Kostenpflichtige Behandlungen "IGeL":Überrumpelt im Sprechzimmer

Nutzen Ärzte "IGeL" aus? Eine Umfrage zeigt: Die Mediziner setzen Patienten unter Druck, damit sie diese Zusatzleistungen beanspruchen - für welche die Behandelten selbst zahlen müssen. Der Ärzteverband mahnt nun die Kollegen zu Zurückhaltung.

Guido Bohsem

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, hat seine Kollegen zu mehr Zurückhaltung bei kostenpflichtigen Behandlungen aufgerufen. Die Mediziner müssten ihren Patienten Gelegenheit geben, die Angebote gründlich zu prüfen. Dazu sei eine angemessene Bedenkzeit notwendig. Keinesfalls dürfe der Arzt darauf bestehen, dass der Patient sich gleich im Anschluss an die Untersuchung oder medizinische Beratung entscheiden muss.

Im Fachjargon werden die Behandlungen, die ein Kassenpatient beim Arzt bezahlen muss, individuelle Gesundheitsleistungen genannt, abgekürzt "Igel". Die Krankenversicherung übernimmt diese Methoden nicht, weil ihre wissenschaftliche Wirksamkeit oftmals nicht nachgewiesen oder zweifelhaft sind. Es fallen aber auch kosmetische Eingriffe oder Unbedenklichkeitsbescheinigungen für sportliche Aktivitäten unter diesen Oberbegriff.

Seit Jahren gibt es über diese Angebote Streit. Manche Mediziner betrachten die Igel als normales Geschäftsgebaren, denn sie rechnen ja auch mit ihren privatversicherten Patienten direkt ab. Andere weisen auf die oft fehlende medizinische Notwendigkeit der Angebote hin und werfen der Ärzten vor, damit ihre Patienten auszunutzen.

Der Anlass für Köhlers Mahnung sind zwei Umfragen im Auftrag der KBV, die ein negatives Bild der Ärzteschaft bei dem Thema Igel vermitteln. Eine Telefon-Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen und eine nicht repräsentative Einzel-Befragung durch Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover.

Anlass zur Besorgnis gibt offenbar vor allem letztere, weil sich demnach viele Ärzte bei den Igel-Behandlungen nicht an die Spielregeln halten. So gaben die Befragten an, dass sie sich von dem Angebot überrumpelt gefühlt hätten und unter Zeitdruck entscheiden mussten. Häufig sei das Angebot auch mit einem moralischen Appell verbunden gewesen, weshalb es den Patienten schwer fiel, die Leistung abzulehnen. Andere sagten, sie hätten ihren Doktor nicht verärgern wollen und die Behandlung deshalb akzeptiert. "Keiner der Befragten wurde ausführlich von den Ärzten informiert", sagte Studienleiterin Marie-Luise Dierks. Auch sei ein formaler Vertrag in der Regel nicht zustande gekommen.

KBV-Chef Köhler warnte vor solchen Praktiken. "Es wäre fatal, wenn das nachgewiesene hohe Vertrauen der Patienten in die Ärzte hierdurch Schaden nehmen würde." Er appelliere deshalb, sehr sorgsam damit umzugehen

Bevorzugtes Objekt für eine Igel-Behandlung sind nach der Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen gut ausgebildete Frauen im mittleren Alter. 31 Prozent aus dieser Gruppe berichteten, dass ihr Arzt ihnen eine individuelle Gesundheitsleistung angeboten habe. Dagegen sprachen die Doktoren nur 15 Prozent der Männer mit hoher Schulbildung im Alter von 40 bis 49 Jahren an. Insgesamt gaben 64 Prozent der befragten Patienten an, die vom Arzt angebotene Leistung auch gekauft zu haben. Frauen lehnten die Leistung dabei häufiger ab (39 Prozent) als Männer (26 Prozent). 19 Prozent der Befragten klagten, nicht ausreichend Bedenkzeit bekommen zu haben.

Köhler führte die Verunsicherung der Patienten in diesem, aber auch in anderen Gesundheitsbereichen auf eine mangelhafte Information durch die Kassen zurück. Er kündigte deshalb eine Initiative der Ärzteschaft an, das Angebot zu ergänzen. Im kommenden Jahr soll es demnach einen sogenannten Kassen-Navigator geben. Im Internet soll den niedergelassenen Ärzten die Gelegenheit gegeben werden, die etwa 150 Kassen zu bewerten. Vorbild ist dabei der Ärztenavigator der großen Kassen, auf dem Patienten ihre Mediziner bewerten können. Das Portal der Ärzteschaft soll die Patienten nach Köhlers Worten darüber informieren, welche Kasse gute Versorgungsleistungen anbietet und welche nicht.

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