Netz-Depeschen:Geschnatter um Authentizität

Sind Algorithmen Menschen? In sogenannten "Turing-Tests" chatten Computer mit Testern. Das Ziel: Nach 25 Minuten sollen diese immer noch denken, sie reden mit einer realen Person. Twitter gelingt das schon recht gut. Netz-Pessimisten bekommen einen weiteren Beweis, dass Kommunikation durch das Netz verflacht.

Michael Moorstedt

Jedes Jahr im Oktober treffen Mensch und Maschine aufeinander, um herauszufinden, welche Seite die andere besser hereinlegen kann. Beim Loebner-Preis sollen Programme intelligentes Kommunikationsverhalten an den Tag legen. In der "Turing-Test" genannten Disziplin chatten die Computer dazu mit einem menschlichen Schiedsrichter, der darüber entscheidet, ob er es nun mit einer Person oder einem PC zu tun hat. Der Programmierer, dessen Software 25 Minuten standhält, erhält den mit 100 000 Dollar dotierten Preis, der seit 20 Jahren ausgeschrieben wird. Bislang hat es niemand geschafft.

Politiker in Online-Portalen

Soziale Netzwerke und Kurznachrichtendienste sind aus dem Leben vieler personen, darunter auch Politiker, nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile sind es aber auch Maschinen, die einen ebenso erachtenswerten Einfluss in den Netzwerken erreichen wie reale Personen.

(Foto: dpa)

Der amerikanische Netzwerk-Experte Andrew Hanelly versuchte sich nun im vergangenen Monat an seinem ganz privaten Turing-Test. Sein Test-Objekt: das soziale Netz. Er programmierte eine sogenannte Bot-Software, die dann vollständig automatisiert Einträge auf Twitter verfasste. Zunächst erstellte er ein neues Nutzerprofil und begann, durch Handarbeit, 1700 einflussreichen Profilen zu folgen, mittels RSS-Feeds zwitscherte er dann die Inhalte von 50 Blogs, die sich mit digitalen Medien befassen. Dann wartete er ab, was passieren würde. Das Resultat überraschte ihn. Der Bot generierte durchschnittlich 60 Nachrichten am Tag, was ihm knapp 400 Klicks, 80 persönliche Erwähnungen und 19 Re-Tweets einbrachte. Bei dem Service Klout, der den Einfluss und den sozialen Status von Netzwerk-Profilen misst, erreichte der @contentasaurus genannte Roboter einen Wert von 43 von 100. Guter Durchschnitt, wenn man bedenkt, dass Barack Obama einen Wert von 89 und nur der 2.0.-Popstar Justin Bieber bislang alle Punkte erreicht hat.

Das mag zwar für den Netz-Pessimisten ein weiterer Beweis sein, dass Kommunikation durch das Netz verflacht. Aber könnte man so nicht herausfinden, welche Art der Ansprache am besten funktioniert, in einer sozialen Sphäre, in der ein Großteil der Interaktion aus Wiederholungen besteht? Zugegeben, die Prüfmethoden und Tests sind auf der Kurznachrichtenplattform nicht annähernd so durchdacht wie das lange Verhör, das die Programme während der Turing-Tests über sich ergehen lassen müssen.

Um über die fehlende Intelligenz ihrer Bots hinwegzutäuschen, behelfen sich die Programmierer gerne mit eingestreuten Rechtschreibfehlern, vermeintlich spontanen Software-Wutausbrüchen und Schmeicheleien. Es sind gerade diese Unzulänglichkeiten, die den Schiedsrichtern ihre Entscheidung erschweren. Und natürlich kommen auch die kommunikativen Konventionen im sozialen Netz dem Geschnatter der Bots entgegen. Die User kommunizieren mit verknappter Sprache, durch simple Mausklicks erzeugte Likes, Re-Tweets und andere paraverbale Signale sind Anzeichen für den eigenen Einfluss. Aber gilt Twitter nicht gerade deshalb auch als Ort der Authentizität?

Hanelly ist nicht der Erste, der die Grenzen von Twitter-Bots ausloten will. Bereits im Frühjahr 2011 probierten sich drei Teams des Web Ecology Projects in einem - nicht ganz ernst gemeinten - Wettbewerb an der Programmierung von sozialen Robotern. Zuvor identifizierten die Programmierer ein relativ eng verwobenes Netzwerk von 500 Personen, die sich auf Twitter vor allem über ihre Haustiere austauschten. Man rüstete die Software mit einer Datenbank aus Floskeln aus, schleuste sie ein und testete, welche Teile des Netzwerks am stärksten auf die automatisierten Nachrichten reagierten.

Nach zwei Wochen hatten die Sieger, eine Gruppe von IT-Sicherheitsspezialisten aus Wellington, Neuseeland, mit ihrem Konto @JamesMTitus 107 Follower gewonnen und fast 200 Antworten erhalten. Und nicht nur das: Auch bis dato Fremde kamen durch den Software-Mittelsmann miteinander in Kontakt. Die Beziehungen innerhalb des Netzwerks, so der Initiator Tim Hwang, hätten sich durch den Einfluss der Bots stark verändert. Es sind zwar noch keine Algorithmen, die sich für Menschen halten, dafür aber Menschen, die Algorithmen für Menschen halten.

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