Polizeigewalt in Aschaffenburg:Außer Kontrolle geraten

Schläge, Handschellen, Demütigungen: Es sieht zunächst nach einer ganz normalen Polizeikontrolle aus. Als das Ehepaar nach den Namen der Beamten fragt, rammt einer der Frau die Faust in den Bauch - und führt sie ab. Die zuständige Polizeipräsidentin stellt sich schützend vor den Beamten.

Christoph Giesen

Es war am Abend des 7. Oktober 2010, als Martina F. ihr Vertrauen verloren hat. Ihr Vertrauen in den Rechtsstaat. Ihr Vertrauen in die Polizei. Man wird leicht in eine Schublade gesteckt, wenn man eine Geschichte erzählt, wie sie die beiden Gymnasiallehrer Martina F. und ihr Mann Günter (Namen geändert) erlebt haben. In eine Schublade, auf der in Großbuchstaben das Wort "Spinner" steht. "Selbst mein eigener Therapeut konnte am Anfang nicht fassen, was ich durchgemacht habe", sagt Martina F. "Zusammengeschlagen und gedemütigt von der Polizei - das glaubt einem fast niemand."

Polizei

Zunächst sah alles nach einer normalen Polizeikontrolle aus. Doch dann begann für das Ehepaar F. der Albtraum.

(Foto: Johannes Simon)

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zählt jährlich fast 400 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte im Freistaat. Die meisten Verfahren werden eingestellt. Vor wenigen Wochen beschwichtigte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU): Die bayerische Polizei akzeptiere keine Rambos, die Selbstjustiz üben.

"Die Realität ist leider anders", sagt Martina F. Nach dem Unterricht ist sie mit ihrem Mann in die Stadt gefahren, um ihre Geschichte zu erzählen. Martina F. ist eine zierliche Frau, vielleicht 1,65 Meter groß und kaum 50 Kilo schwer. Ihr Mann ist hager, das Haar ergraut. Er ist nicht viel größer als seine Frau. Martina F. hat ins Café am Aschaffenburger Bahnhof die Schriftsätze ihrer Anwältin mitgebracht, sprödes Juristendeutsch in einer blauen Klarsichtfolie.

Die Chronik einer scheinbar ganz normalen Polizeikontrolle. Der 7. Oktober 2010 ist ein Donnerstag. Nach einem Restaurantbesuch fahren Martina und Günter F. mit dem Auto nach Hause. Günter sitzt am Steuer, seine Frau auf dem Beifahrersitz. Gegen 20.25 Uhr werden die beiden von einer Polizeistreife gestoppt. Allgemeine Verkehrskontrolle. Polizeihauptmeister W. und Polizeimeisterin S. überprüfen, ob das Warndreieck im Kofferraum ist und inspizieren den Verbandskasten. Danach fragen sie Günter F., ob er etwas getrunken habe. "Ein Bier", sagte er damals. "Es war sogar bloß ein Alkoholfreies", sagt er heute.

Günter F. muss pusten. "Mindestens 15-mal habe ich in das Kontrollgerät geblasen." Vergeblich, auf dem Display erscheinen keine Promillewerte. Hat er zu schwach gepustet? Günter F. ist schwerer Asthmatiker. Vom Pusten bekommt er langsam Atemnot, seine Lunge fiept. Die beiden Beamten werden ungeduldig. Sie glauben offenbar, F. simuliere und drohen ihm mit einer Blutkontrolle auf der Polizeiinspektion. "Mein Mann war völlig außer Atem, ich habe versucht den beiden klar zu machen, dass er kurz vor einem Asthmaanfall steht. Doch der Polizist hat mich angeschrien, ich solle mich raushalten." Er stößt Martina F. zur Seite. "Ich habe dann einen letzten Versuch unternommen und kräftig gepustet", sagt Günter F. Diesmal zeigt das Gerät 0,0 Promille an. Und dann habe ich diesen entsetzlichen Fehler gemacht", sagt Martina F.

