Untergetauchter libyscher Despot:Spekulationen um Verbleib Gaddafis

Die libyschen Rebellen versuchen, die desaströse Versorgungslage in Tripolis zu verbessern. Unklar ist weiterhin, wo Muammar al-Gaddafi sich aufhält. Die algerische Regierung widerspricht Meldungen, wonach der Despot über die Grenze geflohen sein soll.

Die Regierung in Algier hat Berichte über eine mögliche Flucht des langjährigen libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi über die Grenze nach Algerien "kategorisch" zurückgewiesen. "Diese Information entbehrt jeglicher Grundlage", sagte der Sprecher des algerischen Außenministeriums, Amar Belani.

Libyan rebel assists an injured fellow rebel at Bab Al-Aziziya compound in Tripoli

Rebellen in der libyschen Hauptstadt: Nach der Eroberung Tripolis' klagt die Bevölkerung über Stromausfälle, Trinkwassermangel und explodierende Lebensmittelpreise.

(Foto: REUTERS)

Ein Konvoi gepanzerter Fahrzeuge hatte zuvor Spekulationen ausgelöst, Gaddafi könnte sich in das Nachbarland abgesetzt haben. Die ägyptische Nachrichtenagentur Mena hatte zuvor unter Berufung auf libysche Militärkreise berichtet, sechs gepanzerte Fahrzeuge hätten am Freitagmorgen von Libyen aus die Grenzstadt Ghadames auf dem Weg nach Algerien durchquert. Die Fahrzeugkolonne sei von Gaddafi-treuen Soldaten bis zur Grenze eskortiert worden. In dem Konvoi hätten sich hochrangige libysche Offizielle befunden, möglicherweise auch Gaddafi und seine Söhne.

Wie sein Sprecher zwischenzeitlich wissen ließ, sei Gaddafi nach wie vor in Libyen und zu Verhandlungen mit den Rebellen bereit: Mussa Ibrahim rief am Samstagabend die Zentrale der Nachrichtenagentur AP in New York an und sagte, er habe Gaddafi am Freitag gesehen; er selbst sei in der Hauptstadt Tripolis. Das berichtet die Nachrichtenagentur dapd. Gaddafi biete Verhandlungen mit den Rebellen über eine Übergangsregierung an und habe seinen Sohn Al Saadi zum Verhandlungsführer bestimmt, sagte Ibrahim demnach.

Vor wenigen Tagen hatte der amerikanische Fernsehsender CNN auf seiner Website berichtet, Al Saadi sei um Kontaktaufnahme mit den US-Behörden und den Aufständischen bemüht. Er habe Autorität, um zu verhandeln, schrieb Al Saadi dem Bericht zufolge in einer E-Mail an einen CNN-Reporter.

Der Chef des nationalen Übergangsrates der Rebellen, Mustafa Abdel Dschalil, versprach Gaddafi und seinen Vertrauten unterdessen einen "fairen Prozess", wenn sie sich ergäben. Andernfalls seien standrechtliche Hinrichtungen zu befürchten, warnte Dschalil. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte, Gaddafi vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen.

Versorgungsenpässe in Tripolis

Nach Nato-Luftangriffen hatten die Rebellen die Militärbasis der 32. Brigade am Samstag eingenommen. Doch Tripolis hat mit gravierenden Versorgungsengpässen zu kämpfen. Der Chef des Nationalen Übergangsrates der Rebellen, Mustafa Abdel Dschalil, bat um dringende Hilfe für die Hauptstadt. Die Bevölkerung in Tripolis klagte über Stromausfälle, Trinkwassermangel und explodierende Lebensmittelpreise. Auch die Treibstoffpreise in Tripolis stiegen dramatisch an. Dschalil sprach von Sabotage durch versprengte Gaddafi-Getreue.

Einen grausigen Fund gab es indes Im Gefängnis einer von Gaddafi-Truppen geräumten Kaserne südlich von Tripolis: Dort wurden die verkohlten Leichen von mindestens 50 Menschen entdeckt.

Nach der Einnahme der Militärbasis durch die Rebellen hätten Anwohner die Toten in dem impovisierten Gefängnis gefunden, berichtete eine AFP-Korrespondentin. Einer von ihnen, der Arzt Salim Radschub, vermutete, dass es sich um die Opfer eines vor wenigen Tagen verübten Massakers handelt.

In der Militärbasis waren zuvor Elitetruppen der 32. Brigade untergebracht, die von Chamis, einem der Söhne des untergetauchten Machthabers Muammar al-Gaddafi, befehligt wurde. Er und andere Anwohner hätten am späten Dienstagabend Hilfeschreie und dann Schüsse sowie Explosionen von Granaten gehört, berichtete Radschub weiter. Wegen der Heckenschützen habe aber niemand helfen können. Die Einwohner berichteten von 53, die AFP-Journalistin zählte 50 Leichen.

Kampf um Sirte

Unterdessen haben die Rebellen einem Sprecher zufolge die Küstenstadt Bin Dschawad eingenommen. Die Gaddafi-Truppen seien in Richtung Westen geflohen und wollten sich vermutlich den Kämpfern in Sirte anschließen, hieß es weiter.

Die Aufständischen stehen nach eigenen Angaben zum Angriff auf Gaddafis Heimatstadt Sirte bereit, die in der Mitte zwischen Tripolis und der Rebellenhochburg Bengasi liegt. Zunächst solle aber weiter der Ausgang von Verhandlungen mit den Stammesführern über eine friedliche Übergabe der Küstenstadt abgewartet werden, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira.

Den Kämpfern bereiteten mögliche Chemiewaffen und Raketen größerer Reichweite der Gaddafi-Truppen am meisten Kopfzerbrechen, zitierte Al-Dschasira einen Rebellen-Befehlshaber. Im Fall eines Angriffs würden sie auf Unterstützung der Nato hoffen.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) will zwischenzeitlich erneut Ausländer aus Tripolis bergen - mit einer Fähre. Das Boot habe zunächst Nahrungsmittel, Wasser und medizinische Güter in die Stadt gebracht, erklärte eine Sprecherin. Anschließend sollen mindestens 1000 Ausländer aus Libyen herausgebracht werden. Bereits vor wenigen Tage hatte ein von der IOM gechartertes Schiff 263 Ausländer über Bengasi nach Ägypten gebracht.

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