Hungerkatastrophe in Ostafrika:"Es bricht mir das Herz"

Inzwischen müssen Mütter hungernder Kinder in Somalia bei Milizen betteln gehen. Die Weltgemeinschaft konferiert über die Hungerkatastrophe - den Rettern fehlt eine Milliarde Dollar, doch kommen Hilfsgelder tatsächlich bei den Opfern an?

Tim Neshitov

Maulid Aden Warfa bewundert sie, diese Frauen, die mit den Islamisten verhandeln, damit ihre Kinder nicht verhungern, damit die Tüten mit der energiereichen Erdnussbutter auch in ihren Dörfern in Süd- und Zentralsomalia ankommen. "Das sind sehr starke Frauen", sagt Warfa. "Ohne sie könnten wir unsere Hilfslieferungen kaum verteilen."

Horn of Africa famine

Kind in Nordost-Kenia: Wie kann die Welt die Hungerkatastrophe in Ostafrika beenden?

(Foto: dpa)

Warfa kennt den Bürgerkrieg und das Gefühl, hungrig ins Bett zu gehen und hungrig aufzuwachen. Er verbrachte seine Kindheit im Flüchtlingslager Qoryooley am Fluss Shabeelle im Süden Somalias. Heute koordiniert er für das UN-Kinderhilfswerk Unicef die Rettungsaktionen in den somalischen Hungergebieten, wo mittlerweile jeden Tag 13 von 10.000 Kindern unter fünf Jahren sterben.

Wahrscheinlich würden viel mehr kleine Somalier sterben, wenn die Frauen nicht tagtäglich auf die Bärtigen einreden würden, trotz der Angst, auf der Stelle erschossen zu werden mit einer Kalaschnikow, die zum Gewaltsymbol der Gotteskrieger geworden ist. Die Einheiten der Afrikanischen Union haben zwar kürzlich die Shabaab-Miliz aus den meisten Vierteln der Hauptstadt Mogadischu vertrieben, aber auf dem Land kontrollieren die Islamisten Tausende Dörfer und Städtchen, in denen mehr als zwei Millionen Menschen auf Nothilfe warten.

Kommen die Spenden der Deutschen tatsächlich bei den Hungernden an oder landen die Lebensmittel bei den Milizionären, die sie womöglich zu überhöhten Preisen an die Dorfmärkte weiterreichen? Preise für Nahrung sind in der Region um 200 bis 300 Prozent gestiegen - nicht nur wegen der Dürre, sondern auch wegen der Spekulanten auf den Weltmärkten.

Viele Fragen der Spender

Was unternimmt die Welt, damit der jahrzehntelange Bürgerkrieg endlich aufhört? Damit die islamistische Shabaab-Miliz die Frauen und die Kinder der Viehhalter in Ruhe lässt, die in diesem Sommer ihre Tiere an die Dürre verloren haben? Und was tun all die wohlhabenden Exil-Somalier, die vor dem Bürgerkrieg nach Kenia oder Südafrika fliehen konnten?

Westliche Spender, die sich über die Lage vor Ort kaum informieren können, haben in diesen Tagen viele Fragen. "One", eine internationale Organisation, die Geberländer dazu drängt, ihre Hilfszusagen einzuhalten, hat deswegen eine weltweite Telefonkonferenz organisiert. Maulid Aden Warfa, der Unicef-Koordinator, und Kristalina Georgieva, die zuständige EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, standen Rede und Antwort.

"Die Lage ist schwierig, aber nicht hoffnungslos", sagte Warfa. Auf die Übergangsregierung, die hauptsächlich damit beschäftigt ist, ihre eigenen Minister zu schützen, und außerdem als korrupt gilt, kann sich Unicef kaum verlassen. Das Hilfswerk arbeitet stattdessen mit mehr als 70 einheimischen Organisationen zusammen, die ihrerseits auf die Überzeugungskunst von Dorfältesten und von Frauengruppen angewiesen sind. Soldaten der Afrikanischen Union schießen auf die Shabaab-Kämpfer - Helfer müssen versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Eine Milliarde Dollar fehlt

"Unsere Mitarbeiter werden entführt, es ist ein Kampf", sagte Warfa. "Aber wir haben auch unsere Hebel. Manchmal drohen wir damit, dass wir eine Gegend ganz verlassen, wo es kaum Wasser gibt und nichts zu essen. Dann lenkt die Shabaab ein, denn sie befürchtet Aufstände in der verzweifelten Bevölkerung."

