Streit über Extremismusklausel im Bundestag:Union stellt Schröders "Gesinnungs-TÜV" zur Debatte

Hat die Familienministerin kein Herz für den Kampf gegen Rechtsextreme? Kristina Schröder sieht sich in der Bundestagsdebatte um Rechtsterrorismus heftigen Angriffen der Opposition ausgesetzt. Sagen will sie nichts. Das macht dann CDU-General Hermann Gröhe für sie. Und stellt indirekt in Frage, wofür Schröder lange gekämpft hat.

Thorsten Denkler, Berlin

Die Namen der zehn Toten stehen ganz am Anfang des Entschließungsantrages gegen den Rechtsterror im Bundestag. Schon das ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher aber ist die Breite der Zustimmung. Es ist ein Antrag aller Fraktionen im deutschen Bundestag. Das hat es bisher so noch nicht gegeben. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, sagt später in der Debatte, das sei an starkes Signal an den Rechtsextremismus: Der "scheitert an uns gemeinsam - von der CSU bis zu den Linken".

In ihrer Meinung darüber, dass es einer Gruppe von Rechtsterroristen gelungen ist, mehr als zehn Jahre mordend durchs Land zu ziehen, sind sich alle einig. Am Anfang lässt Bundestagspräsident Norbert Lammert die Abgeordneten sich von ihren Plätzen erheben. Er bringt im Namen des ganzen Hauses die "Trauer, Betroffenheit und Bestürzung" über die Taten zum Ausdruck.

"Wir sind beschämt", dass die Sicherheitsbehörden die Morde "weder rechtzeitig aufklären noch verhindern konnten", sagt Lammert. Und richtet sich mit einer "Bitte der Entschuldigung" an Opfer und Angehörige. Auch an jene, die sich während der Ermittlungen falschen Verdächtigungen ausgesetzt sahen.

Viele fühlen sich unter Generalverdacht gestellt

Da endete die Einigkeit aber auch schon. Was wie eine Gedenkstunde beginnt, mündet in einem Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierungsfraktionen über Sinn und Unsinn der Extremismusklausel, die Familienministerin Kristina Schröder eingeführt hat.

Danach müssen Gruppen und Organisationen, die sich dem Kampf gegen Rechtsextreme verschrieben haben, zwei Bedingungen erfüllen, um aus Schröders Haus Geld zu bekommen. Sie müssen die Hälfte ihrer Ausgaben kofinanzieren lassen, also einen Teil selbst aufbringen, etwa durch Spenden. Das erweist sich oft als unmöglich. Und sie müssen unterschreiben, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen.

Viele fühlen sich damit unter Generalverdacht gestellt und boykottieren das Zwangsbekenntnis. Mit dem Ergebnis, dass sie kaum noch Geld für ihre Arbeit haben.

"Mangelnde Herzensbildung"

Schröder wird deswegen von der Opposition unter Druck gesetzt. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wirft ihr "mangelnde Herzensbildung" vor, weil sie erkennbar nicht gewillt sei, die Gruppen gegen rechts zu unterstützen. Schröder selbst sitzt während der Debatte auf der Regierungsbank. Nur reden will sie offenbar nicht.

Das überlässt sie zunächst Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der noch mal seine Verbunddatei und die Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz hervorhebt. Sowie Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die den Opfern und Angehörigen schnelle finanzielle Hilfe zusichert. Das sei "das Mindeste", was die Politik für diese Menschen jetzt tun könne.

Aufklären, Sicherheitsstrukturen anpassen, Geld für die Opfer. Damit glaubt die Bundesregierung offenbar, die richtigen Konsequenzen aus der Mordserie der Zwickauer Rechtsterroristen zu ziehen.

"Keine linksextremen Schlägertrupps"

Die Opposition will mehr. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wirft Schröder vor, sie sei es gewesen, die Gruppen gegen rechts unter "linksextremen Generalverdacht gestellt" habe. Es sei einer "Demokratie nicht würdig", diese Menschen "einem Gesinnungs-TÜV" zu unterziehen. In diesem Land gebe es schließlich "keine linksextremen Schlägertrupps", die "ganze Regionen terrorisieren".

