Neonazis und Rechtsextreme:NPD-Verbot als Opferschutz

Die NPD muss verboten werden - nicht zum Schutz der Demokratie vor Spinnern, sondern zum Schutz der Opfer vor neonazistischen Gewaltverbrechern. Doch die gute Absicht allein reicht nicht aus. Eine Anleitung für ein erfolgreiches Verfahren.

Heribert Prantl

Die NPD ist eine widerliche Partei. Sie ist der parteipolitische Kern des Neonazismus in Deutschland. Sie ist die legale Basis des Illegalen. Sie ist womöglich der Durchlauferhitzer für Gewalttaten. Sie sitzt, weil von ausreichend vielen Wählern gewählt, in Landesparlamenten. Sie wird also vom Staat finanziert, sie erhalt Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung.

Debatte um NPD-Verbotsverfahren

Die Demokratie muss die NPD aushalten - ein Verbot der Partei dient vor allem dem Schutz potentieller Opfer.

(Foto: dpa)

Das tut einem Demokraten in der Seele weh. Die Rufe nach einem neuen Verbotsantrag nach der Aufdeckung der von Neonazis begangenen Morde sind also verständlich. Der Schoß ist fruchtbar: Wenn aus ihm Gewalttäter kriechen, dann muss es mit dieser Fruchtbarkeit ein Ende haben.

Zur Bewältigung des vermeintlich unerklärlich Bösen gab oder gibt es in fast allen Religionen den Exorzismus: Zauberer, Medizinmänner oder Priester versuchen mit magischen Handlungen, böse Machte zu vertreiben. Da wird gebetet, getanzt, gesalbt, gewaschen, die Hand aufgelegt − oder einfach laut gelärmt, um so den Dämon zu bannen.

Um den Neonazismus aus Deutschland auszutreiben, findet hierzulande wieder einmal eine Art politischer Exorzismus statt. Die Handlungen, die zu diesem Zweck vollzogen werden, reichen vom einfachen Lärmen bis zum Verbotsantrag: Der Antrag an das Bundesverfassungsgericht, die NPD zu verbieten, wird diskutiert, als handele es sich beim Verbot um den großen Exorzismus solemnis, der von der Besessenheit befreit. Die politische Energie, die in so einen Verbotsantrag gesteckt wird, wäre anderswo eigentlich besser genutzt: Bei den zivilgesellschaftlichen Programmen gegen Rechtsextremismus zum Beispiel oder beim grundrechtsvertraglichen Umbau des Verfassungsschutzes.

Ein Verbot ist kein demokratischer Exorzismus, man kann mit so einem Verbot nicht den Neonazismus austreiben. Das Parteiverbot ist auch kein Lästigkeitsschutz für die Demokratie. Und schon gar nicht wollte das Grundgesetz Politikern mit dem Parteiverbot nach Artikel 21 Gelegenheit geben, auf wenig anstrengende Weise Aktivität zu demonstrieren. Das Thema Parteiverbot ist für Prahlerei und Großspurigkeit zu ernst.

Eine kräftige Demokratie muss eigentlich in der Lage sein, selbst eine solche Partei auszuhalten. Ginge es nur um braune Ideologie - die deutsche Demokratie müsste mit der NPD leben. Streitbare Demokratie streitet nämlich, solange es irgend geht, mit Argumenten, nicht mit Verboten. Der Demokratie der frühen fünfziger Jahre, die gegen diesen Satz verstoßen hat - sie hat die KPD verboten - kann man zugutehalten, dass sie jung war und unerfahren. Sie hatte Angst, und Angst macht unsicher. Nach über fünfzig Jahren ist die deutsche Demokratie aber stabil, souverän und selbstbewusst; es passt nicht zu diesem Selbstbewusstsein, vor der Auseinandersetzung mit Neonazis zu kneifen.

Ein Verbot zum Schutz der Opfer

Mit Argumenten aber kann man die Menschen nicht schützen, die von Rechtsextremisten geschlagen, gehetzt und getötet werden. Zum Schutz dieser Opfer vor Schlagern und Mördern, nicht zum Schutz der Demokratie vor Spinnern, ist die NPD zu verbieten. Beim Verbot der NPD geht es also nicht darum, dass es sich der Staat mit seinen Gegnern leichtmacht, sondern darum, dass er alles tut, um die Menschenwürde zu sichern und Menschen zu schützen.

Einen türkischen Gemüsehändler interessieren Podiumsdiskussionen über die potentielle Stärke der deutschen Demokratie nicht so sehr. Er wünscht sich die reale Stärke eines Staates, der ihn schützt. Die Opfer von Ausländerhass sind nicht so stabil und kräftig wie die Demokratie. Wenn ihre Menschenwürde mit Füßen getreten wird, dann darf der Staat - via Parteienförderung - nicht auch noch den Schuster für diejenigen bezahlen, die mit ihren Stiefeln zutreten.

Wenn gar Menschen ermordet werden, dann darf der Staat nicht diejenigen tolerieren, die das geistige Umfeld schaffen, in denen solche Gewaltverbrechen gedeihen. Ein Parteiverbot ist vorbeugender Opferschutz, wenn eine Partei als Trainingsraum für handgreiflichen und gewalttätigen Rassismus funktioniert.

