Starenplage in Rom:Gekommen, um zu bleiben

Stare fliegen im Winter gen Süden, viele kennen nur ein Ziel: Rom. Dort machen sie sich tagsüber über Olivenhaine auf dem Land her, beim nächtlichen Verdauen besudeln sie Gehwege, Autos, Statuen und Fußgänger. Um sie zu vertreiben, müssen die Experten schlauer sein als die gewitzten Vögel.

Andrea Bachstein

Dieses Wogen am Herbsthimmel von Rom, Touristen verfolgen es dieser Tage staunend: Hunderttausende Stare formen da mit ihren Schwärmen Wellenmuster im Nachmittagslicht. Ihr stetes Gezwitscher klingt bis tief in die Nacht von den großen Platanen an den Uferstraßen des Tiber und überall, wo sie bequeme Schlafplätze finden. So weit ist das durchaus faszinierend.

Die andere Seite dieses Phänomens nervt die Römer gewaltig, denn sie ist glitschig, stinkt und sieht gar nicht gut aus: Die Stare überziehen mit ihrem Kot Gehwege, Fahrbahnen und Bänke, parkende Autos verwandeln sich in weiß verkrustete Ungetüme. Fußgänger spannen Schirme auf, um sich vor Fäkalbewurf zu schützen.

Bis zu vier Millionen Stare aus Nordeuropa fallen in der Ewigen Stadt dieser Tage wieder ein - nirgendwo sonst sind es so viele. Es gab Jahre, da mussten Straßen, zum Beispiel im belebten Viertel Prati, gesperrt werden: Motorradfahrer und Passanten gingen auf der feucht-schmierigen Kotschicht reihenweise zu Boden und verletzten sich. Oliven gehören zur bevorzugten Speise der Stare - das macht ihre Ausscheidungen besonders ölig. Zudem kann ihr Mist krankmachende Keime enthalten.

Den Tag verbringen die Stare auf dem Land, wo sie sich in aller Ruhe auf Feldern und Bäumen vollfressen. Ehe es dunkel wird, kommen sie dann lieber wieder in die Stadt. "Die Stare haben in Rom keine natürlichen Feinde und können in der Stadt auch viel sicherer schlafen", erklärt die Biologin Alessandra Buscemi. "Außerdem ist es vier bis fünf Grad wärmer als auf dem Land, es regnet und windet weniger, das spart den Vögeln eine Menge Energie."

Buscemi arbeitet für ein Team der Stadtverwaltung, das es mit den Staren aufgenommen hat: Vogelbekämpfer, die sich in weiße Kapuzenoveralls hüllen, Atemmasken vor dem Gesicht tragen und mit Megafonen unterwegs sind. Ihre Hauptwaffe ist ein ganz spezieller Schrei: der Alarmruf, mit dem Stare einander vor sich anbahnender Gefahr warnen.

In-Viertel der Stare

Die Trupps, deren Mitglieder rein optisch auch aus einem Katastrophenfilm stammen könnten, verbreiten den schrillen Schrei per Megafon. Vier Jahre lang haben Experten daran gearbeitet, aus dem einen originalen Star-Alarmruf jene Passagen zu extrahieren, auf welche die Vögel auch wirklich reagieren.

Bitten verzweifelter Bürger, eine Kopie des Schreis zu bekommen, um im Do-it-yourself-Verfahren die Plagegeister etwa über die Stereo-Anlage zu vertreiben, lehnt die Stadt grundsätzlich ab. Alessandra Buscemi und Bruno Cignini vom Umweltdezernat Roms erklären außerdem, dass der Warnruf der Stare nur in bestimmten Rhythmen eingesetzt wird: nie länger als drei Tage hintereinander an derselben Stelle, nie länger als 40 Minuten mit exakten Pausen, und erst wenn die Schwärme eine bestimmte Größe erreicht haben.

Sonst, so haben die Experten im Lauf der Jahre herausgefunden, kapieren die schlauen Vögel nämlich, dass man sie reinlegen möchte. Dann reagieren sie auf gar nichts mehr. Als völlig sinnlos, erzählt Cignini, hätten sich Versuche erwiesen, den Ruf der Stare von festinstallierten Lautsprechern auf Dächern auszusenden. Cignini versichert, seine Methode sei für Stare völlig unschädlich, aber effektiv: Im Zentrum von Rom seien die Schwärme an einigen Stellen dank Alarmschrei deutlich reduziert worden.

Das Phänomen der Starschwärme ist für die italienische Hauptstadt nicht neu. Bereits seit Mitte der zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben sie Rom für sich entdeckt und seitdem dort immer wieder neue Quartiere ausprobiert. Ende der dreißiger Jahre gefiel es ihnen zum Beispiel an der Piazza Venezia. Sie ließen sich in den Libanon-Zedern des Palazzo Venezia nieder, in dem damals Diktator Benito Mussolini herrschte.

Anfang der achtziger Jahre dann entdeckten sie die Bäume des Tiber-Ufers, die ihnen bis heute gut gefallen. Dass es sich dort gut leben lässt als Star, diese Information hat sich unter den Artgenossen auch ohne Internet schnell verbreitet. Aber dort, wo sie keine öffentliche Gefahr darstellen, versichert Umweltassessor Mario Visconti, der auch für den Tierschutz zuständig ist, dürfen die Wintergäste weiterhin akustisch unbehelligt in Roms Bäumen übernachten. Und so viel fallen lassen, wie sie müssen.

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