Mit dem letzten Satz hat Steinmeier offenbar einen wunden Punkt im christlich-liberalen Koalitionslager getroffen. Ein Raunen geht durch den Saal, viele glauben ja seit langer Zeit, die linksextremistische Gewalt sei das Kernproblem. Ein qualitativer Unterschied wird konsequent verneint.

Steinmeier widerspricht

Selbst Leutheusser-Schnarrenberger verlangt, der Staat müsse Extremismus aus "allen Ecken" der Gesellschaft bekämpfen. Er dürfe "auf keinem Auge blind" sein. Sie setzt damit - gewollt oder nicht - die Gewalt von links wie von rechts faktisch gleich.

Steinmeier widerspricht dieser Grundhaltung: "Da ist eben nicht vergleichbar, was sie miteinander vergleichen wollen."

An Familienministerin Schröders Stelle muss sich ihr Parteifreund, der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, kritische Fragen zum Umgang mit der Extremismusklausel gefallen lassen.

Plötzlich wackelt die Klausel

Grünen-Chefin Claudia Roth will wissen, wie er sich denn die von ihm verlangte Stärkung der zivilgesellschaftlichen Gruppen vorstelle, wenn die sich von der Klausel drangsaliert fühlten. Da wiegelt Gröhe noch ab: "Ein Bekenntnis zur Demokratie hat nichts mit Generalverdacht zu tun."

Bundestag

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) im Bundestag: Die Grünen werfen ihr wegen der Demokratieerklärung "mangelnde Herzensbildung" vor.

(Foto: dpa)

Oben auf der Besuchertribüne schütteln einige heftig mit dem Kopf. Es sind Vertreter jener gesellschaftlichen Gruppen, die die Klausel als genau das empfinden: als Gängelung und ständige Misstrauenserklärung.

Volker Beck, ebenfalls Grüner, hakt nach: Vom Bundesverband der Vertriebenen werde eine solche Erklärung auch nicht verlangt. Warum dann ausgerechnet von den Gruppen gegen rechts?

"Wir reden darüber"

Der Druck zeigt Wirkung. Gröhe verweist auf den Entschließungsantrag. Darin steht, es solle geprüft werden, ob und welche Hindernisse es im Kampf gegen rechts gebe. Gröhe verspricht: "Wir reden darüber."

Ein kurzer Satz. Und doch stellt er in Frage, wofür Schröder lange gekämpft hat. Plötzlich wackelt die Extremismusklausel.

Völlig unklar ist die Frage eines NPD-Verbotes. Darüber ist sich nicht Mal die CSU einig. CSU-Chef Horst Seehofer will ein Verbot, das lässt er seinen Generalsekretär Alexander Dobrindt im Bundestag erneut bekräftigen. So eine Partei dürfe nicht mit staatlichem Geld noch gepäppelt werden, sagt Dobrindt.

Lindner will Grundlagen schaffen

Wesentlich zurückhaltender äußert sich Innenminister Friedrich, ebenfalls CSU. Er will auf die V-Leute als Quellen nicht verzichten. Ohne ein Abschalten der V-Leute aber könne es kein neues Verbotsverfahren geben.

Ähnlich unklar ist die Position der FDP: Leutheusser-Schnarrenberger warnt davor, einen Verbotsantrag zu stellen, wenn nicht völlig klar sei, dass das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen werde. FDP-Generalsekretär Christian Lindner dagegen wirbt dafür, jetzt die Grundlagen dafür zu schaffen, dass ein NPD-Verbotsverfahren erfolgreich sein kann.

Ob ein NPD-Verbot aber hilft den braunen Sumpf tatsächlich auszutrocknen, wie verschiedene Redner einklagen, daran bestehen erhebliche Zweifel. Im Video-Interview mit sueddeutsche.de sagte CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl, ein NPD-Verbot wäre nur ein "scheinbar" starkes Signal. Wirklich stark wäre das Signal, wenn die NPD bei Wahlen nicht gewählt werde. Loswerden könne man das braune Gedankengut mit einem Parteiverbot ohnehin nicht.

"Wir können Gedanken nicht verbieten", sagte Uhl. "Und das ist auch gut so."

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