Bundestagspräsident in der Kritik:Lammert gegen alle

Sie zählen zu den Euro-Rebellen der Koalitionsfraktionen - und treten in der Debatte um den Rettungsschirm dennoch auf. Bundestagspräsident Lammert gewährt den Abgeordneten Schäffler und Willsch eigenmächtig Redezeit und überschreitet damit seine Zuständigkeiten. Politiker aller Parteien schimpfen über Lammert, vor allem Unions-Fraktionschef Kauder greift seinen Parteifreund hart an.

Thorsten Denkler, Berlin

Am Dienstag hatte Volker Kauder es erfahren - und umgehend zu verhindern versucht. Aber es nutzte dem Unionsfraktionschef nichts. Sein Parteifreund, Bundestagspräsident Norbert Lammert, räumte den beiden Euro-Rebellen Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) das Recht ein, in der Debatte um den Euro-Rettungsschirm EFSF vor dem Parlament zu reden.

Das Problem: Wer in einer Debatte reden darf und wer nicht, das bestimmen eigentlich die Fraktionen selbst. Jede Fraktion bekommt je nach Stärke für jede Debatte eine bestimmte Minutenzahl zugewiesen. Von wem und von wie vielen Abgeordneten diese Zeit genutzt wird, ist nicht Angelegenheit des Bundestagspräsidenten.

Darüber hat sich Lammert hinweggesetzt, auch um der breiten Debatte in der Öffentlichkeit über die Euro-Rettung auch einen parlamentarischen Raum zu geben. Er beruft sich auf einen einschlägigen Rechtskommentar zu Geschäftsordnung des Bundestages. Darin heißt es: Einem redewilligen Abweichler ist demnach "in jedem Fall das Wort zu erteilen". Dem Präsidenten bleibe nur die Möglichkeit, die Aussprache entsprechend zu verlängern. Dazu sei er "berechtigt und verpflichtet".

Eine abenteuerliche Begründung sei das, sagen unisono die parlamentarischen Geschäftsführer der fünf Bundestagsfraktionen. Das Zeitkontingent der Fraktionen wird damit zwar nicht angetastet. Aber wenn das Schule mache, dann könne künftig jeder Abweichler in einer Debatte eigene Redezeit beanspruchen, heißt es.

Nach der Abstimmung über den EFSF macht Unions-Fraktionschef Volker Kauder seinem Ärger Luft. Ein Pulk von Journalisten umringt ihn, als er loslegt. Er halte Lammerts Entscheidung, Willsch und Schäffler zusätzlich reden zu lassen, für "falsch". Kauder klingt pikiert, als er sagt: "Ich habe dem Herrn Bundestagspräsidenten meine Rechtsauffassung mitgeteilt. Der Herr Bundestagspräsident hatte eine andere Auffassung."

Der Ältestenrat spricht Klartext

Lammert hat in der Unionsfraktion ohnehin längst nicht nur Freunde. Zu oft hat er für einige Abgeordnete die Missachtung des Parlamentes durch die Regierung gebrandmarkt und damit nicht zuletzt Kanzlerin Angela Merkel verärgert. Jetzt ist er es selbst, der die Rechte der Fraktionen schleift.

Nur zum Vergleich: Der Grünen-Fraktion standen in der Debatte 13 Minuten insgesamt zu. Schäffler und Willsch haben mit ihre Einzelmeinungen von Lammert jeweils fünf Minuten zugesprochen bekommen. "Das steht in keinem Verhältnis", heißt es aus Reihen der Grünen.

Am Nachmittag hat sich der Ältestenrat des Bundestags getroffen, in dem unter anderem Lammert und die parlamentarischen Geschäftsführer sitzen. Dort ist dem Vernehmen nach Klartext mit dem Bundestagspräsidenten gesprochen worden. Schließlich könne es keine Fraktion hinnehmen, wenn der Bundestagspräsident eigenmächtig in die Rednerliste eingreife, hieß es. Kauder dazu: "Da kann sich in Debatten künftig ja jeder Abgeordnete vordrängen."

Einen freut es jetzt schon: Christan Ströbele von den Grünen. Dem verweigert seine Fraktion seit Jahren das Rederecht im Bundestag, wenn es um den Afghanistan-Einsatz geht. Ströbele stimmt immer dagegen. Ströbele will sich den Fall Willsch/Schäffler zum Vorbild nehmen. "Jetzt bestehe ich auf Gleichbehandlung. Ich berufe mich auf die weise Entscheidung des Bundestagspräsidenten Lammert, der jedem Abgeordneten grundsätzlich ein Rederecht zu wichtigen Plenums-Diskussion zubilligt."

So hat Lammert das wahrscheinlich nicht gemeint.

Auch der Ältestenrat scheint sich dagegen auszusprechen, wie Volker Beck, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, sueddeutsche.de bestätigt: "Der Ältestenrat hat beschlossen, dass diese Praxis zunächst nicht fortgesetzt werden soll und der Geschäftsordnungsausschuss die geschäftsordnungs- und verfassungsrechtliche Lage feststellen soll."

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