Siemens:Atomkraft? Nein danke!

Siemens begräbt nach vier Jahrzehnten seine Ambitionen im Geschäft mit der Kernkraft. Dabei wollte der Konzern darin eine führende Position erreichen. Daraus ist nichts geworden. Einer Partei musste Konzernchef Löscher jetzt seinen Sinneswandel allerdings besonders schonend beibringen.

Martin Hesse

Sie waren wie immer da gewesen, die Atomgegner, als Siemens-Chef Peter Löscher Anfang des Jahres seinen "grünen Konzern" auf der Hauptversammlung vermarktete. Wie jedes Jahr hatten Protestgruppen gefordert, Siemens möge aus der Atomkraft aussteigen. Aus dem Geschäft, für das der Münchner Konzern wie kein zweiter steht; das Heinrich von Pierer einst vorantrieb und Löscher bis vor kurzem wieder groß rausbringen wollte.

Doch jetzt ist Schluss. "Das Kapitel ist für uns abgeschlossen", hat Löscher im Spiegel verkündet. Zu dem geplanten Joint Venture mit dem russischen Staatskonzern Rosatom zum Bau von Atomkraftwerken werde es nicht kommen. Fest steht der Entschluss von Siemens, sich aus dem Atomgeschäft zurückzuziehen, seit Monaten.

Blamage für Löscher

Nur seinen Partnern musste Löscher es schonend beibringen. Zu wichtig ist das Verhältnis zu den Russen, als dass man sie vor vollendete Tatsachen stellen wollte. Löschers Atom-Offensive, 2009 bei der Verlobung mit den Russen mit großem Gestus angekündigt, wurde von einem Tsunami vor der japanischen Küste am 11. März 2011 davongespült. Als die Bilder vom havarierten AKW in Fukushima Deutschland erreichten, vollzog das Siemens-Management eine rasche Kehrtwende.

Löscher selbst begründet heute diese Wende mit dem politischen Wandel in Deutschland. Der Ausstieg sei die Antwort "auf die klare Positionierung von Gesellschaft und Politik in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie". Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Der Wiedereinstieg in das Atomgeschäft im großen Stil, den das Gemeinschaftsunternehmen mit Rosatom bedeutet hätte, war im Konzern schon lange umstritten. Ein Grund für den Unmut war, dass Löscher überhastet mit dem französischen Joint-Venture-Partner Areva brach, um mit Rosatom anbandeln zu können. Der Vertragsbruch kostete Siemens 648 Millionen Euro Strafe, eine Blamage für Löscher und Chefjustiziar Peter Solmssen.

Schwerer wog ein zweites Argument gegen den Neustart im Atomgeschäft mit Rosatom: Löscher hatte sich zugleich auf die Fahnen geschrieben, Siemens zu einem grünen Technologiekonzern umzuformen. Mit dem Atomgeschäft, den ungelösten Endlager-Problemen, den latenten Katastrophenrisiken, passt es nicht zusammen, wenn man sich als Marktführer für nachhaltige Technologien sieht.

Deshalb klemmte sich Löscher schnell in den Windschatten der Politik, nach der Atomwende in Berlin schwenkte auch der Siemens-Lenker um. Sein Vorteil: Weil es zum Rosatom-Joint-Venture bislang nur eine Absichtserklärung gibt, muss Löscher nicht über Restlaufzeiten verhandeln. Eine zweite Strafe wegen Vertragsbruch wie bei Areva bleibt ihm erspart.

Siemens will nun in anderer Form mit Rosatom kooperieren, Gespräche darüber sollen in wenigen Wochen abgeschlossen sein. Wahrscheinlich ist, dass Siemens den Russen Turbinen, Leit- und Sicherheitstechnik liefert - Elemente, die in Atom- wie in anderen Kraftwerken verwendet werden können. Nur mit der heißen Nukleartechnik will Siemens nichts mehr zu tun haben. Atomgegner forderten am Sonntag, der Konzern solle auch aus dem konventionellen Atomgeschäft aussteigen.

Einst war das anders. Mit dem Namen Siemens ist der Ausbau der Kernenergie in Deutschland eng verknüpft, der Konzern setzte in den Siebziger- und Achtzigerjahren Milliarden damit um, kein AKW im Land entstand ohne Siemens-Technologie. Schon 1953 stieg der Konzern mit der "Arbeitsgemeinschaft Atomenergie" zusammen mit anderen Unternehmen in die Kernenergie ein. 1969 gründete Siemens mit AEG die Kraftwerk Union (KWU).

Darin bündelten beide ihr Atomgeschäft und andere Kraftwerktechnologien. 1977 kaufte Siemens den Partner heraus, das Atomgeschäft erlebte seine Blütezeit. Doch je stärker Siemens im Schulterschluss mit wechselnden Regierungen den Bau von Meilern forcierte, desto heftiger wurde auch der Widerstand. Auf den Plakaten der Anti-AKW-Bewegung prangte immer wieder auch der Name Siemens.

Den Anfang vom Ende der Nukleargeschäfte markierte das Reaktorunglück von Tschernobyl 1985. Die Umsätze gingen zurück, doch selbst Ende der Neunziger setzte Siemens noch rund zwei Milliarden Euro mit Atomtechnik um. 2001 gab der damalige Chef, Heinrich von Pierer, das Geschäft in ein Joint Venture mit Areva ab. Die Münchner hielten 34 Prozent und waren nur noch Juniorpartner. Doch es dauerte noch ein Jahrzehnt, bis Siemens sich durchringen konnte zu einem: "Atomkraft? Nein danke!"

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