EU-Beschlüsse in Brüssel:Papandreou kündigt Referendum über Schuldenschnitt an

Die Griechen sollen selbst entscheiden, ob sie die Beschlüsse des Euro-Krisengipfels in Brüssel akzeptieren: Ministerpräsident Papandreou will ein Referendum abhalten und erklärt den Willen des Volks für "bindend". Einer jüngsten Umfragen zufolge sieht die Mehrheit der Bürger das neue EU-Rettungspaket jedoch skeptisch.

Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat überraschend ein Referendum über die Beschlüsse des Brüsseler Krisengipfels angekündigt. Das gab er am Montagabend vor sichtbar überraschten Abgeordneten im Athener Parlament bekannt.

George Papandreou

Der griechische Ministerpräsident Papandreou will das Volk über die Beschlüsse in Brüssel abstimmen lassen - anders als die Mehrheit der Griechen bewertet er das neue Rettungspaket positiv.

(Foto: AP)

Das Ergebnis der Volksabstimmung solle "bindend" sein, sagte Papandreou. Wenn das griechische Volk die neue Vereinbarung ablehne, "wird sie nicht verabschiedet". "Wir vertrauen den Bürgern, wir vertrauen ihrem Urteil, wir vertrauen ihrer Entscheidung. Das ist ein Akt der Demokratie. Wir haben die Pflicht, die Rolle und die Verantwortung der Bürger zu fördern", sagte er vor der Parlamentsfraktion seiner sozialistischen Pasok in Athen.

Nach Angaben des Finanzministers Evangelos Venizelos soll die Volksabstimmung erst abgehalten werden, wenn die Einzelheiten des Schuldendeals ausgehandelt sind - ein Prozess, der sich bis Anfang des kommenden Jahres hinziehen dürfte.

"Die neue Einigung wird dem Parlament zur Genehmigung vorgelegt und dann dem Urteil des griechischen Volks unterworfen. Natürlich können die Griechen 'Nein' sagen. Sie müssen dabei aber die Konsequenzen dieser Entscheidung vor Augen haben", sagte Venizelos dem privaten Fernsehsender Antenna.

Papandreou möchte auch die Vertrauensfrage stellen

Nach der Erklärung Papandreous, das Volk über die neuen Hilfen zu befragen, zweifelten mehrere Abgeordnete die Rechtmäßigkeit des Vorhabens an. Der Verfassung zufolge sind Referenden zu wirtschaftlichen Themen nicht gestattet, sondern nur bei Fragen von größter nationaler Bedeutung. Zum letzten Mal nahmen die Griechen im Dezember 1974 an einem Referendum teil. Nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur stimmten sie damals für die Abschaffung der Monarchie.

Welche Folgen ein "Nein" der griechischen Bevölkeurng insgesamt hätte, ist noch offen. Papandreou aber kündigte an, dass die Vereinbarung nicht verabschiedet werde, wenn das Volk sie ablehne.

Gleichzeitig will Papandreou sein politisches Schicksal an die Verabschiedung des EU-Schuldendeals knüpfen: Er kündigte eine Vertrauensfrage im Parlament an, um sich die Unterstützung der Abgeordneten für die verbleibende Regierungszeit bis 2013 zu sichern. Vertreter des Athener Parlamentes kündigten an, die Debatte über die Vertrauensfrage werde am Mittwoch beginnen. Abstimmen sollen die Abgeordneten am Donnerstag oder Freitag. Experten gehen davon aus, dass Papandreou trotz Widerstände in seiner Fraktion das Votum überstehen wird.

Die 17 Staats- und Regierungschefs der Eurozone und die Banken hatten sich in der Nacht zum Freitag in Brüssel auf einen Schuldenschnitt von 50 Prozent für Griechenland geeinigt, der den Hellenen wieder auf die Beine helfen soll. In der Gipfelerklärung wurde das Ziel festgeschrieben, dass die Schuldenlast Athens bis 2020 auf erträgliche 120 Prozent der Wirtschaftskraft zurückgefahren werde. Dazu steuert der Privatsektor 100 Milliarden Euro bei, und die Europartner und der Internationale Währungsfonds (IWF) weitere 130 Milliarden Euro.

Zudem einigten sich die Staatenlenker auf zwei Hebel für den Rettungsfonds EFSF und auf eine Rekapitalisierung aller wichtigen Banken bis zum Juni kommenden Jahres. Mit dem Gesamtpaket soll die Schuldenkrise endlich eingedämmt werden.

Dauerhafte Lösung der Probleme?

