Grünen-Spitzenkandidatin in Berlin:Nervös im Schlussspurt

Renate Künast ist in Schwierigkeiten: Die Umfragen für die Spitzenkandidatin der Grünen in Berlin zeigen abwärts, und die Hauptstadt-CDU dient sich als Partner an. Auf dem Parteitag warnt die Chefin davor, sich selbst zu zerlegen.

Constanze von Bullion

Der Applaus ist beseelt, es wird gejohlt, Renate Künast reckt die Faust. Wer nicht so genau hinhört, könnte meinen, die Grünen seien schon so gut wie drin im Roten Rathaus. Drei Wochen vor der Wahl in Berlin haben sie am Donnerstagabend zum kleinen Parteitag geladen, nach Prenzlauer Berg, eines dieser Biotope, die als jung und bildungsbürgerlich gelten - und als sichere Bank für die Grünen.

Mitgliederabend der Berliner Grünen - Künast

SIcher ist für die Berliner Grünen momentan nichts mehr. Auf dem Parteitag kurz vor der Schlussoffensive, wird zur Geschlossenheit angemahnt.

(Foto: dpa)

Sicher aber ist derzeit nichts mehr für die Partei. In Umfragen geht es abwärts, das ZDF-Politbarometer sieht die Grünen bei 20,5 Prozent, zu Beginn des Wahlkampfs waren es noch 30. Und beim Parteitag am Donnerstag, mit dem die Grünen die Schlussoffensive einleiten, wird Geschlossenheit angemahnt. Es klingt wie eine Beschwörung.

"Wir wollen Chefin werden", ruft Wahlkampfmanager Heiko Thomas. "Tragt sie!" - er meint Renate Künast. Eben hat die grüne Spitzenkandidatin gesprochen, ist durch die grünen Wahlziele gefegt, hat spüren lassen, dass sie sauer ist. Berlin muss die "rote Laterne" bei der Arbeitslosigkeit abgeben, sagt Künast. Berlin muss "horrende Mietsteigerungen" verhindern, "Schulerfolg für alle" möglich machen. 400 neue Lehrer wollen die Grünen - und "alles tun, um in diesem Land für mehr Sicherheit zu sorgen". 500 Millionen Euro müssen eingespart und der Ausbau der Stadtautobahn A100 verhindert werden. "Der Wechsel geht nur mit Grün", ruft Künast, dann fällt das Wort "Geschlossenheit" - und der Saal wird still. Man kann von anderen lernen, sagt Künast leise, "wie es ist, wenn man sich selber zerlegt".

Sie meint die Kämpfe an der Bundesspitze der Linkspartei, die der Linken im Land Berlin den Wahlkampf verpatzen. Mehr noch meint Künast aber den Unmut in den eigenen Reihen. An jedem Stand werden die Grünen jetzt gefragt, ob sie womöglich mit der CDU koalieren. Immer sagen sie dann, dass sie sich Grün-Schwarz offen halten, schon um bei Koalitionsverhandlungen mit der SPD eine stärkere Position zu haben.

An der Basis ist das schwer vermittelbar, mancher Funktionärin reißen die Nerven. In der taz stand zu lesen, die Abgeordnete Anja Kofbringer aus Neukölln wolle eine schwarz-grüne Regierung nicht unterstützen. Das trage ihre Bezirksgruppe nicht mit. Kofbringer hat dann wohl ein paar Anrufe von der Parteiobrigkeit bekommen. Jedenfalls will sie missverstanden worden sein, die taz habe sie falsch zitiert. In ihrer Partei aber glaubt keiner an ein Missverständnis. Viele dort lehnen Grün-Schwarz ebenfalls ab, verordnen sich aber strategisches Schweigen. Denn ein Bündnis mit der CDU könnte, theoretisch, ein Trumpf beim Poker mit der SPD werden.

Wenn kommt, wonach es aussieht, wenn Klaus Wowereit mit seinem von jedem Inhalt befreiten Wahlkampf vor den Grünen ins Ziel geht, wird er wohl Rot-Grün anstreben. Die Grünen könnten mit der Rolle als Juniorpartner leben, wollen ihre Haut aber nicht zu billig verkaufen. Mit den Umfragen steigt die Selbstgewissheit der SPD, die Grünen kriege man schon klein, heißt es dort, etwa beim Ausbau der Stadtautobahn A 100. Er könnte zum Knackpunkt rot-grüner Koalitionsverhandlungen werden: Wowereit will das Autobahnstück, das vom neuen Flughafen in die Stadt führen soll, unbedingt. Die Grünen haben sich nun festgelegt, der Autobahn "keinesfalls" zuzustimmen. Das provozierte Jubel beim Parteitag, tatsächlich öffnet es die grün-schwarze Hintertür.

Denn anders als die SPD besteht die CDU nicht auf dem Autobahnbau. Man könne auch eine Schnellstraße akzeptieren, heißt es da. Überhaupt winkt die CDU den Grünen mit beiden Armen - Sicherheitsdebatte hin, Autobrände her. CDU-Generalsekretär Bernd Krömer sieht, bei allen Differenzen, "gewisse Überschneidungen" mit den Grünen. "Bei der Haushaltskonsolidierung gibt es Schnittmengen, auch bei der Anwerbung von Firmen für die Stadt." CDU-Chefin Monika Grütters sieht im Kulturbereich Gemeinsames. "In der Opposition war die Zusammenarbeit mit den Grünen sehr gut", sagt sie. "Die Lust, Rot-Rot vom Hof zu jagen, ist groß."

Diese Woche trat CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel mit dem Architekten Hans Kollhoff auf, der eine "nachhaltige Stadtplanung" forderte. Es grünt bei der CDU, jedenfalls in den vorderen Reihen. Nur dass für Grün-Schwarz eben mehr als ein paar Stimmen fehlen.

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