Linke-Parteichef Klaus Ernst im Gespräch:"Arbeit wird so billig wie Dreck"

Europa muss neu erfunden, die Macht der Banken begrenzt und Kriegseinsätze der Bundeswehr unter allen Umständen verhindert werden: Vor dem Parteitag der Linken erläutert Parteichef Ernst im Gespräch mit sueddeutsche.de die Ziele seiner Partei und spricht über die Auswüchse des Kapitalismus, persönliche Fehler und den einen Punkt, in dem Angela Merkel recht hat.

Daniel Brössler und Thorsten Denkler

Klaus Ernst wirkt gutgelaunt, als er an diesem sonnigen Herbstmorgen zum Interview in sein Büro im Karl-Liebknecht-Haus bittet. Aber eine Frohnatur ist Ernst ja eigentlich immer. Den Porsche fährt er noch, erzählt er am Ende freimütig, aber den Winter über steht der in der Garage. Doch wenn er den Sportwagen eines Tages mal verkaufen sollte, dann könnte es vielleicht ein Italiener werden. Nein, kein Ferrari. Fiat heißt die neue Marke seiner Wahl. Da muss sogar sein Pressesprecher mit dem Kopf schütteln.

Landesparteitag der Linken in Hessen

Klaus Ernst wettert gegen den Kapitalismus, gibt aber in einem Punkt doch der Kanzlerin recht: Scheitert der Euro, scheitert auch Europa.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Ernst, auf dem Parteitag in Erfurt wird die Linke ihr Grundsatzprogramm verabschieden. Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Antwort der Linken auf die Krise ist der Sozialismus. Stimmen Sie zu?

Klaus Ernst: Unsere Antwort auf die Krise besteht aus einer ganzen Reihe von konkreten Forderungen, die wir mit dem Begriff demokratischer Sozialismus zusammenfassen.

sueddeutsche.de: Das heißt?

Ernst: Das ist eine Gesellschaft, in der diejenigen, die den Reichtum erarbeiten, auch die Früchte ernten, und in der die Staatsgeschäfte im Interesse der Mehrheit geführt werden, also echte Demokratie.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das für die Finanzkrise?

Ernst: Die Regel muss lauten: Erst der Mensch, dann die Banken, erst die Europäer, dann der Euro. Das heißt: Die Banken müssen den Menschen dienen, und der Euro den Europäern. Der Neoliberalismus hat das europäische Projekt an den Baum gefahren. Das ist ein Drama, weil das geeinte Europa ein Friedensprojekt ist. Wir brauchen nicht weniger als einen Neustart für Europa.

sueddeutsche.de: Wie soll der aussehen?

Ernst: Wir sollten die gescheiterte Verfassungsdiskussion wieder aufnehmen. Ich bin dafür, dass Europa eine Verfassung bekommt, am besten verabschiedet durch einen Volksentscheid. Es bröselt doch alles auseinander gerade. Fragen Sie die Griechen, fragen sie die Italiener, die Spanier. Glauben Sie, dass die noch für Europa sind? Im Moment bedeutet Europa für viele Bürger nur weniger Jobs, weniger Lohn, weniger Rente, weniger Sozialleistungen, weniger Sicherheit.

sueddeutsche.de: Was also soll in der Verfassung stehen?

Ernst: Eine europäische Verfassung müsste die Rechte und Pflichten der Europäer in verständlicher Sprache niederschreiben. Wenn alle Europäer ein verbrieftes Recht auf Arbeit, auf bezahlbaren Wohnraum und auf soziale Sicherheit bekommen, dann fällt es ihnen auch leicht, ja zu diesem Projekt zu sagen.

sueddeutsche.de: Und die Euro-Krise?

Ernst: Natürlich brauchen wir nach den Erfahrungen der letzten Jahre auch Regeln für den Euro und die Staatshaushalte. Alle Länder müssen darauf achten, dass ihre Handelsbilanzen ausgeglichen sind. Außerdem muss der Bankensektor streng reguliert werden. Gegen Steuerdumping helfen Mindeststeuersätze. Wenn es so ein Regelwerk gibt, dann kann man auch von den Staaten verlangen, dass sie Defizite vermeiden und schnell abbauen. Wir müssen die Krise lösen und die Bürger mitnehmen, sonst bricht uns der Laden auseinander.

sueddeutsche.de: Die Kanzlerin sagt, scheitert der Euro, scheitert Europa. Hat sie recht?

