Ulla Unseld-Berkéwicz zum 60.:Zwischen Freund und Feind

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Der Suhrkamp Verlag gilt seit der 68er-Ära als Legende. Die Frau an seiner Spitze hat ein großes Erbe zu verwalten und ist dabei alles andere als eine geborene Verlegerin. Heute feiert Ulla Unseld-Berkéwicz Geburtstag. Sie wird 60 - vielleicht.

In der Literaturszene löste es ein mittleres Erdbeben aus, als der legendäre Suhrkamp Verlag im vergangenen Jahr vom Traditionssitz Frankfurt nach Berlin umzog. Verantwortlich für den radikalen Schritt war eine Frau, über die es mehr Gerüchte als gesicherte Auskünfte gibt: Ulla Unseld-Berkéwicz, die Witwe des 2002 verstorbenen Firmenpatriarchen Siegfried Unseld.

Die Verlegerin Ulla Unseld-Berkewicz, hier bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises im Jahr 2006 im Frankfurter Römer, ist die Witwe des 2002 verstorbenen Suhrkamp-Firmenpatriarchen Siegfried Unseld. Heute wird sie 60 Jahre alt. (Foto: dpa)

Am heutigen Samstag wird die Verlagschefin 60 Jahre alt - vielleicht. Denn hier fangen die Unsicherheiten schon an. Möglicherweise ist die Schriftstellerin und frühere Theaterdarstellerin auch schon etwas älter. Die Süddeutsche Zeitung berichtete einmal, sie habe sich im Alter von 55 Jahren in Schauspielerinnen-Manier um drei Jahre verjüngt. Ihre Pressesprecherin jedenfalls bestätigt nur den Geburtstag, nicht das Alter. Auf ein Gespräch mit der (Vielleicht-)Jubilarin ist indes nicht zu hoffen. Sie gebe zu diesem Termin keinerlei Interviews, heißt es im neuen Verlagssitz an der Berliner Pappelallee kategorisch.

Ulla Berkéwicz ist pressescheu - oder es zumindest geworden. Um sie ranken sich Gerüchte, seit Siegfried Unseld seine langjährige Ehefrau Hilde 1985 wegen der fast 25 Jahre jüngeren Frau verließ.

Nach Unselds Tod brachen im Verlag offen Intrigen und Machtkämpfe aus. Das angesehene Haus, das über Jahrzehnte hinweg mit seiner regenbogenfarbigen Edition die gesellschaftliche Debatte der Bundesrepublik bestimmt hatte, stand vor der Zerreißprobe. Berkéwicz kam dabei nicht gut weg.

Mehrfach sah sich die Frau mit den wilden schwarzen Haaren und dem schneeweißen Teint genötigt, etwa in der Zeit Spekulationen über telepathische Beziehungen zu ihrem Mann oder gar einen Hexenkult zurückzuweisen.

"Eine böse Frau!"

Medien wie der Spiegel zitierten ungenannte Mitarbeiter, Berkéwicz sei trotz ihres Charmes "eiskalt". Und der für seine scharfen Urteile bekannte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki befand nach einem Streit knapp: "Eine böse Frau!"

Faktisch hatte Berkéwicz ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes begonnen, die Macht im Verlag zu übernehmen. Statt sich nach seinem Willen auf eine beratende Tätigkeit als Vorsitzende der Familienstiftung zu beschränken, stieg sie 2003 an die Spitze der Geschäftsführung auf.

Ein hochkarätiger Stiftungsrat um Hans Magnus Enzensberger und Jürgen Habermas trat aus Protest zurück, mehrere Geschäftsführer wurden verschlissen, wichtige Autoren wie Martin Walser, Adolf Muschg und Norbert Gstrein kehrten Suhrkamp den Rücken. Wo war die vielgelobte Suhrkamp-Kultur geblieben? Fest steht, dass die neue Chefin keine Verlagserfahrung hatte.

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Als Tochter eines Arztes und einer Schauspielerin in Gießen geboren, hatte sie zunächst ebenfalls die Schauspiellaufbahn eingeschlagen. In Erinnerung an ihre jüdische Großmutter änderte sie ihren wenig karrieretauglichen Namen Ursula Schmidt in Ulla Berkéwicz und fand mit Regisseuren wie August Everding, Claus Peymann und Peter Zadek Anerkennung und Respekt.

Das angesehene Haus, das über Jahrzehnte hinweg mit seiner regenbogenfarbigen Edition die gesellschaftliche Debatte der Bundesrepublik bestimmt hatte, stand vor der Zerreißprobe, als Berkéwicz im vergangenen Jahr den Umzug von Frankfurt nach Berlin anordnete. (Foto: dpa)

Anfang der 80er Jahre kam die große Zäsur. Weil sie nicht gern im Rampenlicht steht, wie sie später der Zeit verrät, tauschte sie die Bühne mit dem Schreibtisch.

Ihr Erzähldebüt "Josef stirbt" (1982) wurde ein großer Erfolg. Und sie lernte, nach einer ersten Ehe mit dem Regisseur Wilfried Minks, als neue Suhrkamp-Autorin den Mann ihres Lebens kennen. "Ein edles Übermaß der Vorzeit", so beschrieb sie Unseld nach der ersten Begegnung.

Spätere Werke wie "Michel, sag ich", "Mordad" und "Zimzum" stießen auf unterschiedliches Echo. Ihr Romandebüt "Engel sind schwarz und weiß" (1992) über junge Menschen in der NS-Zeit löste derart hämische Verrisse aus, dass der Sozialpsychologe Tilmann Moser ein Buch über "Literaturkritik als Hexenjagd" schrieb. In ihrem vorerst letzten Werk "Überlebnis" (2008) setzt sie sich radikal subjektiv mit dem Tod ihres Mannes auseinander.

Heute hält die Verlagschefin über die Familienstiftung 61 Prozent an Suhrkamp. Der Rest gehört dem Hamburger Medienunternehmer Hans Barlach, der mit Berkéwicz nur noch gerichtlich verkehrt. Der schon vom Vater entmachtete Unseld-Sohn Joachim hatte seinen 20-Prozent-Anteil nach einer jahrelangen Dauerfehde mit Berkéwicz 2009 an sie und Barlach abgegeben - und damit den Weg für den Umzug nach Berlin freigemacht.

Aufrecht und geradeaus

Das Einstandsfest an der Spree wurde für die Verlegerin zum Triumph: Ein Großaufgebot renommierter Autoren begrüßte den Verlag zum 60. Jahr seines Bestehens im neuen, gemieteten Domizil in der Hauptstadt.

Und auch wenn die Suche nach einem eigenen Verlagshaus noch weitergeht, sind inzwischen ruhigere Zeiten eingekehrt. Zum Geburtstag der Chefin stehen derzeit gleich vier Suhrkamp-Autoren auf der Bestsellerliste, darunter Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa. "Die Straßen in der Hauptstadt sind breiter", hat Berkéwicz in einem ihrer seltenen Interviews gesagt - "dort kann man vielleicht sogar ein Stück weit aufrecht gehen und geradeaus".

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