Zwangsehen in Deutschland:Zum Jawort genötigt

Die meisten Opfer von Zwangsehen in Deutschland haben einen deutschen Pass und stammen aus religiösen Migrantenfamilien - zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Familienministeriums. Eine Zahl sticht besonders hervor: Nahezu 30 Prozent der Opfer sind minderjährig.

Roland Preuß

Viele Opfer von Zwangsehen in Deutschland haben einen deutschen Pass und stammen aus religiösen Migrantenfamilien. Dies geht aus einer Studie zu Zwangsverheiratungen hervor, die an diesem Mittwoch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (beide CDU) vorstellen und die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach sind fast die Hälfte (44 Prozent) der Zwangsverheirateten oder davon Bedrohten deutsche Staatsbürger, rund 95 Prozent sind Frauen und Mädchen, fast 30 Prozent von ihnen Minderjährige. Fast zwei Drittel der erfassten Fälle stammen aus stark religiös geprägten Familien.

Die fast 160 Seiten umfassende Studie war im Auftrag des Bundesfamilienministeriums entstanden und federführend von der Hamburger Lawaetz-Stiftung und der Frauenorganisation Terre des Femmes erstellt worden. Sie fußt auf Angaben aus bundesweit 830 Beratungseinrichtungen, die im Jahr 2008 etwa 3400 Menschen betreut hatten, der Dokumentation von Einzelfällen sowie Informationen von Schulen und Migrantenorganisationen. Der Untersuchung liegt somit keine repräsentative Befragung von Betroffenen zugrunde, sondern erfasst die Daten mit Hilfe von Opfer-Beratern und Lehrern. Sie ist dennoch die umfassendste deutsche Studie zu Zwangsverheiratungen der vergangenen Jahre.

Dieser Zugang kann jedoch einzelne Studienergebnisse verzerren, so dürfte der Anteil der Deutschen unter den Zwangsverheirateten etwas zu hoch sein. Denn diese können sich aufgrund der größeren Vertrautheit mit heimischen Institutionen und der deutschen Sprache leichter an Beratungseinrichtungen wenden als Migranten, die erst seit kurzem in Land sind und kein Deutsch sprechen.

Fast alle Betroffenen stammen jedoch aus Zuwandererfamilien, das häufigste Herkunftsland der Eltern ist die Türkei, gefolgt von Serbien/Kosovo/Montenegro und Irak. Die Eltern der Heiratskandidaten gehören in ihrer breiten Mehrheit (gut 83 Prozent) dem Islam an, fast zehn Prozent der unter Kurden verbreiteten Religion des Jesidentums und immerhin 3,4 Prozent dem Christentum. Dennoch warnen die Autoren der Studie davor, das Problem vor allem als eines des Islam anzusehen und Faktoren wie Traditionen, Männlichkeitsbilder oder Armut zu vernachlässigen.

Die Väter der Familien üben nach Angaben der Opfer in den Beratungsstellen am häufigsten Druck aus, eine Zwangsehe einzugehen (siehe Grafik), doch auch die Mütter werden oft genannt. Auffällig ist, dass Zwangsheiraten auch in Familien vorkommen, in denen der Vater eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss (6,3 Prozent) hat. Im Schnitt brächten die Väter eine unter Migranten durchaus übliche Bildung mit, schreiben die Autoren, ihre Ehefrauen hingegen haben zu fast 90 Prozent keine Ausbildung vorzuweisen.

Die Opfer sollten in den Beratungsstellen auch Angaben zu den Motiven ihrer Familie machen. Diese wollten demnach vor allem ihr "Ansehen" wahren oder hatten die Tochter oder den Sohn bereits an eine andere Familie "versprochen". Die Ehe mit einem Unbekannten wurde als Mittel gegen unerwünschte Freunde und Freundinnen oder sogar gegen Homosexualität angesehen. Gut ein Drittel der Ehepartner sollten nach der Heirat ins Ausland ziehen oder lebte bereits dort. Diese Familien zeigen damit, wie sehr sie Denkweisen aus dem Heimatland verhaftet sind, welche die Ehre der Familie daran festmachen, ob die Braut "unberührt" in die Ehe geht und in der schwule Söhne als "Schande" gelten.

Diese Vorstellungen sollen in vielen Fällen offenbar rigoros durchgesetzt werden. Ein gutes Viertel der Opfer berichtete davon, dass sie mit Waffen oder dem Tode bedroht worden seien, bei mehr als der Hälfte der Fälle wendete die Verwandtschaft Gewalt an, Drohungen und Erpressungen sollten zu mehr als 70 Prozent zur Heirat bewegen. Eine frühere Untersuchung illustriert, warum die Verwandten häufig derartigen Druck aufbauen: Eine Befragung unter jungen Frauen und Mädchen aus Migrantenfamilien hatte bereits 2004 ergeben, dass 87 Prozent von ihnen eine Vorgabe durch die Eltern ablehnen, lediglich vier Prozent fanden diese Art der Partnerfindung "gut" oder "sehr gut".

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, sagte der SZ, das Verbot von Zwangsheiraten sowie das jüngst eingeführte Rückkehrrecht von in Ausland verheirateten Partnern müsse unter Migranten noch besser bekanntgemacht werden. "Wir brauchen mehr Beratungs- und Hilfsangebote, auch für Männer", sagte Böhmer. Pädagogen müssten besser auf solche Fälle reagieren können. "Zwangsheiraten müssen künftig bei der Aus- und Fortbildung von Lehrern eine größere Rolle spielen." Zudem seien die Herkunftsländer gefragt, weil viele dieser Ehen im Ausland geschlossen würden.

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