Ernst: In der Frage hat sie recht. Mit einer Ergänzung: Dann scheitert auch Merkel, weil sie Europa die falschen Konzepte aufgezwungen hat.

sueddeutsche.de: Ihr Konzept dagegen sieht vor: keine privaten Banken und keine privaten Großkonzerne mehr.

Mehrheit der Linken-Basis haelt Doppelspitze fuer eine Fehlbesetzung

Ob Porsche-Klaus oder Kommunismus-Debatte: Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, die beiden Parteivorsitzenden der Linken, sind ein umstrittenes Führungsduo.

(Foto: dapd)

Ernst: Wir sagen: Die Banken müssen öffentlich-rechtlich organisiert werden. Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind zum Beispiel besser als Zockerbanken. Auch die Daseinsvorsorge muss öffentlich organisiert sein. Die Strom- und Wasserversorgung etwa, der gesamte Gesundheitsbereich. Aber wir wollen doch nicht den Privatbesitz abschaffen.

sueddeutsche.de: Dann müssen sich die Aktionäre der Dax-Konzerne und die mittelständischen Unternehmer keine Sorgen machen?

Ernst: Wir wollen, dass Belegschaften bis zur Hälfte Eigentümerinnen ihrer Unternehmen werden. Das hat erst mal nichts mit Verstaatlichung zu tun.

sueddeutsche.de: Und das garantiert eine bessere Unternehmensführung?

Ernst: Nein, aber auch keine schlechtere. Nehmen wir Maria-Elisabeth Schaeffler. Die hat ihr Unternehmen vor die Wand gefahren und dann nach staatlichen Hilfen gerufen, angeblich um die Arbeitsplätze zu retten. Warum eigentlich hätte der Staat Frau Schaeffler Geld geben sollen? Geben wir es doch den Mitarbeitern. Die gründen damit eine Stiftung, die sich wiederum am Unternehmen beteiligt.

sueddeutsche.de: In Ihrem Programm ist von Marktwirtschaft nur im historischen Teil die Rede. Will die Linke die Marktwirtschaft abschaffen?

Ernst: Nein, diese Frage ist falsch gestellt. Der Markt ist ein Steuerungsmechanismus. Wo er im Interesse der Menschen funktioniert, gut. Wo nicht, da muss regulierend eingegriffen werden. Im Programm bekennen wir uns zu verschiedenen Eigentumsformen. Öffentliches Eigentum, Beteiligungseigentum und natürlich auch privates Eigentum. Wir wollen doch nicht den Handwerker verstaatlichen. Das wäre Unfug.

sueddeutsche.de: Was bedeutet es dann, wenn im Programm steht, die Linke wolle den Kapitalismus überwinden?

Ernst: Kapitalismus überwinden heißt, dass wir das Profitinteresse als alleiniges Steuerungsinstrument der Ökonomie überwinden.

sueddeutsche.de: Die meisten Deutschen glauben, sie leben in einer sozialen Marktwirtschaft?

Ernst: Wir stecken so tief im Kapitalismus, dass wir einen eklatanten Abbau von Demokratie und Wohlstand in ganz Europa erleben. Im Bundestag sind die Abgeordneten doch oft nur noch Marionetten, die abnicken, was die Wirtschaft vorgibt. Die Bankenrettungspakete werden von den Banken geschrieben. Befristung, Leiharbeit, Minijobs - alles nimmt zu. Arbeit wird so billig wie Dreck. Man muss wieder Eintritt beim Arzt bezahlen, wie zu Bismarcks Zeiten. Bürgerrechte werden geschliffen. Also, wenn dies hier kein Kapitalismus ist, dann weiß ich nicht, was Kapitalismus sein soll.

sueddeutsche.de: Ein Frankfurter FDP-Mann hat kürzlich gesagt, die Bürger seien zu ungebildet, um die FDP zu wählen. Geht es der Linken ähnlich?

Landesparteitag der Linken in Wetzlar

Strenge Prinzipientreue: Ernst lehnt den Einsatz bewaffneter Truppen in internationalen Konflikten ab, selbst dann, wenn ein UN-Mandat vorliegt wie in Libyen.

(Foto: dapd)

Ernst: Ich würde nie sagen, dass der Wähler dumm ist. Was aber stimmt, ist, dass viele Menschen gegen ihre Interessen wählen. Millionen Rentner wählen Parteien, die ihnen die Rente kürzen. Sicher ist es so, dass die Verhältnisse für viele einigermaßen undurchschaubar geworden sind. Da hilft aber kein Jammern.

sueddeutsche.de: Wir erleben die größte Finanzkrise, die Europa je gesehen hat. Aber die Linke schafft es nicht, sie für sich zu nutzen. Die Umfragen sind mager, in Berlin hat die Linke die Regierungsbeteiligung durch eigene Schwäche verloren. Liegt das an der Undurchschaubarkeit der Verhältnisse?