Ehrlich gesagt: Die bisherigen Erfahrungen mit Parteiverboten sind schlecht. Diese Erfahrungen sind freilich spärlich, und sie liegen ganz lang zurück. Sie stammen aus den frühen Jahren der Bundesrepublik, aus der Zeit, in der ein späterer Bundespräsident von den deutschen Geheimdiensten als angeblicher Verfassungsfeind illegal überwacht wurde. In dieser Zeit erlebte Gustav Heinemann wiederholt, dass unter die Klingel seiner Anwaltskanzlei ein Zettel geklebt worden war: "Von Moskau bezahlt". Das Verbot der KPD 1956 war ein Ausdruck dieser Zeit, und mit diesem Verbotsurteil begann der kalte Krieg auch in den Gerichtssälen: Das Verbotsurteil wurde zum Auftakt für eine Hexenjagd gegen KPD-Mitglieder.

Vielleicht hatten die Verfassungsrichter solche Auswüchse geahnt. Sie wehrten sich gegen das Verbotsverfahren, sie spürten, dass der Verbotsantrag gegen die rechtsradikale Sozialistische Reichspartei, dem sie schnell entsprochen hatten, für die Regierung Adenauer ein Aufhänger war, um auch gegen die KPD vorzugehen. Den Richtern war dieser Vorstoß suspekt, sie zögerten lange: Die Beweisaufnahme begann erst drei Jahre nach dem Antrag, sie dauerte 51 Tage − und der Prozess wurde zur Machtprobe zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundeskanzler.

Adenauer drängte die Richter mit aller Macht, ja er nötigte sie. Widerstrebend fällten die Richter des Ersten Senats dann am 17. August 1956 das Verbotsurteil. Noch unmittelbar vor dessen Verkündung, in seinen einleitenden Worten, spielte der Gerichtspräsident den Pontius Pilatus und sagte: "Die Bundesregierung allein trägt die Verantwortung für dieses Verfahren."

Gründungsurkunde für eine wehrhafte Demokratie

Von den Linken wurde der Parteiverbotsartikel des Grundgesetzes einst als "antikommunistisches Relikt" in dem "vom US-Imperialismus abhängigen Westdeutschland" diskreditiert. Das war Unsinn. Richtig ist: Für die Autoren des Grundgesetzes war der Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes die Gründungsurkunde für eine wehrhafte Demokratie: Es sollte nicht noch einmal passieren, was passiert war − dass die Demokratie hilflos zuschaut, wie ihre Feinde sie zerstören. Das Parteiverbot war und ist Frucht dieser Erfahrung.

Dass der Verbotsartikel in den fünfziger Jahren missbraucht wurde, macht ihn nicht zum untauglichen Instrument. Es zeigt sich am Beispiel des Parteiverbots nur das Widerspruchsvolle das oft in Erfahrungen steckt: Sie vergrößern zwar die Weisheit, verringern aber die Dummheit nicht. Der Umgang mit dem Parteiverbot in den fünfziger Jahren war eine solche Dummheit. Es wäre aber eine weitere, furchtbare Dummheit, wegen der Dummheit von 1956 ff. die Erfahrungen von 1949 zu vergessen.

Soll man jetzt die NPD schonen, weil man seinerzeit gegen die KPD so heftig zugelangt hat? Die Fälle liegen völlig anders. Zwar sind NPD wie KPD Gegner des demokratischen Systems. Bei der NPD jedoch kommt eine besondere Gefährlichkeit hinzu: Sie unterstützt Gewalt. Diether Posser, Rechtsanwalt und später zwanzig Jahre lang Minister in Nordrhein-Westfalen, stellte 1956 unwidersprochen fest, dass es von Seiten der Kommunisten "keine politischen Morde, keine Attentate, keinerlei Gewalttaten, keine geheimen Waffenlager" gegeben habe. Das ist heute, bei der NPD, anders.

Gleichwohl darf man einen neuen Verbotsantrag nur dann stellen, wenn nicht nur die Absicht, sondern auch die Begründung gut ist. Das ist die Erfahrung aus dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren von 2001 bis 2003: Die gute Absicht ersetzt nicht die gute Begründung. Das Gericht hat damals entschieden, dass der gute Zweck nicht die Mittel heiligt.

Auch dann, wenn es im Namen des Rechtsstaats gegen eine rechtsstaatsfeindliche Partei geht, müssen die rechtsstaatlichen Prinzipien penibel eingehalten werden − strikt und ohne Rabatt für die gute Sache. Das Gericht hat es nicht akzeptiert, dass der Staat V-Leute in der zu verbietenden Partei rekrutiert und sich zur Begründung des Verbots auf deren Angaben stützt, aber dann noch nicht einmal alle V-Leute aufdeckt.

Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 müssen sorgfältig berücksichtigt werden. Es darf nicht noch einmal mit Aussagen von V-Leuten das Parteiverbot begründet werden. Die V-Leute in der NPD müssen zumindest vorübergehend "abgeschaltet" werden. Das ist der Preis für ein erfolgreiches Verbotsverfahren. Die potentiellen Opfer der rechtsextremen Gewalt werden es danken.

Der Artikel stammt aus dem großen Jahresrückblick der Süddeutschen Zeitung. Im Handel ist das Heft erhältlich ab 3.12.2011, online zu bestellen ab sofort unter www.sz-shop.de/2011.

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