Liberale in der Krise:Früherer FDP-Chef Gerhardt rügt Rösler

Es stehen Alte gegen Junge, Traditionelle gegen Modernisierer, Konservative gegen Sozialliberale: FDP-Chef Rösler hat in seiner eigenen Partei einen Streit über die Zukunft der EU entfacht, eine gemeinsame Position ist bei den Liberalen nicht erkennbar. Jetzt fordert der frühere Parteivorsitzende Gerhardt ein klares Bekenntnis: für den Euro, für den europäischen Traum.

Daniel Brössler, Susanne Höll und Guido Bohsem, Berlin

Die FDP bezeichnet sich nicht ohne Stolz als die Partei der Marktwirtschaft. Wettbewerb und Konkurrenz gehören zum liberalen Markenkern, in etwa so wie die gelbe Farbe auf den Wahlplakaten. Eigentlich also selbstverständlich, dass auch die Funktionäre der FDP den Wettbewerb schätzen. Und dazu gehört nicht nur die Auseinandersetzung mit Vertretern anderer Parteien, sondern auch der Kampf gegen den Mit-Liberalen.

Kabinett

Ohne gemeinsame Linie: Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Philipp Rösler.

(Foto: dpa)

Es stehen Alte gegen Junge, Traditionelle gegen Modernisierer, Konservative gegen Sozialliberale. Seit der Schuldenkrise der EU eröffnet sich für die innerparteilichen Kontrahenten ein weiterer Kampfplatz. Es treten an: die Europäer gegen die Europa-Skeptiker. Dieser innerparteiliche Konflikt wird verbissen ausgetragen - die Wahl der Waffen ist nicht immer fair.

Parteichef Philipp Rösler ist es jedenfalls nicht gelungen, den schwelenden Streit mit seinem Aufsatz über eine mögliche (und wahrscheinliche) Pleite der Griechen auszutreten. Im Gegenteil, nach seiner Einlassung ging der Zank erst richtig los - Glättungsversuche vergebens. Ein Bundesminister sei seinem Land verpflichtet, sagte Rösler in Rom. Über die von ihm ausgelöste Diskussion sei er dankbar, weil die Bürger wissen wollten, wie sich die Europäische Union entwickle. In den eigenen Reihen fand er dafür indes nur wenig Unterstützer und kaum einen, der ihn gegen die Rügen von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble verteidigte.

So widersprach der Bundestagsabgeordnete und frühere FDP-Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt dem Kurs der Euro-Skeptiker energisch. Ohne dabei Rösler zu schonen. Seinen Nach-Nachfolger forderte er zu klarer Kante auf. In einem dreiseitigen Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, erinnert Gerhardt an die Tradition der FDP als Europa-Partei: "Die FDP hat sich für den Euro entschieden. Das war nicht einfach, nicht nur währungspolitisch." Auch in schwierigen Lagen sei "politische Führung und eindeutige Orientierung gefragt", schrieb Gerhardt und meinte offenkundig die neue Parteiführung.

Gerhardt weist darüber hinaus den Mitgliederentscheid zurück, mit dem Euro-Skeptiker der FDP die Einführung des permanenten europäischen Rettungsschirms ESM verhindern wollen. Ein solcher Schritt sei "angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen einfach zu einfach". Wer sich, wie er selbst, einem Mitgliederentscheid nicht anschließe, werde leicht missverstanden, argumentiert Gerhardt. "Ich setze mich diesem Missverständnis aus und frage, ob der Mitgliederentscheid wirklich notwendig ist."

Gerhardt erinnert in dem Brief außerdem an einen Satz des Liberalen Ralf Dahrendorf: "Es gibt keine simplen Antworten." Zugleich verweist er darauf, dass die FDP in ihrer Geschichte hochumstrittene politische Positionen vertreten habe, wie die Westbindung der jungen Bundesrepublik, die Gründung der Bundeswehr und die Anerkennung der deutschen Ostgrenzen.

Vorsichtige Schützenhilfe

Frust herrscht jedoch nicht nur bei den Altvorderen. Auch in der aktuellen Führung werden Röslers Äußerungen nach Angaben aus Parteikreisen mit einigem Befremden wahrgenommen. Die Reaktionen von Fraktionschef Rainer Brüderle und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger seien als Versuch zu werten, die Debatte zu entschärfen, ohne Parteichef Rösler zu desavouieren und damit neue Personaldebatten anzufachen, hieß es. Brüderle hatte gesagt, man müsse mit der schwierigen Euro-Situation "umsichtig umgehen", ohne aber Tabus zu verhängen. Und Leutheusser hatte darauf verwiesen, dass Europa Instrumente brauche, um mit Schuldenkrisen umzugehen.

Sorgen machen sich Röslers Getreue auch um die Mitgliederbefragung zum Euro-Rettungsschirm. Diesen hatte der bekennende Euro-Skeptiker Frank Schäffler zusammen mit Burkhard Hirsch auf den Weg gebracht. Obwohl beide aus NRW stammen, wies der von Röslers Stellvertreter, Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, geführte nordrhein-westfälische Landesverband das Vorhaben zurück. Bahr machte zudem in Berlin klar, dass er voll zu Rösler stehe. "Wir sind liberale Zwillinge", stellte Bahr klar. Die Position des Wirtschaftsministers werde auch vom Mitglied des finanzwissenschaftlichen Beirats Schäubles, Clemens Fuest, gestützt, sagte er am Rande einer Veranstaltung zur Gesundheitspolitik.

Es geht Solidarität und Solidität

Und dann ist da noch Außenminister Guido Westerwelle. Der Mann also, den Rösler nach dem Wahldebakel in Baden-Württemberg an der Spitze der Partei ablöste. Kein Freund des neuen Vorsitzenden, möchte man denken. Im Streit zwischen Merkel und Rösler wollte er sich offenkundig weder auf die Seite des Vizekanzlers noch der Kanzlerin stellen.

In der Bundesregierung herrsche völlige Einigkeit darüber, "dass wir eine Stabilitätsunion in Europa brauchen", sagte Westerwelle in Berlin. Völlige Einigkeit herrsche aber auch, "dass Solidarität das eine ist, dass es aber auch um Solidität geht". Sorgfältig vermied es Westerwelle, die Äußerungen Röslers zu einer "geordneten Insolvenz Griechenlands" zu wiederholen. "Wir durchdenken alles, was durchdacht werden muss und wir tun alles, was getan werden muss, damit die Europäische Union und unsere gemeinsame Währung geschützt wird", sagte er lediglich. "Hier geht es darum, dass wir uns nicht aufhalten mit angeblich kontroversen Debatten."

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