Diskussion um Krippenplätze:Die Kita-Legende von Überfliegern und Soziopathen

Verwahrlost mein Kind in der Krippe oder werden dort die Weichen für eine spätere Karriere gestellt? Wenn es um die Betreuung von Kleinkindern geht, prallen gegensätzliche Überzeugungen aufeinander. Beide Seiten liegen falsch - sagt die Wissenschaft.

Felix Berth

Schadet es einem Kind, wenn es eine Kinderkrippe besucht, weil seine Bindung an die Eltern darunter leidet? Nützt es ihm vielleicht, weil es neue Erfahrungen macht? Oder ist es im Normalfall gar nicht so wichtig, ob ein Zweijähriger in eine Kita geht, weil die wichtigsten Weichen ohnehin in der Familie gestellt werden? Mit diesen weltanschaulich aufgeladenen Fragen beschäftigten sich Wissenschaftler seit einigen Jahrzehnten; genau vor zwanzig Jahren begannen sie mit der weltweit wichtigsten wissenschaftlichen Untersuchung dieser Fragen: dem NICHD-Projekt in den USA, die Abkürzung steht für den Auftraggeber "National Institute of Child Health and Human Development".

Althaus haelt Zahl der Kinderkrippenplaetze im Osten fuer ausreichend

Es schadet Kleinkindern nicht, in einer Tagesstätte betreut zu werden, sagen Wissenschaftler - der Nutzen hält sich jedoch auch in Grenzen.

(Foto: ddp)

Eine zufällig ausgewählte Gruppe von mehr als 1300 Krippenkindern wird seitdem immer wieder untersucht. Inzwischen kann man mit Sicherheit feststellen, dass der Besuch einer Krippe ein Kind weder zu einem aggressiven Soziopathen noch zu einem intellektuellen Überflieger macht. Die Effekte, die Krippenbetreuung hat, sind relativ moderat. Probleme können entstehen, wenn Kinder sehr früh und sehr lange in Krippen sind. Wobei "früh" und "lange" etwas meint, was deutsche Eltern sowieso kaum wollen: mehr als zehn Stunden täglich bei Kindern unter einem Jahr. "Es spricht grundsätzlich nichts gegen die Krippe", sagt der Pädagoge Hans-Günter Rossbach von der Universität Bamberg, "sie sollte nur nicht zu früh beginnen und zu lange dauern". Also: Ein zweijähriges Kind wird durch fünf oder sechs Stunden Krippe täglich nicht geschädigt; ein großer Nutzen lässt sich im Normalfall aber auch nicht nachweisen.

Anders ist die Situation bei Kindern aus stark benachteiligten Familien. Kleinere Langzeitstudien wie das Perry Preschool Project konnten bei ihnen beeindruckende Erfolge nachweisen. Kinder, die dort im Alter von drei Jahren eine exzellente Betreuung genossen hatten, waren als Erwachsene seltener kriminell, erreichten bessere Schulabschlüsse und hatten höhere Einkommen. Allerdings waren es Kinder, die sonst extrem schlechte Startbedingungen gehabt hätten. Eine US-Kita mit einem vergleichbaren pädagogischen Konzept, die von Kindern aus allen Schichten besucht wurde, hatte keinen messbaren Effekt.

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