Papandreou hatte die EU-Beschlüsse für sein krisengeschütteltes Land als positiv bewertet. Der vereinbarte Schuldenschnitt habe Griechenland Zeit zur Umsetzung wichtiger Reformen verschafft, erklärte der Regierungschef. Die Probleme seines Landes könnten damit dauerhaft gelöst werden. Zuvor hatte Finanzminister Venizelos den Griechen versprochen, dass es keine weiteren Lohn- oder Rentenkürzungen geben werde. "Griechenland durchlebt ein Drama, von dem es erlöst werden muss, indem das Volk aufgefordert wird, seinen Willen kundzutun", sagte er.

Der Schuldendeal ist jedoch an weitere harte Sparmaßnahmen und eine stärkere Kontrolle der griechischen Haushaltspolitik geknüpft. Daher hat die Vereinbarung neue Proteste ausgelöst. Die Gewerkschaften kündigten weitere Aktionen an, die beiden großen Verbände, GSEE für den privaten und ADEDY für den öffentlichen Sektor, wollen sich an diesem Dienstag treffen, um für November weitere Protestaktionen zu koordinieren. Nach einer Meinungsumfrage vom Wochenende bewerten fast 60 Prozent der Befragten das neue Rettungspaket als negativ oder wahrscheinlich negativ, nur 12,6 Prozent befürworten die Gipfelbeschlüsse.

Neben den massiven Protesten der Straße und dem Widerstand der Opposition sieht sich der Regierungschef auch wachsendem Unmut innerhalb seiner eigenen Partei gegenüber. Derzeit verfügt Papandreou über eine knappe Mehrheit von 153 der 300 Sitze im Parlament. Die Sparpakete senkten seine Poplularität enorm.

Die harten Sparrunden sind auch einer von vielen Gründen, weshalb Griechenland auch 2012 vermutlich kein Wirtschaftswachstum verzeichnen wird. Die EU-Statistikbehörde Eurostat schätzt die griechische Arbeitslosenquote laut einem am Montag veröffentlichten Bericht auf 17,6 Prozent im Juli, höher als die griechische Schätzung, die bei 16,5 Prozent lag. "Das ist nur die neueste Wendung in der sich entspannenden griechischen Tragödie", urteilte Sony Kapoor, Direktor der Londoner Denkfabrik Re-Define. "Mit einer verantwortungslosen Opposition, die den griechischen Wählern den Mond verspricht, ist es schwierig zu sehen, wie dieses Referendum angesichts der anhaltenden qualvollen Sparmaßnahmen gewonnen werden könnte."

Harsche Reaktionen der Opposition

Die griechischen Oppositionsparteien werfen der Regierung vor, mit dem Referendum nur ihre Macht retten zu wollen. "Der Ministerpräsident versucht, Zeit zu kaufen", sagte Costas Gioulekas von der konservativen Partei Neue Demokratie. "Wir wollen klare Lösungen. Und eine klare Lösung ist offensichtlich: Wahlen."

Laut griechischer Verfassung muss das Parlament einer Volksabstimmung zustimmen, bevor sie vom Präsidenten ausgerufen wird. Ob seine Partei dem Referendum zustimmen werde, sagte Gioulekas nicht.

"Das ist pure Erpressung, wir fordern sofortige Neuwahlen", sagte der Sprecher der oppositionellen Kommunistischen Partei, Makis Mailis, dem privaten Fernsehsender Mega in einer ersten Reaktion auf Papandreous' Ankündigungen. Dieser hatte vorzeitige Neuwahlen bislang stets abgelehnt. Auch politische Beobachter warnen vor Neuwahlen zum derzeitigen Zeitpunkt: Keines der Lager, so befürchten sie, könne derzeit mit einer stabilen Mehrheit rechnen, das Land stünde vor weiterem politischen Chaos.

Bundesregierung zeigt sich überrascht

Die Bundesregierung ist vom Plan des griechischen Premierministers Giorgos Papandreou, ein Referendum über den harten Sanierungskurs abzuhalten, offensichtlich überrascht worden. Es handle sich dabei um eine "innenpolitische Entwicklung in Griechenland, über die der Bundesregierung bisher noch keine offiziellen Informationen vorliegen und die sie deswegen auch nicht kommentiert", teilte das Bundesfinanzministerium am Montagabend in Berlin mit.

Weiter hieß es, der Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone habe in der vergangenen Woche "klare Erwartungen" formuliert. "Demnach soll das zweite Hilfspaket für Griechenland bis Ende diesen Jahres stehen. Daran arbeiten wir alle zur Zeit mit hoher Intensität."

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