Handel um Soldat Gilad Schalit:Freiheit am seidenen Faden

Die Eltern des Soldaten Gilad Schalit fürchten immer noch, der Austausch könne in letzter Minute platzen. Denn in Israel wird scharfe Kritik an der Freilassung Hunderter Terroristen laut. Und Angehörige palästinensischer Gefangener, die nicht freikommen sollen, sind enttäuscht und drohen mit weiteren Entführungen. Die Geisel Schalit ist abhängig von einem gefährlich zerbrechlichen Deal.

Peter Münch, Tel Aviv

Luftlinie sind es gerade einmal 200 Kilometer vom Gaza-Streifen bis nach Mitzpe Hila im Norden Galiläas. Gilad Schalit soll diese Reise antreten in den nächsten Tagen, aus dem entführten Soldaten wird eine befreite Geisel. Doch so kurz die Entfernung auch ist und so nah der Tag, an dem der junge Israeli nach mehr als fünf Jahren die Ketten abstreifen und in sein Heimatdorf zurückkehren kann - der Weg in die Freiheit wird bis zuletzt begleitet sein von zähem Ringen und von der Angst, dass trotz einer von der Hamas ebenso wie von Israel verkündeten Einigung noch in letzter Minute etwas Unvorhergesehenes passiert. "Der Kreis schließt sich erst, wenn Gilad in unserem Haus, so wie früher, die Treppe herunterkommt", sagt Noam Schalit, der Vater des Entführten.

Israeli Cabinet Agree Deal For Return Of Kidnapped Soldier Gilad Shalit

Bald soll der Soldat Gilad Schalit - hier auf einem Bild seiner Unterstützer - wieder frei sein. Glauben wollen seine Eltern das erst, wenn er wieder zu Hause ist.

(Foto: Getty Images)

Von israelischer wie von palästinensischer Seite wird vermittelt, dass der vereinbarte Gefangenenaustausch schon Dienstag oder Mittwoch nächster Woche stattfinden soll. Nach Angaben des israelischen Justizministeriums wird am Sonntag eine Liste mit den Namen von 450 Gefangenen veröffentlicht, die im ersten Teil des Handels gegen Schalit ausgetauscht werden. 550 weitere sollen binnen zwei Monaten freikommen.

Gegen die Freilassung einzelner Gefangener kann innerhalb von 48 Stunden Einspruch erhoben werden. Weil 279 Häftlinge darunter sind, die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Terrortaten verurteilt sind, werden Einwände vor allem von Angehörigen israelischer Opfer erwartet. Es wird jedoch derzeit nicht damit gerechnet, dass dies den vereinbarten Austausch verhindert.

Nach einem Ablaufplan, den die Zeitung Jediot Achronot am Donnerstag veröffentlichte, soll Schalit vom Gaza-Streifen aus nach Ägypten gebracht werden, sobald die 450 Gefangenen plus weitere 27 weibliche Häftlinge freigelassen werden. Von dort wird er nach einer Identifizierung und medizinischen Untersuchungen voraussichtlich mit einer Militärmaschine nach Israel fliegen, wo seine Eltern auf ihn warten.

Um israelischen Sicherheitsinteressen Rechnung zu tragen, soll ein Teil der Gefangenen, die aus dem Westjordanland stammen, in den Gaza-Streifen abgeschoben werden. Andere, die als besonders gefährlich gelten, müssen ins Exil. Wer in das Westjordanland entlassen wird, hat strikte Auflagen zu befolgen.

Bis ins Detail sind diese Vereinbarungen offenbar festgezurrt worden. Die Kritik an der Übereinkunft reißt trotzdem in beiden Lagern nicht ab. Die Zeitung Haaretz berichtet von stürmischen Szenen in der Kabinettssitzung, bei der Premierminister Benjamin Netanjahu um Zustimmung für den Austausch warb. So sollen Minister der ultraorthodoxen Schas-Partei gefordert haben, aus Gründen der "Balance" jüdische Gewalttäter freizulassen, die Palästinenser attackiert hatten. Andere hätten vorgeschlagen, durch die Anwendung der Todesstrafe künftigen Erpressungen zur Gefangenenfreilassung einen Riegel vorzuschieben.

Aber auch die Hamas muss sich Kritik gefallen lassen, weil die Freilassung mehrerer prominenter Gefangener nicht erreicht worden ist. In Ramallah erklärte der für die Gefangenenfrage zuständige Minister Issa Kraka, er sei enttäuscht von dem Handel. Wütend sind auch die Familien all jener 5000 Häftlinge, die weiter in israelischen Gefängnissen einsitzen müssen.

An sie gerichtet erklärte ein Sprecher der Kassam-Brigaden, des bewaffneten Arms der Hamas, man fühle sich jedem Gefangenen verpflichtet und werde "alle nötigen Maßnahmen" ergreifen, um alle frei zu bekommen - also weitere Israelis zu verschleppen versuchen: "Der zionistische Soldat Gilad Schalit wird nicht der Letzte sein, solange die zionistische Besatzung unsere Leute kidnappt", heißt es. Für die Familien der Gefangenen soll das wohl ein Trost sein. Für Israel ist es eine ernste Drohung.

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