Bombendrohung in Berlin:Humboldt-Uni vor Gül-Rede geräumt

Eine Bombendrohung hat die Rede des türkischen Präsidenten Abdullah Gül an der Berliner Humboldt-Universität verzögert. Nach einem anonymen Anruf räumte die Polizei das Gebäude, ein Sprengsatz wurde aber nicht gefunden. Gül konnte seine Rede später nachholen. Er ließ sich nicht beeindrucken, legte sein Redemanuskript beiseite und sprach in persönlichen Worten über die deutsch-türkischen Beziehungen.

Christiane Schlötzer

Eine Bombendrohung hat den Staatsbesuch des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül am Montagabend gehörig durcheinander gebracht. Ein Anrufer hatte über den Polizeinotruf 110 vor einem Sprengsatz in der Humboldt-Universität gewarnt.

Daraufhin wurde das gesamte Gebäude geräumt. Die Straße Unter den Linden wurde weiträumig gesperrt. Ein Polizeisprecher sagte, die Worte des verdächtigen Anrufers seien schwer verständlich gewesen, die Drohung sei aber als ernstzunehmend eingestuft worden.

Gül und seine Delegation warteten daraufhin ab, ob die Sicherheitsbehörden den Saal wieder freigeben würden. Der türkische Präsident konnte schließlich in einem anderen Raum der Universität doch noch auftreten.

Zuvor durften mehrere hundert geladene Gäste wieder in das Gebäude zurückkehren. Sie empfingen Gül mit demonstrativem Beifall. Seine vorbereitete "Europa-Rede" legte der türkische Präsident daraufhin beiseite und sprach ohne Notizen in einer sehr persönlichen Weise über die deutsch-türkischen Beziehungen. Das anschließende Staatsbankett im Schloss Bellevue wurde in den späteren Abend verschoben.

"Die Türkei muss sich anstrengen, Europa aber auch"

Vor dem Hauptgebäude der Universität demonstrierten nach Angaben von Augenzeugen am Abend auch mehrere hundert Kurden. Laut Polizei waren zwei Demonstrationen angemeldet worden - eine Kundgebung zur Begrüßung von Gül, die andere für den in der Türkei inhaftierten Führer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan. Gül betonte bei seinem Auftritt dann auch, er wolle nicht vor Drohungen zurückweichen. Ein Sprengsatz wurde in der Universität nach Polizeiangaben nicht gefunden.

Zum Auftakt seines Deutschlandbesuchs hatte Gül am Vormittag bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit Bundespräsident Christian Wulff betont, die Türkei werde nicht von ihrem "strategischen Ziel" einer EU-Mitgliedschaft abrücken. Sie müsse die Chance erhalten, die ins Stocken geratenen Beitrittsverhandlungen erfolgreich abzuschließen. Wulff sagte: "Die Türkei muss sich anstrengen, Europa aber auch."

Kritik an der deutschen Visapolitik

Das türkische Präsidialamt stellte den Text der vorbereiteten Humboldt-Rede Güls schließlich auf seine Webseite. Darin lobt Gül die EU als "erfolgreichstes Beispiel der Integration in der Weltgeschichte". Er bedauert zugleich, "dass die Atmosphäre der Toleranz in Europa" unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise leide.

Gül versichert, er sei sich bewusst, dass es "Sorgen und sogar Ängste" in Bezug auf eine EU-Mitgliedschaft seines Landes gebe. Deshalb sollte in der Öffentlichkeit darüber ausgiebig, aber vorurteilsfrei diskutiert werden. Man müsse verstehen, wenn der EU-Enthusiasmus vieler Türken nachlasse angesichts von "künstlich konstruierten Hindernissen", und einem Visumverfahren, das seine Landsleute als "verletzend" empfänden.

Türken brauchen für Reisen nach Deutschland seit 1980 ein Visum, Deutsche reisen visafrei in die Türkei. Ankara übt daran seit einiger Zeit immer heftiger Kritik, auch viele Wirtschaftsvertreter haben sich über die deutsche Praxis beschwert. Wulff zeigte Verständnis für den Wunsch nach einer Liberalisierung der deutschen Visapolitik. Er verteidigte aber das von Gül ebenfalls kritisierte deutsche Einwanderungsrecht, das von Ehepartnern junger Türkinnen und Türken als Voraussetzung für die Einreise deutsche Sprachkenntnisse verlangt.

Vor einem Treffen mit Gül an diesem Dienstag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Ablehnung einer vollen EU-Mitgliedschaft der Türkei bekräftigt. "Wir wollen die Vollmitgliedschaft der Türkei nicht", sagte Merkel am Montagabend im mittelhessischen Alsfeld bei einer CDU-Regionalkonferenz. "Aber wir wollen die Türkei als wichtiges Land nicht verlieren", betonte die Kanzlerin.

Gül wird bei seinem dreitägigen Staatsbesuch mit seiner Frau Hayrünnisa auch Osnabrück, die Heimatstadt von Bundespräsident Wulff, besuchen. Im vergangenen Oktober hatte der türkische Präsident bereits seinen deutschen Kollegen in seiner Geburtsstadt Kayseri empfangen.

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