Proteste zum Papstbesuch in Madrid:Wie Spaniens Jugend den Glauben verliert

Nach den Anti-Papst-Protesten springen Politiker und Kirchenvertreter dem Pontifex zu Hilfe und tun die Demonstranten als Schmarotzer und Vandalen ab. Das könnte gefährlich werden - denn die Wut der spanischen Jugend sitzt tief.

Lena Jakat

Deutsche Jugendliche stehen Schlange vor Beichtstühlen, während junge Spanier Protestparolen gegen den Papst auf Madrids Straßen brüllen: Verkehrte Welt im katholischen Spanien, so scheint es auf den ersten Blick. Doch bei den Protesten am Mittwochabend hat sich eine grundsätzliche Unzufriedenheit, ja eine Verzweiflung der jungen Spanier Bahn gebrochen, die viel tiefer sitzt und den Weltjugendtag - das Pop-Event der katholischen Kirche - vielleicht nur zufällig erfasst hat.

Die Jugendlichen, die in Madrid auf die Straße gehen, beschimpfen Politik- und Kirchenvertreter leichthin als "Parasiten" und Vandalen, doch droht ihnen dort, auf der Puerta del Sol in Spaniens Hauptstadt, eine ganze Generation verloren zu gehen.

Für die halbe Million junger Katholiken, die in Madrid zum größten internationalen Treffen der katholischen Kirche erwartet werden, ist es ein Heimspiel - wenigstens der Fakten nach: 46 Millionen Spanier sind katholischen Glaubens, das sind 92 Prozent. Mehr als 127 Bischöfe und 26.000 Priester stehen dort im Dienst des Vatikans, katholische Schulen und Kindergärten spielen im kränkelnden Bildungssystem eine bedeutende Rolle. Doch in der Bevölkerung verliert die Kirche an Boden: Nur noch 13 Prozent der Spanier sollen regelmäßig einen Gottesdienst besuchen.

Und doch gehen die jungen Menschen in Madrid nicht gegen den Zölibat, die Volksferne oder die Rückwärtsgewandtheit der katholischen Kirche allgemein auf die Straße. Sie protestieren gegen die Kosten, die das Katholiken-Festival verursacht - und zwar dem Staat.

"Von meinen Steuern, an den Papst 0" haben sie auf ihre Banner geschrieben. Sie empören sich, dass der Staat - auch wenn es keine direkten Subventionen für die Großveranstaltung gibt - Sicherheitskräfte und Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Wie viel das einwöchige Event den Steuerzahler kosten wird, dazu schweigt sich Spaniens Regierung bislang aus. Die Veranstalter werden indes nicht müde zu betonen, dass kein Cent der veranschlagten 50 Millionen Euro vom Staat komme.

Versteckte Subventionen

Der Weltjugendtag in Köln, der insgesamt 120 Millionen Euro verschlang, wurde mit 14,4 Millionen aus öffentlichen Haushalten unterstützt. Die Leistungen von Polizei und Katastrophenschutz nicht inbegriffen - die Kosten dafür übernimmt, wie bei Fußballspielen, Konzerten und anderen Großveranstaltungen auch, das Land. In welcher Höhe die öffentliche Hand das Großereignis so zusätzlich mitfinanzierte, darüber gibt es beim Innenministerium von Nordrhein-Westfalen keine Angaben. Es sind genau diese verdeckten Zahlungen, die die Aktivisten auf den Plan rufen: Etwa, dass die jugendlichen Pilger aus der ganzen Welt zu stark ermäßigten Preisen Bahn und Bus benutzen können, Arbeitslose dagegen nicht.

In den Demonstrationen vom Mittwochabend hat sich ein genereller Protest fortgesetzt, der am 15. Mai seinen Anfang nahm: der Widerstand der "Indignados", der Empörten. Die Empörten, inspiriert von den nordafrikanischen Revolutionen und dem französischen Intellektuellen Stéphane Hessel, nennen sich nach dem ersten Tag des Protests auch "Bewegung 15-M". Es sind meist junge, gut ausgebildete Menschen, die den Glauben verloren haben: An den Staat und - vor allem - an die Politiker. Fast jeder zweite Spanier unter 25 Jahren ist arbeitslos, die Quote liegt in dieser Altersgruppe bei 46 Prozent.

