Neonazis in Bayern:Netz der braunen Kameraden

Getarnte Parteien, gewaltbereite Gruppen und verurteilte Terroristen: Ermittler schätzen, dass es in Bayern eine Szene mit etwa 700 gewaltbereiten Neonazis und 300 Skinheads gibt. Das ist seit Jahren bekannt, darüber diskutiert wurde bisher kaum. Ein Überblick über die rechtsextremen Netzwerke in Bayern.

Christoph Giesen, Frank Müller und Frederik Obermaier

Dutzende Kameradschaftshorden, gewaltbereite Skinheads und rechtsradikale Parteien tummeln sich in Bayern. Das ist seit Jahren bekannt, darüber diskutiert wurde bisher kaum. Seitdem die Attentatsserie der rechtsextremen Terrorzelle aus Zwickau bekannt geworden ist, streiten jedoch Regierung und Opposition heftig über den Umgang mit der Neonaziszene.

Rechtsextreme in Bayern

Graphik: Rechtsextreme in Bayern.

(Foto: SZ Graphik)

Zwar hat der Verfassungsschutz "keinerlei Erkenntnisse", dass bayerische Neonazis, wie etwa der verurteilte Rechtsterrorist Martin Wiese, Kontakt zu den Zwickauer Tätern hatten. Ungeklärt bleibt aber trotzdem, warum fünf der mutmaßlich zehn Morde in Bayern verübt wurden.

Die SPD und vor allem die Grünen werfen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) deshalb vor, auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein. Das wies Herrmann empört zurück. Am Freitag ging der Streit weiter: Der Experte der Landtags-Grünen für Rechtsextremismus, Sepp Dürr, sprach von "Versagen der Staatsregierung". Dürr: "Die Terrorgefahr von rechts wurde durch die Ermittlungsbehörden und weite Teile der Politik systematisch unterschätzt." Es sei auch "unverantwortlich" von Herrmann, die Schuld ausschließlich nach Thüringen zu schieben. Schon seit dem Mauerfall gebe es enge Kontakte zwischen Neonazis in Thüringen und Bayern, auch der Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann sei aus Bayern nach Thüringen übersiedelt.

Herrmann hat bereits angekündigt, den Druck auf aktive Nazigruppen zu verstärken. Aufmärsche wie der vom vergangenen Wochenende beim Totengedenktag in Wunsiedel seien unerträglich, meinte Herrmann. Das gelte auch für das Auftreten des Rechtsterroristen Wiese.

Wie Herrmann ansonsten den Druck erhöhen möchte, ist noch weitgehend unklar. Dass etwa der Einsatz von V-Leuten in der Szene verstärkt wird, gilt als unwahrscheinlich, da dieser Tage eine lebhafte Debatte über den Nutzen der "Undercover-Spürnasen" geführt wird. Wie viele V-Leute der bayerische Verfassungsschutz derzeit abschöpft, ist geheim: "Dazu machen wir prinzipiell keine Angaben", heißt es lapidar aus der Behörde. Allerdings: Dem geplanten Attentat auf die Grundsteinlegung des jüdischen Zentrums in München kamen die Ermittler 2003 durch einen V-Mann und eine Wanze auf die Spur.

Herrmanns Parteifreund, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, ist einen Schritt weiter. Er forderte Mitte der Woche ein Neonazi-Register für Deutschland. In einer Kartei sollen sämtliche Rechtsextremisten verzeichnet werden. Alleine aus Bayern müssten dann rund 1000 Rechtsextreme aufgenommen werden. Der Verfassungsschutz geht von etwa 700 gewaltbereiten Neonazis und 300 rechtsextremen Skinheads aus.

Als eine der aktivsten und gefährlichsten Neonazi-Vereinigungen in Bayern stuft der Verfassungsschutz das "Freie Netz Süd" ein. Der Zusammenschluss einiger Kameradschaften ist vor allem in Franken und der Oberpfalz aktiv. Immer häufiger dehnt sich das Netz jedoch nach Oberbayern aus. Gute Kontakte bestehen offenbar auch nach Ungarn und Ostdeutschland. Zu den Akteuren des Netzes gehören unter anderem der Fürther Matthias F., der erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde und Tony G. aus Töpen/Hof, der seit April eine Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung und Beleidigung absitzt.

Die bayerische SPD verlangt vom Innenminister, das "Freie Netz Süd" zu verbieten. Doch was bringt es, ein Netzwerk zu verbieten, wenn die darin organisierten Kameradschaften bestehen bleiben? Die einzelnen Kameradschaften zu verbieten dürfte schwierig werden - zumal einige Aktivisten in mehreren Gruppierungen aktiv sind.

Gruppen in allen Teilen Bayerns

Überregional aktiv: das Freie Netz Süd

Neonazis in Bayern: Neonazi-Demo auf dem Freisinger Marienplatz im April 2011.

Neonazi-Demo auf dem Freisinger Marienplatz im April 2011.

(Foto: Marco Einfeldt)

Im Freien Netz Süd (FNS) haben sich Neonazis aus Franken, der Oberpfalz, Oberbayern und Teilen Niederbayerns zusammengeschlossen, sie treten bundesweit bei Demonstrationen von Rechtsextremen auf. Am sichtbarsten wurden die Umtriebe im oberfränkischen Gräfenberg, wo vor allem junge Neonazis von 2006 bis 2009 einmal pro Monat aufmarschierten - am Ende auch ohne aktive Unterstützung des bayerischen NPD-Chefs und Nürnberger Stadtrats Ralf Ollert. Mehrere fränkische Aktivisten, darunter der ehemalige NPD-Funktionär Matthias F., haben sich 2008 mit der NPD überworfen, weil sie mit deren "moderaten" Agitationsmethoden nicht einverstanden sind. Mittlerweile ist jedoch wieder von einer Annäherung auszugehen - zumindest lud das FNS erst vergangenes Wochenende zusammen mit der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" zu einer Demonstration in Wunsiedel. In jüngerer Zeit machte das FNS immer wieder Schlagzeilen: So trat im April 2010 ein einschlägig vorbestrafter Aktivist aus dem bayerischen Neonazi-Netz einen 17 Jahre alten Deutsch-Kurden am Nürnberger U-Bahnhof Plärrer ins Koma. In Oberprex erwarb ein FNS-Mitglied einen alten Gasthof, dort finden seither regelmäßig Neonazi-Treffen und Feiern statt.