Ernst: Wir sind mit unseren Vorschlägen nicht immer durchgedrungen. Das versuchen wir zu ändern.

sueddeutsche.de: Womit werden Sie nach vorne preschen?

Ernst: Wir brauchen ausgeglichene Handelsbilanzen zwischen den Ländern Europas. Das ist bei einer gemeinsamen Währung unabdingbare Vorrausetzung dafür, dass Europa funktioniert.

sueddeutsche.de: Das mag ja eine wichtige Forderung sein. Aber damit wollen Sie die Menschen wieder für die Linke begeistern?

Ernst: Ja, weil diese Forderung ohne Mindestlöhne, ohne höhere Steuern für Reiche, ohne eine gerechte Neuregulierung des Arbeitsmarkts, ohne gerechtere Sozialsysteme von den Renten über die Pflege bis zu Hartz IV nicht einzulösen sein wird.

sueddeutsche.de: Könnte die Schwäche der Linken nicht auch einfach daran liegen, dass sie nicht mehr als relevante Stimme wahrgenommen wird?

Ernst: Nicht relevant? Es ist zunächst einmal an SPD und Grünen, der Tatsache ins Auge zu schauen, dass sie in keiner Umfrage mehr eine Mehrheit haben. Da sitzen Träumer am Steuer, und niemand weckt sie. Es ist richtig, dass wir sagen, wo sich die anderen bewegen müssen. Wir sind so erfolgreich, wie ich es nie erwartet hätte. Wenn die Kanzlerin sich jetzt für eine europäische Finanztransaktionsteuer einsetzt, übernimmt sie eine Forderung der Linken. Wir haben eine Debatte um die Regulierung der Finanzmärkte - maßgeblich von der Linken vorangetrieben. Wir haben eine Debatte über Altersarmut. Und unsere Vorschläge finden sich plötzlich bei den anderen Parteien wieder.

sueddeutsche.de: Nur dankt es Ihnen keiner. Wo liegt Ihr persönlicher Anteil am desolaten Erscheinungsbild der Partei?

Ernst: Es ist uns allen gemeinsam nicht gelungen, unsere Inhalte in den Vordergrund zu stellen.

sueddeutsche.de: Das sagen Sie, seit Sie im Amt sind. Geändert hat sich nichts.

Ernst: Da irren Sie. Es stimmt, wir müssen besser werden. Aber die anderen schreiben bei uns ab.

sueddeutsche.de: Moment. In der Außenwahrnehmung sind die Top-Themen der Linken der Porsche-Klaus, die Kommunismus-Lötzsch, die Antisemitismusdebatte, die Nähe zu die Mauer verherrlichenden Blättern wie der Jungen Welt.

Ernst: Darüber wird vielleicht noch viel geschrieben. In der Partei spielt das keine Rolle. Und zunehmend haben die Menschen den Eindruck, dass das von der Presse bewusst hochgespielt wird, um von unseren Inhalten abzulenken.

sueddeutsche.de: Werden Sie antreten, wenn es im kommenden Jahr möglicherweise zum Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz kommt.

Ernst: Jetzt haben wir erst mal unseren Parteitag. Das andere sehen wird danach.

sueddeutsche.de: Müssen Sie vielleicht noch weiter noch links rücken, um wahrgenommen zu werden?

Ernst: Das wäre falsch. Wir müssen nur konsequent bei unserer Positionen bleiben und dürfen sie nicht zugunsten von möglichen Koalitionen aufweichen.

sueddeutsche.de: Die Linke nimmt Positionen ein, die keinen Verhandlungsspielraum zulassen und Koalitionen mit anderen Parteien klar ausschließen, wenn es etwa um bewaffnete Einsätze der Bundeswehr geht oder um Hartz-IV.

Ernst: Es ist normal, dass Parteien vor Wahlen ihre Ziele formulieren. Wir werden uns aber nie und nimmer mit diesem Hartz-System zufriedengeben, für völkerrechtswidrige Kriege stimmen oder die Rente ab 67 akzeptieren

sueddeutsche.de: Das heißt doch, Koalitionen mit der Linken wird es im Bund nur geben, wenn ...

