Luftverkehr:Wasserfälle in der Luft

Transparente Außenwände, virtuelle Kabineneinrichtung, Energiegewinnung durch die Körperwärme der Gäste: So stellt sich Airbus den Passagierflug im Jahr 2050 vor.

Andreas Spaeth

Visionen machen sich immer gut - besonders für Technologieunternehmen, die sich auf diese Weise zukunftsorientiert zeigen und gleichzeitig die Phantasie des Publikums beflügeln können. Der europäische Flugzeughersteller Airbus ist dabei besonders aktiv und versprach vor gut zehn Jahren den Flugreisenden Großartiges: Wasserfälle, Bowlingbahnen, Restaurants, Fitness-Räume und schicke Bars sollten das Fliegen im Riesen-Airbus A380 revolutionieren. Entsprechend hoch waren die Erwartungen.

Mobiles Leben

Schöne, neue Welt: Bequeme Sitze aus nachwachsenden Rohstoffen, eine Flugzeugkabine mit selbsttragender, fachwerkähnlicher Struktur.

Die Realität aber sieht anders aus. 53 der doppelstöckigen Jets sind inzwischen an weltweit sechs Airlines ausgeliefert - und nahezu nichts von den Verheißungen findet sich an Bord der A380-Flotten. Stattdessen bis zu 538 Sitze bei Air France, die französische Air Austral will den Riesen in naher Zukunft sogar mit 840 Plätzen in einer puren Economy-Version betreiben.

Einzig Emirates sticht mit zwei Duschen in der First Class und einer großzügigen Bar auf dem Oberdeck heraus. "Ich glaube nicht, dass bei den weiteren A380-Kunden noch revolutionäre Einrichtungen dazukommen werden", sagt Richard Carcaillet, Chef des A380-Produktmarketings. Deshalb wirft der Hersteller jetzt einen Blick in die ganz ferne Zukunft - und lässt Passagiere damit erneut von einem gänzlich neuen Fluggefühl träumen.

Im Jahr 2050 werden Flugzeuge nach bionischen Prinzipien gebaut, davon gehen die Airbus-Ingenieure heute aus."Dabei wird sich die Struktur an Vogelknochen orientieren, die sowohl leicht als auch hochfest sind", sagt Ingo Wuggetzer, Leiter Kabineninnovation und Design. "Wie ein Fachwerk werden nur an tragenden Stellen Strukturteile sein; wir müssen wegkommen von der heutigen Bauweise mit Platten aus Aluminium oder Verbundwerkstoffen."

Die neue Struktur ließe sich nutzen für große Öffnungen - möglich würden dadurch größere Türen für leichteres Ein- und Aussteigen oder aber ausladende Fenster für bislang unbekannte Panoramablicke. Dann hätten die herkömmlichen Gucklöcher im Stil von Bullaugen ausgedient. Stattdessen könnte auf Knopfdruck die gesamte Außenhaut transparent werden.

"Die bionische Kabinenstruktur wird mit einer Biopolymermembran beschichtet, das die natürliche Lichtmenge, Feuchtigkeit und Temperatur steuert", erklärt Ingo Wuggetzer, "diese intelligente Struktur macht das Flugzeug leichter und kann den Passagieren eine 360-Grad-Aussicht bieten."

Von der Realität noch weit entfernt

Auch das Innere der Kabine soll nicht mehr viel mit dem zu tun haben, was man heute in Passagierflugzeugen vorfindet. Anstelle von Kabeln wird in der künftigen Struktur ein neurales Netzwerk verlegt, vergleichbar den menschlichen Nervenbahnen. "Ein intelligentes, drahtloses Netzwerk mit einer Vielzahl von Sensoren, die Messungen aller Art vornehmen - von der Strukturbelastung, der Umgebungstemperatur bis hin zur Fähigkeit, bestimmte Merkmale eines jeden einzelnen Passagiers zu erkennen", so Wuggetzer.

Mobiles Leben

Sogar einen virtuellen Golfplatz soll es in den Passagierjets der Zukunft geben.

Gekoppelt mit völlig neuartigen Sitzen aus formverändernden Materialien, etwa Metallen oder Polymeren, soll sich der Flugkomfort wesentlich besser den individuellen Bedürfnissen der Fluggäste anpassen. Möglich soll es zudem werden, die Sitzabstände je nach gezahltem Tarif oder der Auslastung des Fluges gemäß zu verändern. Auch die starre Einteilung in Klassen an Bord wird es, den Visionen folgend, nicht mehr geben; an deren Stelle sollen unterschiedliche Zonen treten, die die Ingenieure "Vitalisierung", "Smart Tech" und "Interaktiv" nennen.

Dank neuer Technologien bieten sich bislang ungeahnte Möglichkeiten. Etwa die holographische 3-D-Projektion von Bordunterhaltung - möglich wären virtuelles Golfspiel oder die Möglichkeit, die im Bordverkauf angebotene Kleidung virtuell anzuprobieren. "Statt der heute eingesetzten Bildschirme wird es an jedem Platz die 3-D-Projektion geben", erwartet Wuggetzer. Der Strom zum Betrieb solcher Applikationen könnte durch sogenannte Energie-Ernte gewonnen werden - damit soll über den Sitz die vom Fluggast abgegebene Körperwärme aufgenommen und mit anderen Energiequellen wie Solarzellen kombiniert genutzt werden, um Kabinenfunktionen zu versorgen.

Natürlich soll das alles nachhaltig und vollständig recyclebar sein. So wird zum Beispiel darüber nachgedacht, für Sitze ökologisch abbaubare Pflanzenfasern einzusetzen, die genau in der gewünschten Form gezüchtet werden. Die verwendeten Werkstoffe könnten außerdem selbstreinigend wie bei einer Lotusblüte sein oder sich dank Nanotechnologie selbst reparieren. Zu schön, um wahr zu sein? "Es gibt keine realistische Vision", gesteht Wuggetzer zu, aber: "Wir müssen heute mit Neuem und Unbekanntem anfangen. Und dafür ist es wichtig, jenseits gewohnter Dimensionen zu denken."

Für dieses Ziel brauchen Flugzeughersteller wie Airbus vor allem fähige Mitarbeiter - und die sollen schon heute durch Visionen wie der vom Kabinenkonzept 2050 begeistert werden. "Wir nutzen die Debatte, um Talente anzulocken, die bei uns die Zukunft gestalten wollen", erklärt Charles Champion, oberster Airbus-Ingenieur. Ob die Innovationen bis 2050 tatsächlich kommen werden, vermag auch Interior-Designer Luke Hawes nicht zu sagen. Er ist sich aber sicher: "In der Kabine werden aufregende Sachen passieren."

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