Versagen der Behörden bei Neonazi-Mordserie:Pannen und Fehler, nicht nur beim Verfassungschutz

Der thüringische Verfassungsschutz gilt als Versager-Truppe, weil er die Mordserie der Zwickauer Neonazis nicht verhindern konnte. Es kursieren sogar Verschwörungstheorien über eine Komplizenschaft mit den rechten Terroristen. Doch dafür gibt es keinerlei Belege. Und andere Sicherheitsorgane agierten noch viel dilettantischer als die Behörde in Thüringen.

Hans Leyendecker

"Pannen" und "Fehler" habe es "sicherlich" gegeben. "Stümpereien vielleicht auch". Er sei "traurig", sagt der Chef einer deutschen Sicherheitsbehörde, dass die Mordserie der Terroristen "weder gestoppt noch als solche erkannt" worden sei. Dann verweist er auf den Umstand, dass sich die Täter "untypisch verhielten", weil sie sich zu den Morden nicht bekannt hätten. Eine Erklärung für "alles ist das aber nicht".

Saechsischer Verfassungsschutz berichtet ueber Zwickauer Terrorzelle

Hätte der thüringische Verfassungsschutz die Zwickauer Neonazis stoppen können? Fehler haben alle Sicherheitsbehörden gemacht, weil sie die zahlreichen Fälle nicht richtig zusammenbrachten. Im Bild: Polizisten bei Aufräumarbeiten in den Trümmern des explodierten Hauses, das von mutmasslichen Terroristen der Gruppe."Nationalsozialistischer Untergrund" genutzt wurde.

(Foto: dapd)

Die Aufarbeitung des Desasters, das vor 13 Jahren in Erfurt seinen Anfang nahm, hat erst begonnen. Ein kompetenter früherer Bundesrichter sichtet die Akten, aber die Schuldzuweisungen sind längst in vollem Gange. Handelt es sich um einen Abgrund von Dilettantismus oder von Landesverrat? Um diese Alternativen scheint es nur zu gehen.

Bei der Fehleranalyse, die derzeit nur vorläufig sein kann, ist das, was so klar zu sein scheint, so klar nicht - das trifft auch auf den thüringischen Verfassungsschutz zu. Die Behörde gilt derzeit als die Versager-Truppe schlechthin; manche meinen sogar, es habe in der Behörde heimliche Komplizenschaft mit dem braunen Pack gegeben. Zumindest für diese These gibt es keinerlei Beleg.

Richtig ist hingegen, dass der Nachrichtendienst die Polizei 1997 und 1998 erst auf die Spur der drei Neonazis gebracht hat. Die Verfassungsschützer hatten damals mit Hilfe von V-Leuten herausgefunden, dass die vom rechten Rand in Jena mit Bombenstoff hantierten. Das Erfurter Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft verschliefen dann die geplante Festnahme. Der Haftbefehl kam zu spät, und das Trio konnte in den Untergrund abtauchen. Vorzuwerfen ist dem Nachrichtendienst allenfalls, dass die Behörde nicht mitbekam, dass sich die Gesuchten in der Heimat versteckten und Helfer hatten.

Versäumnisse in Niedersachsen

Noch unklar sind die Umstände eines angeblichen Desasters von Zielfahndern in Sachsen Ende 1999. Sie sollen angeblich kurz vor dem Zugriff der drei Untergetauchten gestanden und dann doch nicht zugegriffen haben. Es gibt Fotos, Geraune und offizielle Dementis für unterschiedliche Pannen-Versionen.

Klar ist, dass der niedersächsische Verfassungsschutz versagt hat. Die Beamten waren vor gut zehn Jahren sehr nachlässig einer Bitte der Erfurter Kollegen nachgegangen, einen Rechtsradikalen, der sich später als Helfer des Trios herausstellte, zu beobachten.

Auch in deutschen Amtsstuben geht es manchmal geordnet drunter und drüber. Verschwörungsjunkies werden Absicht unterstellen, aber viel wahrscheinlicher ist meist das normale Versagen. Diese Feststellung trifft auf die Serie der Banküberfälle in Sachsen zu, bei denen der Modus Operandi immer derselbe war, was bei den Ermittlern nicht zu den notwendigen Erkenntnissen führte. Die Kollegen in Thüringen waren da heller. Auch waren die Beamten, die mit der Aufklärung der Mordserie zu tun hatten, ausgekochte Spezialisten - und auch sie haben all die Knoten nicht erkannt. Als mögliches Tatmotiv hatten sie zwar auch Fremdenhass im Blick, aber sie brachten die vielen Fälle nicht wirklich zusammen.

Wer transportiert schon eine Bombe über Hunderte Kilometer?

Vermutlich war es falsch, die Ermittlungen damals in den Regionen zu führen. Vermutlich wäre es 2005 besser gewesen, das Bundeskriminalamt, das sich angeboten hatte, mit den Ermittlungen zu betrauen. Oder der Anschlag mit der Nagelbombe in Köln 2004: Die Profiler waren sich sicher, dass die Täter, die mit Fahrrädern gekommen waren, nur aus Köln und Umgebung stammen könnten. Wer transportiert schon eine Bombe Hunderte Kilometer?

Als Panne gilt, dass die Polizei nach dem Polizistenmord in Heilbronn 2007 den Fluchtwagen, ein Wohnmobil mit Chemnitzer Kennzeichen, zwar registrierte, aber die Insassen nicht suchte. Es war eine Ringfahndung mit Tausenden Wagen und Kennzeichen. Ein Auto aus Chemnitz war nicht gleich verdächtig.

Wenn die ganz großen Dinge passieren, geht oft etwas schief. Das gilt ebenso für das Behörden-Chaos im Fall des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer im Herbst 1977, als auch für die Geschichte der Hamburger Zelle, die dann am 11. September 2001 den Massenmord ausführte. Wichtige Hinweise auf die Attentäter waren unbeachtet geblieben. Nachdem alles vorbei war, mussten Nachrichtendienstler einräumen, vorher eine ganze Menge über die Verschwörer gewusst zu haben.

Auch die Schande von Erfurt wird vermutlich in die Lehrbücher eingehen. War wirklich alles klar? "Ich bin die Klugscheißerei in dieser Republik leid", schimpfte am Montag ein Strafverfolger, als er von einem Reporter gefragt wurde, warum er nicht damals auf das vorgeblich Naheliegende gekommen sei. Der Journalist, das wusste schon Karl Kraus vor rund hundert Jahren, sei "einer, der nachher alles vorher gewusst hat."

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