Thailand:Wenn Bangkok in Fluten versinkt

Thailand erlebt die schlimmsten Überschwemmungen seit Jahrzehnten. Ein Drittel des Landes ist betroffen, 377 Menschen sind in den Wassermassen ums Leben gekommen. An diesem Samstag soll die Flut ihren Scheitelpunkt erreichen - und die Zwölf-Millionen-Metropole Bangkok überspülen.

Tobias Matern

Es klingt wie eine Kampfansage. Ihr Haus werde sie nicht verlassen, egal wie hoch der Pegel steigt. Schließlich sei sie hier geboren worden. "Ich bleibe", bekräftigt die Frau, die sich mit dem Namen Tukta vorgestellt hat. Bis zur Wade steht sie im Wasser. Der Weg zu ihrem Haus lässt sich nur noch erahnen, das Fahrrad der Tochter fischt sie gerade noch rechtzeitig aus dem Wasser, bevor es weggespült wird.

Der Chao-Phraya-Fluss ist nur wenige Meter entfernt über die Ufer getreten und hat die Samsen-Straße überschwemmt. "Wir haben es mit einer Naturkatastrophe zu tun, die müssen wir so nehmen, wie sie kommt", sagt die 58-Jährige. Ins Erdgeschoss ihres zweistöckigen Hauses dringt das Wasser bereits ein. Die meisten Möbel musste die Familie in den ersten Stock tragen, um sie vor der Brühe zu retten. "Wir brauchen jetzt vor allem Glück", sagt Tukta.

Auf der anderen Seite der Samsen-Straße hält sich ein älterer Ladenbesitzer mit einer Hand an einer Krücke fest, mit der anderen Hand füllt er den Eimer und gießt das Wasser aus seinem Geschäft auf die Straße. Eine Sisyphus-Arbeit. Seine Frau macht eine Pause. Sie seufzt.

Thailand erlebt die schlimmsten Fluten seit Jahrzehnten. Bereits 377 Menschen sind in den Wassermassen ums Leben gekommen. Etwa ein Drittel des Landes ist davon betroffen. Meteorologen sagen Bangkok ein dramatisches Wochenende voraus. Denn an diesem Samstag soll die Flut ihren Scheitelpunkt erreichen. Das Wasser im Chao Phraya könnte auf bis zu 2,60 Meter anschwellen - die Dämme sind aber nur 2,50 Meter hoch. Nicht nur wie bisher die nördlichen Bezirke in der Zwölf-Millionen-Metropole stünden dann unter Wasser, sondern auch die Innenstadt.

Premierministerin Yingluck Shinawatra erlebt die härteste Herausforderung ihrer noch jungen Regierung. Erst vor drei Monaten hatte die jüngere Schwester des umstrittenen Thaksin Shinawatra, der vor einer Gefängnisstrafe ins Exil geflüchtet war, ihr Amt angetreten. Für ihr Krisenmanagement muss sie jetzt heftige Kritik einstecken. Zunächst hatte sie eine Entwarnung für Bangkok ausgerufen - Teile der Stadt mussten bald danach aber von den Behörden geflutet werden, weil die Dämme den Wassermassen nicht hätten standhalten können. Statt einen nationalen Kraftakt anzustreben, streiten sich Thailands Politiker nun entlang der traditionellen, stark polarisierten Trennlinien.

"Die Flut entzieht sich unserer Kontrolle", sagt Justizminister Pracha Promnok. Das Wasser schießt förmlich durch die engen Gassen, die am Rande des Chao Phraya liegen. An normalen Tagen feilschen die Händler mit ihren Kunden hier um die Preise für die Badelatschen, Buddha-Statuen und Hüte. Aber die Kunden bleiben an diesem Freitag weitgehend aus. Die Anwohner, die in Richtung Fluss durchs Wasser waten, haben mit einem kräftigen Sog zu kämpfen. Auf der Sukhumvit-Straße im Zentrum der Stadt ist noch nichts von der Flut angekommen, doch hamstern die Menschen auch hier schon Fertiggerichte. Und die Trinkwasserbestände gehen in den Supermärkten zur Neige.

Wer es sich leisten kann, häuft Sandsäcke vor seinem Geschäft oder Apartment übereinander. Die Preise dafür haben sich vervierfacht. Auf Bangkoks Ausfallstraßen staut sich der Verkehr. Zehntausende Thais wollen raus aus ihrer Stadt, aber das ist nicht so einfach. Die Überführungen haben viele Menschen genutzt, um ihre Autos vor dem nahenden Wasser zu schützen.

Auch der Student Auttapong möchte nur noch die Stadt verlassen. Er steht am Ekamai-Busbahnhof vor einem Kassenhäuschen. Der Campus seiner Universität ist teilweise überschwemmt, Vorlesungen und Seminar fallen aus.

Auttapong will eigentlich unbedingt zu seinen Eltern in den Norden Thailands reisen, um dann "Ende des Jahres nach Bangkok zurückzukommen, wenn alles trocken ist". Aber er muss sich gedulden, denn die Tickets sind ausverkauft. Auttapong macht sich auf den Weg zum nächsten Busbahnhof.

Wer von den Einwohnern in Bangkok bleibt, erduldet das Wasserdrama mit geradezu stoischer Ruhe. Ein Ehepaar etwa steht in einer der unzähligen Garküchen, in denen es Reis mit Schweinefleisch und Nudelsuppe in zahlreichen Variationen gibt. Die Kleinunternehmer kochen unbeirrt weiter. Sie müssen die Miete erwirtschaften, die weiter anfällt - Flut hin oder her. Also trägt die Frau Gummistiefel, ihr Mann serviert die dampfenden Schüsseln barfuß.

Einen Meter von den Tischen entfernt sickert unaufhaltsam Wasser ein. Der Fluss rast vorbei. Längst ist die Fähranlegestelle überspült, die dem Schnellrestaurant in normalen Zeiten einen Nachschub an Gästen garantiert. Aber normal geht es in Bangkok nicht mehr zu. Nur ein Fernsehteam unterbricht die Aufnahmen für ein Mittagessen. Umgerechnet 2,50 Euro bezahlen zwei Personen für ihre Gerichte. Beim Essen reicht ihnen das Wasser schon bis zu den Knöcheln.

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