Zwischenbilanz zu Lebensmittelklarheit.de:Hersteller reagieren auf Druck

Erfolg im Kampf gegen den Etikettenschwindel: 100 Tage nach seinem Start verbucht das Verbraucherportal Lebensmittelklarheit.de 3800 Beschwerden über irreführende Verpackungen. Der öffentliche Druck zeigt erste Wirkungen: 27 Hersteller wollen ihre Verpackungen überarbeiten.

Mehmet Ata

Ein Mango-Saft, der kaum Mango enthält, eine Kalbswurst, die hauptsächlich aus Schweinefleisch besteht oder ein bayrischer Leberkäse ohne Leber: Verbraucher werden häufig mit täuschenden Packungen in die Irre geführt. Dabei bewegen sich die Unternehmen oft im gesetzlichen Rahmen, oder in einer Grauzone. So muss ein Kalbswiener nur 15 Prozent Kalb enthalten, um dennoch so genannt werden zu dürfen.

Genau solche Fälle macht die Verbraucherplattform Lebensmittelklarheit.de öffentlich. Die Organisatoren zeigen sich 100 Tage nach Freischaltung der Seite sehr zufrieden. "Wir haben mit dem Angebot den Nerv der Verbraucherschaft getroffen", sagte Gerd Billen, der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, am Donnerstag in Berlin. Bisher sind 3800 Meldungen von Verbrauchern über die Plattform eingegangen, von denen 900 bearbeitet wurden. 72 Produkte werden inzwischen auf der Seite aufgeführt.

Der öffentliche Druck zeigt Wirkung

Warum so wenige? Nicht alle Beschwerden sind für Lebensmittelklarheit.de relevant. Wenn ein Verbraucher über mangelnde Qualität klagt, wird er an die Lebensmittelüberwachung weitergeleitet. Fehlt das Mindesthaltbarkeitsdatum, wird der Fall an die zuständige Behörde verwiesen. Das Portal kümmert sich ausschließlich um Etikettenschwindel.

Der öffentliche Druck, der durch die Seite erzeugt wird, scheint Wirkung zu zeigen: 27 Anbieter wollen ihre Verpackungen überarbeiten. Sie haben angekündigt, Schriftgrößen anzupassen oder Rezepturen zu ändern. "So enthält der Curry-Orangen-Ketchup nun auch bald wirklich Orangenschalen, die Bananenschokolade ein Bananenpüree und auch die Wasabi-Erdnüsse werden demnächst also wirklich Wasabi enthalten", freut sich die Verbraucherzentrale.

"Viele Fälle von irritierenden Verpackungen kannten wir früher schon. Doch die Anbieter haben selten oder gar nicht auf Kritik der Verbraucherzentralen reagiert", sagte Billen. Mit der neuen Plattform habe sich das geändert. "Die Hersteller bewegen sich jetzt plötzlich doch."

Start mit Kinderkrankheiten

Anfangs hatte Lebensmitteklarheit.de mit vielen Kinderkrankheiten zu kämpfen. Unmittelbar nach dem Start brachen die Server unter der Last der Seitenzugriffe zusammen. Alleine in den ersten vier Tagen zählten die Homepage-Betreiber mehrere Millionen Aufrufe. Auch die menschlichen Ressourcen reichten für den Ansturm der Verbraucher nicht aus. Erst ein Viertel der Anfragen konnten bislang bearbeitet werden. Billen nimmt das aber gelassen: "Lieber so, als dass sich niemand für die Seite interessiert."

Erster Tarifabschluss im deutschen Einzelhandel

Ist auch drin, was drauf steht? Die Beschwerden verärgerter Verbraucher häufen sich.

(Foto: dpa)

Die Engpässe sollen jetzt behoben sein. Kürzlich hat das Verbraucherministerium zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt, damit neue Mitarbeiter eingestellt werden können. Zudem haben die Verbraucherzentralen ein Netzwerk aufgebaut, das die Fälle bearbeitet.

"Noch bin ich nicht im Gefängnis"

Eine weitere gute Nachricht für die Verbraucherschützer: Die Unternehmen reagieren meist konstruktiv auf ihre Kritik. Das war so nicht vorhersehbar, denn die Wirtschaft hatte sich gegen die Plattform gewehrt, weil sie einen Pranger fürchtete. Verbände hätten sogar mit Klagen gedroht, sagte Billen. "Aber noch bin ich nicht im Gefängnis, sondern ein freier Mann", scherzte er. Auch aus der Politik gibt es Kritik. Die FDP-Ernährungsexpertin Christel Happach-Kasan sagte, die Nennung von einzelnen Produkten auf der Internetseite sei eine "unglückliche Lösung".

Die Verbraucherschützer lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie wollen die Plattform auch dazu nutzen, um politischen Druck auszuüben. Es gebe zahlreiche Regelungslücken, da sei die Politik gefragt. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sagte Unterstützung zu. Es müssten Leitsätze im Deutschen Lebensmittelbuch, das die Herstellung und Beschaffenheit von Lebensmitteln beschreiben, überprüft werden.

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