25 Jahre "Pro Asyl":Undiplomatische Vertretung der Heimatlosen

Ein Verein begnadeter Nerver feiert Geburtstag: Seit 25 Jahren spricht "Pro Asyl" für jene, die keine Papiere und keinen Einfluss haben. Erst die Menschenrechtsaktivisten haben Asylpolitik zum Thema gemacht - nur fehlt manchmal das Augenmaß.

Heribert Prantl

Es gibt zigtausend Lobby-Organisationen in Deutschland. Pro Asyl gehört auch zu ihnen. Pro Asyl spricht für die, die sonst keinen Sprecher hätten, sie spricht für Menschen ohne Papiere, ohne Stimme, ohne politisches Gewicht. Sie spricht seit nun 25 Jahren für Flüchtlinge, fordert deren Rechte ein - pro Asyl. Im politischen Alltag bedeutet das: Widerstand. Widerstand gegen die Gleichgültigkeit, Widerstand gegen Kaltschnäuzigkeit und Kaltherzigkeit. Manchmal nervt solcher Widerstand.

EU-Innenminister reden über Flüchtlingswelle

Tausende Flüchtlinge wagten in diesem Jahr die lebensgefährliche Überfahrt auf oft seeuntüchtigen Booten von Nordafrika nach Italien.

(Foto: dpa)

Ein prächtiges, wunderbares Beispiel für einen begnadeten Nerver war Pfarrer Herbert Leuninger, der erste Sprecher von Pro Asyl; er war es bis 1995. Seine Entschlossenheit im Widerstand gegen ein inhumanes Flüchtlingsrecht war vielen Politikern regelrecht unheimlich. Selbst der Alt-Liberale Burkhard Hirsch, der sich seinerzeit im politischen Streit gegen das Asylgrundrecht ebenso wacker wie vergeblich für das Asylrecht geschlagen hat, nannte Leuninger einmal einen "Fanatiker", als der die rigorose Haltung der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung gegen Kinderflüchtlinge geißelte und in alttestamentarischen Sprachbildern Flüchtlinge als "Botschafter des weltweiten Unrechts" bezeichnete. Sie seien, "theologisch gesprochen, Engel und Verkünder", meinte Pfarrer Leuninger, "wir aber behandeln sie wie den Boten der Antike, der wegen seiner schlechten Nachrichten umgebracht wird."

Solche Reden und solche Kompromisslosigkeit waren und sind einer Politik suspekt, deren Alltag aus Kompromissen besteht und bestehen muss. Pfarrer Leuninger organisierte Wachen vor Flüchtlingsheimen - das war in der Zeit, als Asylbewerberheime brannten und Deutschland leicht entflammbar war; der Vorsitzende von Pro Asyl stand dort auch selbst Posten. Daraufhin wurde sein Haus mit Pflastersteinen beworfen. Sein Kommentar dazu war: "Man muss das Schicksal der Menschen teilen, für die man sich einsetzt."

Wer Flüchtlinge "Schmarotzer" nannte, konnte mit Applaus rechnen

1986, vor 25 Jahren, wurde Pro Asyl gegründet - von engagierten Leuten aus Flüchtlingsräten, Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen. Jürgen Micksch, damals stellvertretender Leiter der Evangelischen Akademie in Tutzing, und René van Rooyen, damals UN-Flüchtlingskommissar für Deutschland, hatten die Gründung miteinander ausgeheckt - "angesichts der vorherrschenden rassistischen Stimmung gegenüber Asylsuchenden".

1986: Das war die Zeit der hohen Asylbewerberzahlen, der immer massiveren politischen Attacken gegen das alte Asylgrundrecht. Wer Flüchtlinge "Schmarotzer" nannte, konnte damals mit donnerndem Applaus rechnen. Für Pro Asyl gab es dementsprechend damals keinen Beifall. Die "Bundesarbeitsgemeinschaft", deren Arbeit von einem Förderverein getragen wird, stand mit dem Rücken zur Wand.

Pro Asyl hat die Änderung des Grundrechts auf Asyl nicht verhindern, sondern nur begleiten und betrauern können. Die 25 Jahre Pro Asyl waren, wenn man auf die deutsche und die europäische Politik schaut, 25 Jahre kontra Asyl. Der Verein hat eine flüchtlingsfeindlichere Politik nicht aufhalten, aber thematisieren und anprangern können. Pro Asyl hat vehement dafür gesorgt, dass Flüchtlingspolitik kein Randthema ist in der deutschen Öffentlichkeit. Die Organisation hat die Gruppen gestärkt, die sich um Flüchtlinge bemühen - und sich ums Kirchenasyl gekümmert. Ohne Pro Asyl wäre die Stimme der Humanität leiser in diesem Land.

Hartnäckig wie eh und je

Heute ist die Sprache der Presseerklärungen von Pro Asyl nicht mehr so theologisch wie vor 25 Jahren, zu den Zeiten des katholischen Pfarrers Leuninger. Aber unter der Ägide des Mitgründers Jürgen Micksch und der Geschäftsführung von Günter Burkhardt ist Pro Asyl so hartnäckig wie eh und je. Die Politik der Parteien - ob zu schwarz-gelben, rot-grünen oder schwarz-roten Regierungszeiten - hatte und hat in Pro Asyl einen ernsthaften, kundigen und temperamentvollen Widerpart.

Politik sei das Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß, so hat Max Weber 1919 in seinem berühmten Essay "Politik als Beruf" geschrieben. Pro Asyl war in den vergangenen 25 Jahren ein Musterbeispiel für dieses Bohren: Nirgendwo waren, nirgendwo sind die Bretter so hat und so dick wie im Asyl- und Ausländerrecht. Und die Leidenschaft, mit der laut Max Weber gebohrt werden muss, diese Leidenschaft werden nicht einmal die größten Kritiker dem Verein Pro Asyl absprechen; sehr wohl aber das Augenmaß.

Allerdings hat dieses Augenmaß doch vielleicht eher der herrschenden Ausländer- und Asylpolitik gefehlt. Pro Asyl ist so etwas wie die undiplomatische Vertretung der Ärmsten der Armen.

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