"Wetten, dass ..?":Opa erzählt vom Krieg

In Nürnberg startet Thomas Gottschalk seine Abschiedstournee ohne Motivationsprobleme, guidoknoppisiert sich aber selbst. Seine weiblichen Gäste degradiert er wieder einmal zu Desperate Showwives.

Sebastian Gierke

Vielleicht hätte Peter Gauweiler sich auf den blauen Hüpfball setzten sollen. Er hätte seinem Frust einfach davon springen können: der schwarze Peter wie ein grüner Grashüpfer. Doch Gauweiler verzichtet, als Thomas Gottschalk ihn auf die Bühne bittet, zu einem Wettrennen auf Gummibällen. Er winkt ab. Lachend immerhin.

Wetten, dass..?

Die Moderatoren Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker in der 197. Folge von "Wetten, dass..?" - vielleicht hätte ihrem Gast Peter Gauweiler der Hüpfball auch gefallen.

(Foto: dapd)

Es waren nur ein paar Stunden vergangen, seit seine Parteikollegen von der CSU wenige Meter entfernt auf dem Nürnberger Messegelände mit ihm abgerechnet hatten. Sie wollten Gauweiler nicht als Vizechef. Am Abend setzte sich der Verschmähte dann in die erste Reihe bei Thomas Gottschalk. So wie sich Millionen Menschen seit Jahren vor ihre Fernseher setzten, um "Wetten, dass ..?" zu sehen - und alles andere zu vergessen.

Für die große Eskapismusmaschine Fernsehen ist diese Samstagabendshow immer noch ein wichtiges Bauteil. Und Gottschalk ist Deutschlands Minister für das Grundrecht auf die temporäre Nichtbeachtung der Außenwelt. Er schickt uns ins Bett - ohne Alpträume, wenn möglich. Eine Generation, die es für Erfahrung hält, zusammen vor dem Fernseher keine Erfahrungen gemacht zu haben, die ist sein Publikum.

Minister für Zerstreuung

Zwei Mal noch wird er dieses Publikum vor der Glotze versammeln. Dann ist Schluss. Schluss für Thomas Gottschalk, nach 24 Jahren "Wetten, dass ..?" Es wird, die Prognose ist nicht gewagt, nur schwer möglich sein, den Minister für Zerstreuung adäquat zu ersetzten.

In Nürnberg beginnt er seine Abschiedstournee - und liefert eine gute Show ab. Das liegt vor allem an den Wetten: Einer, der seine Freunde am Schlucken erkennt, ein Australier, der von Gummiball zu Gummiball hüpft, was jedes Känguru überfordern würde. Oder der 11-jährige Hagen Brüggemann, der 100 AC/DC-Songs nach nur drei Sekunden erkennt - und "Highway to Hell" auch noch selbst mit großer Rockerpose auf seiner E-Gitarre zum Besten gibt. "Dich hätte ich meinem Nachfolger nicht gegönnt", sagt Gottschalk in das Toben der Halle hinein.

Wettkönig wird ein junger Mann, der sich an einer Wette versucht, die schon einmal 1983 im Programm war: Schneller als ein Reiter auf seinem Pferd will ein junger Mann über einen Hindernisparcour sprinten und springen. Er scheitert so spektakulär wie knapp. Ein Fortschritt, sein Vorgängerkandidat hatte die Wette damals so unspektakulär wie klar verloren.

Gottschalk macht allerdings schon lange keine Fortschritte mehr. Wie er das Unterhaltungsshow-Schwergewicht "Wetten, dass ..?" so lange an der Spitze gehalten hat, ist deshalb nicht leicht zu erklären. Aber vielleicht ist genau das sein Geheimnis. In Nürnberg zeigt sich wieder: Er ist schlagfertig, aber notorisch unvorbereitet, souverän, aber nicht eitel, weltläufig, aber gleichzeitig bodenständig. Gottschalk ist deshalb nie zu seiner eigenen Parodie geworden. Und auch seine letzten drei Shows geht er ohne Motivationsprobleme an.

Das ZDF habe Sorge, dass er das Format jetzt feierlich zu Grabe trage, erklärt er gleich zu Beginn. Tatsächlich arbeitet er an seinem Vermächtnis: "Geschichte." Das Wort fällt an diesem Abend immer wieder. Und zum britischen Komiker Rowan Atkinson sagt Gottschalk: "Wenn man lange genug vom Publikum Applaus bekommen hat, dann wird man bei Euch ja zum Ritter geschlagen. Das ist bei uns leider nicht möglich."

