Prozess gegen Reemtsma-Entführer Drach:"Alles, was er hat, gehört mir"

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Seine Selbstgerechtigkeit hat er sich über all die Jahre bewahrt: Der Reemtsma-Entführer Thomas Drach soll seinen jüngeren Bruder erpresst haben, um an das Lösegeld zu kommen - vor Gericht nennt er die Vorwürfe "albern".

Hans Holzhaider, Hamburg

Eines muss man dem Mann lassen: Er bleibt sich treu. Als Thomas Drach im Dezember 2000 wegen der Entführung von Jan Philipp Reemtsma vor Gericht stand, da gerierte er sich eher als Ankläger denn als Angeklagter: gegen die "illegalen Ermittlungsmethoden" der deutschen Staatsanwaltschaft, gegen die unmenschliche Untersuchungshaft in Brasilien, wo man ihm nicht einmal ein Stück Seife gegönnt habe, und gegen die "Spinner", die sein Entführungsopfer bei der Fahndung auf ihn angesetzt habe.

Er hingegen habe doch dem entführten Millionär in seinem Kellerverlies "alles Lebensnotwendige" zur Verfügung gestellt, und dass Reemtsma überhaupt mit dem Leben davongekommen sei, habe er nur seiner, Drachs, Besonnenheit zu verdanken: "Hätte man es nicht mit besonnenen Tätern zu tun gehabt", schwadronierte der damals 40-Jährige, "dann hätte diese Entführung in einer furchtbaren Tragödie für Herrn Reemtsma geendet."

Heute ist Thomas Drach 51 Jahre alt, und im nächsten Juli hätte er die vierzehneinhalb Jahre Haft abgesessen, zu der ihn das Landgericht Hamburg damals verurteilte. Aber seine Selbstgerechtigkeit und Uneinsichtigkeit hat er sich über all die Jahre bewahrt. Die Hauptmasse des damals erpressten Lösegeldes - nach heutiger Währung rund 15 Millionen Euro - wurde bis heute nicht gefunden. Am Mittwoch stand Thomas Drach erneut vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft glaubt, er habe 2009 versucht, einen Freund dazu anzustiften, Drachs soeben aus der Haft entlassenen Bruder Lutz zu entführen, um ihn zur Herausgabe des verbliebenen Lösegeldes aus der Reemtsma-Entführung zu zwingen. In seinem kurzen Auftritt vor Gericht wies Drach diesen Vorwurf als "albernes Theater" zurück. Das seien "familieninterne Angelegenheiten", sagte er. Welche Absprachen er mit seinem Bruder habe, "das haben Sie in den 15 Jahren nicht erfahren, und das werden Sie auch heute nicht erfahren".

Ob von den Reemtsma-Millionen überhaupt noch etwas übrig ist, darüber gibt es nur Spekulationen. 2006 wurde Lutz Drach, der zwei Jahre jüngere Bruder von Thomas, zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte gestanden, mit Hilfe von Mittelsmännern sechs Millionen Schweizer Franken gewaschen zu haben. 2008 stand ein weiterer Komplize des Entführers vor Gericht, der allerlei skurrile Geschichten über den Verbleib des Geldes erzählte. So seien zum Beispiel acht Millionen Mark mit einem Schweinezucht-Projekt in Bulgarien in den Sand gesetzt worden. Er glaube nicht, dass von den 15 Millionen Euro noch viel übrig sei, mutmaßte der Komplize. "Alles verbraucht, irgendwo versickert, durch Fehlplanung und Fehlinvestition."

Aber das klingt doch eher unwahrscheinlich. Schließlich lagen zwischen der Entführung Reemtsmas und der Festnahme von Thomas Drach in Brasilien nur zwei Jahre, ein ziemlich kurzer Zeitraum, um so viel Geld durchzubringen, obwohl Drach es sich in Südamerika außerordentlich gut gehen ließ. Die Briefe aus dem Knast, die die Staatsanwaltschaft abfing, klingen auch anders. Lutz solle die 30 Millionen Schulden bezahlen, heißt es darin. "Alles, was er hat, gehört mir." Brüderliche Gefühle hegt Thomas Drach offensichtlich nicht mehr. Eine "Ratte" und einen "Loser, der nie Geld hatte", nennt er seinen kleinen Bruder. Ob sich allerdings aus den Briefen tatsächlich eine strafrechtlich relevante Anstiftung zur Erpressung ableiten lässt, ist durchaus ungewiss. Drachs Verteidiger Helfried Roubicek stellte den Antrag, das Verfahren einzustellen, weil kein hinreichender Tatverdacht bestehe. Falls das Gericht der Staatsanwaltschaft folgt und Drach ein weiteres Mal verurteilt, könnte das bittere Folgen für ihn haben - dann stünde nämlich die Sicherungsverwahrung im Raum.

Die Verhandlung hatte mit einer mehrstündigen Verzögerung begonnen, weil Drach sich geweigert hatte, während der Fahrt von der Justizvollzugsanstalt zum Gericht eine Sichtschutzbrille aufzusetzen. Das war wegen der angeblich hohen Fluchtgefahr angeordnet worden. Das Gericht ließ Drach schließlich von einem Spezialeinsatzkommando vorführen.

© SZ vom 14.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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