Bettler in Bayerns Städten:"Bitte seien Sie kaltherzig"

In anderen europäischen Städten gehören sie zum Straßenbild: Bettler. Doch der deutsche "Demutsbettler" sei inzwischen die Ausnahme, sagen die Behörden. Und deshalb gehen sie im Freistaat rigoros gegen Bettler vor - nicht nur gegen organisierte "Banden". Dafür machen sie von einer kleinen juristischen List Gebrauch.

Frederik Obermaier und Ronen Steinke

Mittags kommen immer die Schüler, und das heißt: die Ungewissheit darüber, welcher der kleinen Menschen wortlos ein 20-Cent-Stück in die Wollmütze von Werner H. hineinlegt und welcher bloß wieder ein 1-Cent-Stück hineinpfeffert und mit viel Gelächter und beleidigenden Worten weiterziehen wird. Werner H. kennt beides.

Fast täglich sitzt der Mann, der wesentlich älter aussieht als 41, an einer Kreuzung nahe dem Münchner Hauptbahnhof. Auf einer Straßenseite ohne Geschäfte. Man könnte sich günstigere Orte zum Betteln ausmalen, zumal in einer Stadt wie München mit ihrem Innenstadtgedrängel, in dem die Portemonnaies locker sitzen und die Sonnenbrillen im Haar, nur: Sobald Werner H. sich näher an den Hauptbahnhof oder die schicken Ladenzeilen der Landeshauptstadt heran platziert, so erzählt er, vertreibe ihn die Polizei.

Keine Kriminalisierung beim Anblick von Armut

50-mal im Monat greifen Polizisten auf diese Weise durch, schätzt das städtische Kreisverwaltungsreferat. Wäre das anders, würden Menschen, die in einem Pappbecher oder einer Mütze Kleingeld sammeln, hier vielleicht zum Stadtbild gehören wie in anderen europäischen Städten auch. München hat 1980 entschieden, das nicht zuzulassen. Die Stadt hat damals die Bettelei zur Belästigung erklärt, Bußgelder ausgeschrieben und Streifen losgeschickt. Das Antlitz der Stadt hat sich damit verändert - und von München ist auch ein Trend ausgegangen, der den Freistaat insgesamt verändert hat.

Seit kurzem, sagt der Magdeburger Sozialforscher Titus Simon, der die Situation von Obdachlosen bundesweit untersucht hat, finde sich in Bayern kaum mehr eine Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern, die nicht gegen Bettler vorgehe. Die Städte müssen dafür von einer kleinen juristischen List Gebrauch machen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat eigentlich vor 40 Jahren klargestellt, dass das stille Handaufhalten, also die bloße Konfrontation mit dem Anblick von Armut, nicht kriminalisiert werden darf. Die Stadt München war 1980 die erste, die darauf eine findige Erwiderung gab: Dann müsse man Bettler eben als Gewerbetreibende betrachten - die allerdings eine Genehmigung benötigten.

Die "osteuropäische Bettelbande"

Aus der kleinen List ist ein großer Trend erwachsen. Städte wie Regensburg, Nürnberg oder Augsburg folgten dem Beispiel, erklärten in kommunalen Satzungen fast wortgleich das Betteln zur genehmigungspflichtigen "Sondernutzung" ihrer öffentlichen Flächen - und schlossen deren Genehmigung im selben Atemzug aus. Lediglich die Begründungen haben sich mit der Zeit gewandelt. 1980, als der damalige Münchner CSU-Oberbürgermeister Erich Kiesl erstmals seine Bediensteten anwies, Bettler von ihren Sitzplätzen zu vertreiben, begründete er dies mit der Sorge um das Erscheinungsbild der Innenstadt. Auch Prostituierte mussten damals weichen. Später, in den neunziger Jahren, rückten zahlreiche bayerische Städte das "subjektive Sicherheitsgefühl" ihrer Bevölkerung in den Fokus. Die Stadt Nürnberg etwa verdrängte unter den viel publizierten Kampagnen-Schlagwörtern "Sichere Stadt" und "Saubere Stadt" nicht nur Bettler, sondern auch Punks und andere, die auf öffentlichen Plätzen "lagerten".

Osteuropäische Bettelbanden im Visier

Zuletzt, so resümiert der Sozialforscher Titus Simon, sind die Debatten um kommunale Bettelverbote von einer neuen Figur angetrieben worden: der "osteuropäischen Bettelbande". Die Grenzen nach Osten sind seit der EU-Osterweiterung durchlässig geworden, unter den verwahrlosten, teils versehrten Bettlern in deutschen Innenstädten finden sich auch Ausländer. Und sie sind es nun, auf welche die Stadtpolitiker zuvorderst verweisen. Der deutsche "Demutsbettler" sei inzwischen ganz die Ausnahme, sagt etwa eine Sprecherin des Münchner Kreisverwaltungsreferats. Wer die Ordnungsämter bayerischer Städte anfragt, hört dieselbe Begründung in leichten Varianten (siehe unten): Bettelverbote seien nicht hartherzig, mit ihnen werde lediglich ausländischen Geschäftemachern das Handwerk gelegt.

"Das ist nichts anderes als Vertreibung", kritisieren zwar weiterhin Aktivisten wie Johannes Denninger von der Münchner Obdachlosenstiftung Biss. Doch unter Verweis auf ausländische Bettelgruppen hat das von Rot-Grün regierte München die einst von der CSU geschaffene Bettelverbots-Zone zuletzt sogar ausgeweitet: In der Fußgängerzone und am Viktualienmarkt ist längst jegliches Betteln verboten, seit 2007 nun erteilt die Polizei auch außerhalb dieser Zone Platzverweise. Dafür genügt der Verdacht, dass ein Bettler einer Gruppe angehöre. In einem Text auf seiner Homepage appellierte Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) angesichts des "angereisten Phänomens" an die Bürger: "Bitte seien Sie kaltherzig."

Hier die ethisch korrekten deutschen Demutsbettler, dort die gewerbsmäßig organisierten Gruppen aus dem Ausland - ob diese Unterscheidung in der Praxis trägt, ist unter Experten aber durchaus umstritten. "Da ist die Polizei gut geschult", sagt die Sprecherin des Münchner Kreisverwaltungsreferats: Außer den "Banden" sei niemand von der verschärften Gangart der Stadt betroffen. Bei der Polizei selbst ist die Gewissheit nicht ganz so groß. Gewerbsmäßig oder nicht, "das wird auf den ersten Blick niemand feststellen können", sagt Helmut Bahr, der bayerische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Und auch das Polizeipräsidium München kann auf Nachfrage keine Kriterien zur Unterscheidung nennen.

"Gewerbsmäßig" bedeutet in der Juristensprache am Ende bloß, dass jemand auf Dauer Einnahmen anstrebt. Und wer das tut, vielleicht ganz lautlos wie Werner H. an seiner Kreuzung am Münchner Hauptbahnhof, der kann die Härte der neuen Regeln bereits erleben, sobald sich ein Geschäftsinhaber an ihm stört.

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