Das Format als Geschichtsstunde

Tommy als Ritter? Eher nicht. Doch Gottschalk guidoknoppisiert sich an diesem Abend selbst, hält eine "Wetten, dass ..?"-Geschichtsstunde ab. Den Staub, der sich in allen den Jahren in seiner Entertainerseele angesammelt hat, versucht er zusammen mit ein paar alten Bekannten zu verführerisch schimmernder Patina umzudeuten. Beinahe alle, die Gottschalk an diesem Abend eingeladen hat, waren schon einmal bei ihm auf dem Sofa. Rowan "Mr. Bean" Atkinson zum Beispiel. Oder Michael "Bully" Herbig. Ein Dauergast.

Oder Sängerin Sarah Connor, die ihren Besuch natürlich nicht übersteht, ohne vom Gastgeber betatscht zu werden. Dass sich Gottschalk auch diesmal wieder kaum inhaltlich für seine Gäste interessiert, liegt allerdings nicht daran, dass er sie über hat. Er hat sich einfach noch nie für sie interessiert. Jeder darf sein Promo-Verslein zu Film/Platte/Sendung aufsagen, mehr nicht. Darüber als einzige irritiert: die britische Sängerin Jessie J.. Tatsächlich kann man ihrem Blick entnehmen, dass sie den Samstagabend gerne anderswo verbracht hätte.

Für sie war es jedoch die Gottschalk-Premiere. Die anderen haben sich bereits daran gewöhnt, dass der Showmaster seine weiblichen Gäste zu Desperate Showwives degradiert. Aus seinem treuen Sidekick, Michelle Hunziker, macht er angesichts eines nicht mehr benötigten Brotzeittellers ein Housewife: "Michelle, wir können abräumen." Und Mandy Capristo, Teil der Casting-Band Monrose, die in Nürnberg zusammen mit Peter Maffay auftritt, bekommt zwar ein Mikro in die Hand - die Gelegenheit, hineinzusprechen, gibt ihr Gottschalk allerdings nicht.

Dauergast: Der ewige Kobold des Softrock

Dafür zeigt er umso mehr Einspielfilme - von damals: Opa erzählt vom Krieg. Zum Beispiel 2002, als Connor nur mit einer Art Negligé bekleidet auftrat, wodurch sich der Boulevard zu tagelanger Schlagzeilen-Ejakulation veranlasst sah. Gottschalk begrüßt sie diesmal mit den Worten: "Ich bin überrascht, du hast ja was an." Auch eine Darbietung von Peter Maffay auf Mallorca aus dem Jahr 2010 wird mit einem Rückblick gewürdigt. "Über sieben Brücken musst du gehen", sang Maffay damals, für Gottschalk "einer der größten "Wetten, dass ..?"-Momente.

Überhaupt: Peter Maffay. Der Nuschler war so oft bei Gottschalk, wie kein anderer. Gottschalk setzte sich auch diesmal mit ihm aufs Sofa und blättert in einem Fotoalbum. Die Bilder aus den vergangenen Jahren zeigen: Weder der ewige Peter Pan der Fernsehunterhaltung noch der ewige Kobold des Softrocks haben sich in all den Jahren groß verändert.

Maffay wurde von den Zuschauern auf Platz drei der bemerkenswertesten "Wetten, dass ..?"-Auftritte gewählt. Noch vor Madonna, geschlagen nur von "Take That" und natürlich Michael Jacksons Windmaschinen-Epos aus dem Jahr 1995. Sichtlich stolz ist Gottschalk auf dieses "Best of". Das hilft ihm allerdings aktuell nur wenig. Weil der alte Junge bei den jungen Jungen kaum mehr ein Thema ist, tritt so manch aktuelle Band inzwischen lieber anderswo auf. Die "Red Hot Chili Peppers" am selben Abend zum Beispiel bei Stefan Raabs wunderlicher Autokaputtfahr-Show.

Nur Joss Stone wischt am Ende zusammen mit Ex-Eurythmics Mastermind Dave Stewart noch ein bisschen Patina weg, sorgt mit ihrem frischen Glanz für Abwechslung und lässt sich von Gottschalk nicht unterkriegen. Der grinst und verteilt Blumen. Nach der Absage Gauweilers holt er den jungen AC/DC-Fan noch einmal zurück für das Hüpfballrennen. Der erklärt ihm zwar neunmalklug, dass er nach 22 Uhr nicht mehr auf der Bühne stehen dürfe, doch Gottschalk ficht so ein bisschen Kinderarbeit nicht an: "Sollen sie mich doch rausschmeißen."

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