idee überzeugt ist oder ehrpusselig seine eigene Position im europäischen Großmannstheater stärken will. Dann kommt es vor, dass er immer wieder bei Merkel anruft, um ganz sicher zu sein, dass auch sie sich für seinen Vorschlag begeistert. Und wenn auch das nicht mehr hilft, geht er an die Presse.

So war es nach Einschätzung aus Berliner Regierungskreisen auch dieses Mal. Vergangene Woche Samstag hatte EU- Ratspräsident Herman Van Rompuy im Gespräch mit vier großen europäischen Zeitungen erläutert, wie die Euro-Rettung gelingen soll. Am Dienstag darauf schlug Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der Euro-Finanzministerrunde, im französischen Figaro Van Rompuy als eine Art Chef-Sprecher für den Euro vor, um die Kakophonie in Europa zu beenden. Gleichzeitig hieß es in Medienberichten, Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy unterstützten diese Idee. Das muss, so mutmaßt man in Berlin, der Moment gewesen sein, in dem Barroso merkte, dass die Dinge wieder einmal an ihm vorbeilaufen könnten.

Natürlich gibt es auch Menschen, die hinter dem Brief des Kommissionschefs edlere Motive vermuten als pures Beleidigtsein. Sein Sprecher etwa sagt, Barroso habe das Schreiben verfasst, "weil die Märkte eben keinen Urlaub machen und verrückt spielen". Die Gipfelbeschlüsse seien wegweisend gewesen, nun aber bestehe "eine reale Ansteckungsgefahr in Italien und Spanien". Deshalb müsse "die politische Steuerung der Euro-Zone verbessert werden".

Was sich allerdings seit jenem 21. Juli genau so dramatisch verändert haben soll, dass ein Brandbrief gerechtfertigt wäre, können auch Barrosos Verteidiger nicht sagen. "Wir haben vor zwei Wochen einen vernünftigen Mechanismus zum Umgang mit solchen Krisen vereinbart, wir arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung - was also soll dieser Aktionismus?", heißt es in Kreisen der EU-Mitgliedsländer. "Barroso versetzt die Akteure an den Finanzmärkten einmal mehr in Panik, weil die denken, er wüsste etwas, was sie nicht wissen."

Eher politische als ökonomische Krisen

Ökonomisch gesehen ist Panik unangebracht, denn die Lage in den potentiellen Krisenländern hat sich in jüngster Zeit eher verbessert: Spanien hat tiefgreifende Reformen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Rente und im Bankensektor, Italien ein durchaus ambitioniertes Sparprogramm auf den Weg gebracht. Politisch gesehen allerdings - und hier könnte die Erklärung liegen - sieht es genau umgekehrt aus: In Spanien stehen vorgezogene Neuwahlen an, und niemand weiß, ob die konservative Volkspartei im Falle einer Machtübernahme den Sparkurs der Sozialisten fortsetzen würde.

Und Italien wird nicht nur von einem Ministerpräsidenten mit zweifelhaftem Ruf regiert, vielmehr fallen ausgerechnet jetzt die beiden wichtigsten Stabilitätsgaranten aus: Finanzminister Giulio Tremonti ist in einen Skandal verstrickt, Notenbankchef Mario Draghi wechselt an die Spitze der Europäischen Zentralbank und hinterlässt daheim ein riesiges Vakuum. Darüber hinaus gibt es noch den fragwürdigen Deal im US-Schuldenstreit, der ganz generell die Attraktivität von Staatsanleihen für Kapitalanleger nicht erhöht hat.

All diese politischen Probleme lassen sich aber mit Geld nicht lösen", sagt einer, der die Gespräche der europäischen Regierungen untereinander aus nächster Nähe beobachtet. "Eine Aufstockung des Rettungsfonds brächte also nichts." Hinzu kommt, dass sich das Ausleihvolumen auch gar nicht so einfach weiter erhöhen ließe. Frankreich etwa muss schon heute für so viele Darlehen bürgen, dass dem Land an den Märkten der Verlust seiner Top-Bonität droht. "Ein Rettungsschwimmer kann maximal zwei Schiffbrüchige gleichzeitig vor dem Ertrinken retten", sagt ein hoher Regierungsberater in Berlin. "Wenn sich mehr Menschen an ihn klammern, geht er selber unter."

Ob Barroso all dies nicht bedacht oder schlicht ignoriert hat, als er die Börsen mit seinem Brief auf Talfahrt schickte, will man in Berlin nicht bewerten. Dass die Kanzlerin aber wieder einmal mächtig verärgert über ihn ist, bestreitet niemand ernsthaft. "Eigentlich", sagte ein mit beiden gut bekannter Europa-Politiker schon vor Monaten, "müssen sich die beiden inzwischen hassen."

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