Kraftwerk in München:Die Mensch-Maschine in 3-D

Sie haben als erste Roboter und Puppen auf die Bühne geschickt: "Kraftwerk" haben die Musikgeschichte entscheidend mitgeprägt, doch Allüren oder Posen sind ihnen fremd. In München geben die Düsseldorfer Elektropioniere eines ihrer raren Konzerte - und beweisen: Ihre Musik ist bis heute nicht angestaubt. Nur mit einer Sache sind sie ein bisschen spät dran.

Lisa Sonnabend

Es ist, als stünden die Beatles und Elvis Presley gemeinsam auf der Bühne - und das ist nur leicht übertrieben: Kraftwerk, die Düsseldorfer Elektropioniere, haben am Mittwochabend in der Alten Kongresshalle in München eines ihrer raren Konzerte gegeben - und die Zuschauer zum Staunen gebracht, was man allerdings nicht sehen konnte, weil diese zwei Stunden lang diese merkwürdigen Brillen tragen mussten. Dazu aber später mehr.

Konzert 'Kraftwerk'

Ralf Hütter, Henning Schmitz, Fritz Hilpert und Stefan Pfaffe von Kraftwerk haben in München gezeigt, dass sie immer noch Pioniere sind.

(Foto: dapd)

Kraftwerk haben die Musikgeschichte entscheidend mitgeprägt, doch Allüren oder Posen sind ihnen fremd. Wie schon vor 40 Jahren stehen die vier Mitglieder an ihren Pulten, drehen an Knöpfchen und wippen dazu leicht mit dem Fuß. Sie tragen schwarze, leicht glänzende Anzüge, die wie eine Mischung aus Neopren-Tauchanzug und Priester-Gewand wirken.

Zu Beginn ist die Bühne in Rot getaucht und es ertönt: "Wir laden unsere Batterie, jetzt sind wir voller Energie. Wir sind die Roboter." Dann beginnen die spektakulären Lichtprojektionen. Das war schon immer so bei Kraftwerk-Konzerten und so ist es auch in München. Allerdings sind dieses Mal nicht nur die Musiker in 3-D, die gesamte Show ist es. Deshalb auch diese Brillen auf den Nasen der Zuschauer, die am Eingang verteilt worden sind.

Die Termine in München sind die einzigen geplanten Konzerte der Band. An diesem Donnerstag werden Kraftwerk noch einmal auftreten und sind längst ausverkauft. Am Freitag wird dann im Münchner Lenbachhaus für einige Wochen eine Ausstellung über die Düsseldorfer Band zu sehen sein; gezeigt werden Videoinstallationen - auch in 3-D.

Ohne Kraftwerk würde es Musikrichtungen wie Techno, Synthiepop, Industrial oder Minimal wohl kaum geben. Die Düsseldorfer haben seit ihrer Gründung in Jahr 1970 Künstler wie David Bowie, Depeche Mode oder New Order inspiriert. Songs wie "Autobahn" oder "Das Model" aus den siebziger Jahren waren Chartstürmer und futuristisch.

Kraftwerk sind Avantgarde - und bis heute nicht angestaubt. Rammstein hat vor einigen Jahren ihren Hit "Das Model" gecovert, Jay-Z und Foxy Brown haben in "Sunshine" den Kraftwerk-Song "Die Mensch-Maschine" verarbeitet und in Coldplays "Talk" ist "Computerliebe" wiederzufinden. Auch die Songtexte der Düsseldorfer sind wegweisend. Schon vor Jahrzehnten thematisierten Kraftwerk die Beziehung vom Menschen zur modernen Technik. "Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard, Flensburg und das BKA, haben unsere Daten da." Ein Text, der vielleicht nie so modern gewesen ist wie jetzt.

In einem Punkt zu spät dran

Mit der Idee, eine 3-D-Show zu machen, kommen Kraftwerk nun allerdings ein bisschen spät. Seit Jahren werden dreidimensionale Filme produziert und ziehen ein Massenpublikum an. Sogar die regionale Brauerei in dem beschaulichen Ort Aying, ein paar Kilometer südlich von München, führt inzwischen zum Abschluss von Führungen den Besuchern einen kurzen Imagefilm in 3-D vor, in dem Biergläser und Bottiche räumlich erscheinen.

Allerdings bieten die Musiker von Kraftwerk künstlerisch deutlich mehr als der Brauereibesitzer aus Aying. Beim Konzert schweben Raumkapseln bis über die Köpfe der Zuschauer, abstrakte Gegenstände fegen die Musiker beinahe von den Pulten und als bei "Autobahn" die Zeile erklingt "Jetzt schalten wir das Radio an", erscheint eine Hand im Cockpit des Wagens und dreht am Regler. Bei "Neonlicht" werden grelle Reklameschilder einer nächtlichen Stadt eingeblendet, bei "Vitamin" purzeln überdimensionale Tabletten durch den Raum und bei "Mensch-Maschine" wird ein Computer gezeigt. Die Songs sind aber auch denkbar leicht zu bebildern.

Währenddessen stehen die Musiker unbeeindruckt da und drehen an den Knöpfen. Wie Maschinen, wie schon immer. Ralf Hütter, der als Einziger seit Beginn bei Kraftwerk dabei ist, singt die Textzeilen ins Mikrofon, spricht allerdings während des ganzen Konzertes kein einziges Wort in Richtung Publikum. Kein Hallo, kein Danke, kein "Ihr seid großartig". Weil Maschinen, die machen sowas nicht.

Nach jedem Lied erklingt dennoch ein enthusiastischer Applaus, der durch die alte Kongresshalle hallt, als wäre gerade eine Jahrhundertaufführung an der Bayerischen Staatsoper zu Ende gegangen. Viele rufen Bravo. Wenige dagegen tanzen während der Songs exzessiv, was sicherlich auch an den 3-D-Brillen aus Pappe liegt, die leicht von der Nase oder den Ohren rutschen.

Nach mehr als zwei Stunden verlässt einer nach dem anderen die Bühne. Erst bleiben noch drei, dann zwei, dann nur noch Ralf Hütter. Als auch er verschwunden ist, geht der Sound noch ein wenig weiter. "Music non stop". Der Auftritt ist kein gewöhnliches Konzert, er ist Kunst. Konserviert in einem Museum dürften Kraftwerk also durchaus funktionieren. Vielleicht liegt die Zukunft der Band sogar eher in einem Kunsthaus als auf einer Konzertbühne. Die Pionierarbeit kann somit erneut beginnen.

Kraftwerk spielen an diesem Donnerstag um 20 Uhr sowie um 24 Uhr noch einmal in der Alten Kongresshalle, offiziell sind beide Konzerte ausverkauft, es gibt allerdings noch Restkarten an der Abendkasse. Die Ausstellung "Kraftwerk 3D-Video-Installation" ist vom 15. Oktober bis 13. November 2011 im Lenbachhaus (Kunstbau) zu erleben.

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