Da die meisten von ihnen noch nie ausreichend Beiträge in die Sozialversicherungen eingezahlt haben, bleibt Unterstützung vom Staat aus und Spaniens Jugend bis ihn ihre Dreißiger an das Haus - und das Geld - der Eltern gefesselt. Diejenigen, die einen Job haben, sind dafür häufig überqualifiziert. Wird der Frust zu hoch, bleiben auch sie zuhause: Die meisten Krankmeldungen gibt es unter überqualifizierten Akademikern.

Verpasste Chance für die Politik

Als sich im Mai dann die vielen Empörten des Landes solidarisierten und über drei Monate hinweg den Puerta del Sol mitten in Madrid besetzt hielten, schien sich ihre Wut zunächst sehr konstruktiv zu entladen: Die Aktivisten veranstalteten basisdemokratische Debattierrunden, stritten mit Intellektuellen und Nobelpreisträgern über den Kapitalismus und die Folgen der ökonomischen Globalisierung. Doch während sich die Jugend der Unterstützung aus der Bevölkerung sicher sein konnte, gelang es der Politik nicht, die Chance zum Dialog zu nutzen.

Linke wie rechte Politiker warben vergeblich um die aufgebrachte Generation. Deren Forderungen - mehr Arbeitsplätze und allen voran ein besseres, praxisnäheres Ausbildungssystem - sind, zumindest mittelfristig, ebenso nachvollziehbar wie utopisch: Die spanische Regierung fährt einen strikten Sparkurs, den die Finanz- und Eurokrise zementiert. Und Veränderungen, Verbesserungen zumal, kosten Geld.

So wich aus der Aufbruchsstimmung vom Mai rasch die letzte Hoffnung in das politische Establishment. Nicht nur der spanische Soziologe César Rendueles spricht von einer ernstzunehmenden Repräsentationskrise. Die anfangs konstruktiven Proteste wurden zunehmend destruktiv, wurden zum Ausdruck von Wut statt zur Forderung nach Wandel. Und auch die Gruppe der Aktivisten wandelte sich, wurde unpolitischer und gewaltbereiter.

Der madrilenische Bürgermeister Alberto Ruiz-Gallardón wurde auf offener Straße angegriffen. Als sich Cayo Lara, der Vorsitzende der grün-kommunistischen Vereinigung, Protesten gegen die Zwangsräumung eines besetzten Hauses anschließen wollte, wurde er mit Wasser übergossen. Er sei ein "Politiker, der uns nicht repräsentiert", riefen ihm die Aktivisten entgegen. Mit Gewalt versuchten die Empörten am 15. Juni eine Sitzung des katalanischen Regionalparlaments zu verhindern, beschimpften und bespuckten Abgeordnete, warfen mit Obst. Das Parlament wollte einen Haushaltsentwurf debattieren, der zehnprozentige Kürzungen bei Sozial-, Gesundheits- und Bildungsleistungen vorsah. Der Sparzwang ist die Folge knapper Kassen und der Vorgaben aus Madrid und Brüssel.

Der bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Herbst erwartete Wechsel zu einer konservativen Mehrheit dürfte den Sparkurs noch verschärfen - und die frustrierte Jugend noch mehr erzürnen.

Wenn Spaniens Empörte jetzt gegen den Weltjugendtag auf die Barrikaden gehen - ein millionenschweres Glaubens-Festival, das auch die Botschaft von Gemeinschaft und Solidarität aussenden will - ist das auch Ausdruck dieser generellen Verzweiflung. Politiker wie Kirchenvertreter, die die Proteste absichtlich misszuverstehen scheinen, indem sie die Jugendlichen als Schmarotzer und Vandalen abtun, senden damit vor allem ein Signal aus: Wir nehmen euch nicht ernst.

Eine sehr gefährliche Botschaft.

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