Ernst: Nein, das heißt es überhaupt nicht. Die Realität ist doch: Alle anderen bewegen sich auf uns zu.

Leichen produzieren die anderen, wir nicht

sueddeutsche.de: Nehmen wir die internationale Politik: Die Linke wird sich gegen jeden bewaffneten Blauhelmeinsatz der Bundeswehr stemmen, selbst wenn die Vereinten Nationen einen wasserdichten Beschluss dazu geliefert haben. Halten Sie es da für realistisch, dass andere Parteien mit Ihnen im Bund koalieren wollen?

Ernst: Zunächst mal: Nicht jeder Beschluss des UN-Sicherheitsrates ist automatisch auch völkerrechtskonform. Das bitte ich zu beachten. In unserem Programmentwurf schlagen wir vor, ein Willy-Brandt-Korps einzusetzen, das mit friedlichen Mitteln humanitäre Hilfe leisten kann. Wasser, Zelte, praktische Hilfe.

sueddeutsche.de: Das hat doch mit der Blauhelmfrage gar nichts zu tun.

Ernst: Doch. Wir sagen klar, wir wollen helfen, wo es nötig ist. Aber die Hilfe soll direkt den betroffenen Menschen zugutekommen.

sueddeutsche.de: Sie schließen aber als Partei Einsätze aus, bei denen mit Waffen geholfen wird, Frieden zu sichern.

Ernst: Mit Waffen ist kein Frieden zu sichern. Das sehen wir doch überdeutlich in Afghanistan. Wir haben da eine prinzipielle Haltung.

sueddeutsche.de: Für die Sie auch über Leichen gehen?

Ernst: Leichen produzieren die anderen. Wir nicht.

sueddeutsche.de: Sie versuchen doch nur, Ihre Hände in Unschuld zu waschen. Beim Genozid der Hutu an den Tutsi sind vor den Augen von UN-Blauhelmsoldaten Tausende Menschen abgeschlachtet worden. Die UN-Soldaten durften nicht eingreifen. Sie hatten kein Mandat, um die Menschen auch mit Waffengewalt zu schützen. Und da sagt die Linke: Das ist gut so, wir bleiben bei unseren Prinzipien?

Ernst: Das ist falsch. Wir sagen, solche Konflikte müssen vorher gelöst werden.

sueddeutsche.de: Und wenn es dafür schon zu spät ist? Dann lassen Sie das Kind im Brunnen liegen, weil irgendwer vorher vergessen hat, den Brunnenschacht zu sichern?

Ernst: Nein, nein, es geht darum, es gar nicht erst runterfallen zu lassen. Unsere Haltung ist: Wir müssen eine Politik machen, die solche Konflikte gar nicht erst entstehen lässt. Wenn wir das tun würden, gäbe es die Notwendigkeit gar nicht. Nun sagen Sie, aber wenn es doch passiert, dann müsst Ihr mitmachen. Diese Argumentation halte ich für nicht akzeptabel.

sueddeutsche.de: Das ist Realität.

Ernst: Aber die Realität zeigt doch, dass man mit Krieg keinen Frieden schafft. Wir bleiben dabei: Die Konflikte müssen im Vorfeld gelöst werden.

sueddeutsche.de: Was ist mit Libyen?

Ernst: Toll. Toller Einsatz. Klasse! Dieselben Leute, die dort ihre Kampfjets hingeschickt haben, haben vorher Gaddafi hofiert. Die haben den sogar aufgerüstet. Und es geht weiter. Deutschland schickt Kampfpanzer nach Saudi-Arabien. Und dann sollen wir als Linke irgendwann zustimmen, wenn die Bundeswehr jene Freiheitsbewegungen unterstützen soll, die mit diesen Panzern unterdrückt werden? Ja, glauben Sie, wir sind bescheuert?

sueddeutsche.de: Wenn Ihr Willy-Brandt-Korps unter Beschuss gerät, dann kann es sich also nicht mal verteidigen.

Ernst: Dort wo zivile Hilfe keinen Sinn macht, dort gehört auch das Willy-Brandt-Korps nicht hin. So einfach ist die Welt.

sueddeutsche.de: Das heißt: Keine Hilfe für Menschen in Konfliktgebieten.

Ernst: Entschuldigen Sie: Immer wenn es um bewaffnete Einsätze geht, sind wir sofort dabei, geben Milliarden dafür aus. Vergleichen Sie das mal mit dem, was wir für zivilen Aufbau ausgeben. Ein Witz. Wir wollen das umkehren. Das ist unser Ansatz.

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