Nationales Bündnis Niederbayern

Neonazi-Gruppen aus ganz Niederbayern gründeten im Juli 2009 das "Nationale Bündnis Niederbayern" (NBN), das Ziel ist nach eigenen Angaben "politisch national und sozialistisch". Im Sommer 2011 trat auch Martin Wieses Kameradschaft Geisenhausen dem Netzwerk bei. Das NBN, das auch im "Freien Netz Süd" organisiert ist, beteiligt sich an Aufmärschen in Wunsiedel; in Deggendorf versuchten sie, eine Demonstration zu stören. Ob die Plakate mit rechtsgerichteten Parolen, die jüngst an zahlreichen Orten in Niederbayern aufgehängt wurden, auch auf das Konto des Bündnisses gehen, ist unklar. Die Ansage der Neonazis jedoch ist deutlich: Man wolle "flächendeckend" aktiv werden.

NPD - die Partei der Extremisten

Die NPD hat laut Verfassungsschutzbericht etwa 900 Mitglieder in Bayern, darunter zahlreiche Angehörige der Neonazi- und Skinhead-Szene. Landeschef ist der Multifunktionär Ralf Ollert. Einer seiner Stellvertreter ist Sascha Roßmüller, ein ehemaliger Aktivist des mittlerweile verbotenen neonazistischen Nationalen Blocks. Mehrmals wird im Verfassungsschutzbericht auch der umtriebige NPD-Bezirkschef von Oberbayern, Roland Wuttke, erwähnt. Wuttke, der die Medien in Bayern gerne als "Besatzerpresse" geißelt, hatte versucht, in Forstenried Räume für Neonazi-Treffen anzumieten.

Rechtsextreme Versandhäuser

Demonstration von Rechtsextremen in Wunsiedel

Etwa 200 Rechtsextreme zogen am Volkstrauertag durch Wunsiedel.

(Foto: dapd)

Bürgerinitiative Ausländerstopp

Mitglieder der "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA) sitzen in Nürnberg und München im Stadtrat. Laut Verfassungsschutz handelt es sich dabei um eine "NPD-Tarnliste". Der Nürnberger BIA-Stadtrat Ralf Ollert ist zugleich NPD-Landesvorsitzender, der Münchner BIA-Politiker Karl Richter ist stellvertretender Bundesvorsitzender. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er bei seiner Vereidigung zum Stadtrat im Mai 2008 den Hitlergruß zeigte. Nach außen pflegt die BIA das Image des bürgerlichen Rechten, tatsächlich jedoch ist sie eng mit der Kameradschaftsszene verwoben. Der ehemalige Anführer der "Freien Nationalisten München", Philipp H., saß lange Zeit selbst im Vorstand der Münchner Initiative, der Nürnberger Stadtrat Sebastian Schmaus war nach Angaben des Verfassungsschutzes Anhänger der "Fränkischen Aktionsfront" - diese wurde 2004 verboten.

Kameradschaften in München und Umland

Seit der Neonazi Philipp H. in Haft sitzt, und der verurteilte Rechtsterrorist Martin Wiese wieder auf freiem Fuß ist, findet in der Münchner Neonazi-Szene ein Umbruch statt. Die Kameradschaft "Nationale Solidarität Bayern" löste sich auf, dafür arbeiten einst konkurrierende Kameradschaften zusammen. Führungsfigur ist Martin Wiese. Der 35-Jährige zeichnet für die Homepage der "Kameradschaft München-Nord" verantwortlich; die "Kameradschaft München" wird laut Verfassungsschutz von seinem Adlatus Karl-Heinz S. geführt. Die Mitglieder der Münchner Kameradschaften beteiligten sich in den vergangenen Monaten vermehrt an Flugblatt-Aktionen der "Bürgerinitiative Ausländerstopp" und der NPD und suchten den Kontakt mit der "Kameradschaft München Süd-Ost" sowie Gruppierungen aus dem Umland - etwa dem "Aktionsbund Freising" sowie der "Jagdstaffel D.S.T." aus Geretsried.

Rechtsextreme Versandhäuser

Ihr Angebot ist meistens legal, die Produkte aber richten sich gezielt an Rechtsextreme: Da gibt es Düfte mit Namen "Nationalist" oder Hosen mit dem Aufdruck "88" - das Kürzel für HH, wie Heil Hitler. Deutschlands Vertriebe für die Ware der extremen Rechten liegen zu einem großen Teil in Bayern: NPD-Funktionäre betreiben den Wikingerversand im niederbayerischen Geiselhöring, den Murnauer "Versand der Bewegung" und den Final-Resistance-Versand im oberpfälzischen Wackersdorf. Der Patriaversand in Kirchberg vertreibt gleich eine eigene Kleidermarke. Sie heißt "Consdaple" und spielt mit den Assoziationen zu Hitlers einstiger Partei. Unter offenen Jacken getragen, sieht man von einem Consdaple-Shirt nämlich nur fünf Buchstaben: "NSDAP".

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