Hungerkatastrophe in Ostafrika: Täglich verhungern in der westafrikanischen Krisenregion 13 von 10.000 Kindern unter fünf Jahren. Schätzungen der Vereinten Nationen sind Zehntausende bereits gestorben. Mehr als 11 Millionen Menschen brauchen Hilfe.

Täglich verhungern in der westafrikanischen Krisenregion 13 von 10.000 Kindern unter fünf Jahren. Schätzungen der Vereinten Nationen sind Zehntausende bereits gestorben. Mehr als 11 Millionen Menschen brauchen Hilfe.

(Foto: AP)

EU-Kommissarin Kristalina Georgieva, die kürzlich von einer Reise nach Somalia zurückkam, musste erklären, wieso Europa dem Bürgerkrieg und dem Klimawandel am Horn von Afrika so lange zugesehen hat. Sie konnte jedoch weder sagen, warum die Friedenstruppen der Afrikanischen Union weiterhin chronisch unterfinanziert sind, noch wie genau sich die Europäische Kommission die Zukunft von Millionen Halbnomaden auf dem Nachbarkontinent vorstellt, die wegen der häufigen Dürren von der Viehhaltung nicht mehr leben können. "Es bricht mir das Herz", sagte die Kommissarin lediglich, "zu sehen, dass diese Menschen unter Naturkatastrophen leiden, die nicht sie, sondern andere verursacht haben."

Gespräche mit den Islamisten zu führen, sei "sehr schwierig": "Al-Shabaab ist wie ein Drache mit vielen Köpfen. Man müsste mit jedem Kopf einzeln verhandeln." Derzeit komme es darauf an, "Nothilfe über vorhandene Kanäle zu leisten", und Nothilfe heißt Geld.

Eine Milliarde Dollar fehlt den Hilfswerken, damit sie - in einem täglichen Tauziehen mit den Islamisten - die Hungernden erreichen können. Die Kommission hat aus der EU-Kasse bereits 100 Millionen Euro bereitgestellt, weitere 60 Millionen seien gebilligt worden, versicherte Georgieva. Der Rest müsste eigentlich von den Mitgliedsstaaten kommen. Bisher haben jedoch nur 15 der 27 EU-Länder Zusagen gemacht.

Gelobt hat die Kommissarin Großbritannien, Schweden, Frankreich und Dänemark, Deutschlands Beitrag blieb unerwähnt. Berlin hat seine Hilfe auf zuletzt 12,1 Millionen Euro erhöht, etwa ein Fünftel des britischen Beitrags. Allerdings zahlt Deutschland weitere 32 Millionen Euro in den EU-Topf ein. Verglichen mit dem, was Exil-Somalier in das Bürgerkriegsland überweisen, sehen diese Beträge nicht groß aus - jedes Jahr überweisen sie bis zu zwei Milliarden Euro. 80 Prozent aller Bauarbeiten würden ebenfalls von Exil-Somaliern finanziert, sagt Unicef-Koordinator Warfa.

Eine Notration für die ganze Familie

Die nächste Ernte am Horn von Afrika wird frühestens im kommenden Januar erwartet - vorausgesetzt, dass die Regenzeit im Oktober nicht ausfällt. Die Not wird bis dahin nur zunehmen. Mitarbeiter von SOS-Kinderdörfern weltweit berichten von Familien, welche die Notrationen für ihre unterernährten Kinder unter allen Familienmitgliedern aufteilen.

Bis die neue Ernte wächst, werde die EU sicherstellen, "dass so viel Nothilfe für die Region bereitsteht, wie die Hilfswerke nur aufnehmen können", sagt Kommissarin Georgieva zum Schluss der Telefonkonferenz. Sie habe schon Briefe an Parlamente und Regierungen aufgesetzt. One-Unterstützer werden ihrerseits mit Petitionen und der Hilfe von Prominenten ihren Druck auf die Geber erhöhen. Man bedankt sich gegenseitig in der transnationalen Leitung, auch U2-Frontmann Bono werde abends bei CNN zusammen mit einem somalischen Sänger einen Appell an die Weltgemeinschaft richten, schönen Abend allerseits.

Zurück bleibt das vage Bild von somalischen Frauen, die in entlegenen Dörfern auf die Bärtigen einreden. Und die Frage: Wie viele Kinder sind während dieser Telefonkonferenz verhungert?

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