Statt den Beamten einen "Guten Abend" zu wünschen, erkundigt sie sich nach den Namen der beiden Polizisten. "Ich habe ihnen deutlich gesagt, dass ich mich ungerecht behandelt fühle und in Rücksprache mit meinem Sohn, der Strafrichter ist, über das Verhalten beschweren werde". Die Beamten ziehen sich zurück, brummen unverständlich ihre Nachnamen und steigen in den Streifenwagen. "Das war mir nicht genug, ich wollte auch die Vornamen."

Dann rammt der Polizist ihr die Faust in den Bauch

Statt seinen vollen Namen zu nennen, springt Polizeihauptmeister W. aus dem Streifenwagen und rammt Martina S. unvermittelt seine Faust in den Bauch, dann greift er nach ihrem Arm, nimmt sie in den Polizeigriff und drückt ihren Kopf auf den Motorhaube. Die Handschellen klicken. "Wegen Behinderung der Polizeiarbeit", schnaubt er.

"Ich habe sofort angefangen zu weinen und ihn angefleht, er solle mich in Ruhe lassen", sagt Martina F. Der Beamte verfrachtet sie auf die Rückbank des Polizeiautos. Mit Blaulicht fahren die beiden Polizisten mit Martina F. davon. "Ich habe versucht, dem rasenden Polizeifahrzeug zu folgen. Ich kam mir vor wie in einem Kriminalfilm mit meiner Frau als Hauptverdächtiger eines nicht stattgefundenen Verbrechens."

Nach wenigen Metern gelingt es Martina F., die rechte Hand aus der Schelle zu ziehen. Als die Polizeibeamtin S. dies bemerkt, schreit sie: "Festgenommene befreit sich!" Ihr Kollege W. meldet den Vorfall sofort über Funk der Leitstelle und bremst danach abrupt ab. Er steigt aus dem Auto und reißt die Tür auf. "Ich musste mitansehen, wie er meine Frau auf den Gehsteig zerrte und die Handschellen fixierte, während sie weinend auf dem Boden lag." Martina F. muss wieder einsteigen.

Vor der Polizeidienststelle erklärt die Frau den beiden Polizisten, dass sie so lange im Fahrzeug warten werde, bis ihr Mann angekommen sei. "Ich wollte sichergehen, dass noch eine weitere Person von dem Verhalten der Polizeibeamten Kenntnis hat." Hauptmeister W. blafft: "Ich entscheide, was hier geschieht", und packt Martina F. an den Haaren. Sie stolpert aus dem Auto. W. schleift sie mehrere Meter über den Boden.

In der Polizeistation erwartet man nach der Funkankündigung einen Schwerverbrecher und durchsucht Martina F. nach Waffen und Drogen. Eine Beamtin fragt, ob sie Medikamente genommen habe. "Nein, habe ich damals geantwortet. Heute müsste ich leider Ja sagen. Denn inzwischen nehme ich Antidepressiva und Tabletten gegen die Angstzustände", sagt Martina F.

Durchsucht wie ein Schwerverbrecher

Die Polizeibeamten fragen, ob sie bereit wäre, eine Blutprobe entnehmen zu lassen, sie mache einen betrunkenen Eindruck. Martina F. lehnt ab. "Ich hatte zum Abendessen zwei kleine Gläser Weißwein, ich war nicht betrunken." Also versuchen die Polizisten einen richterlichen Beschluss zu erwirken und rufen den Bereitschaftsdienst an.

Die Haare zerzaust, die Hose kaputt, das Oberteil und der Mantel zerrissen. Die Hände immer noch in Handschellen. So wartet Martina F. auf die Entscheidung des Richters. "Ich habe gefragt, ob ich einen Anwalt anrufen könnte, man hat es mir nicht erlaubt."

Um 22 Uhr fällt der zuständige Richter seine Entscheidung, er lehnt die Blutprobe ab. "Polizeihauptmeister W, hat mir dann die Handschellen aufgeschlossen und uns noch einen schönen Tag gewünscht."

Die behandelnde Ärztin notiert am nächsten Tag: "Psychisch schwerst traumatisierte und in Tränen aufgelöste Patientin, breite gerötete Streifen an beiden Handgelenken und unterhalb der Ellenbogen, massive Schwellungen an der Halswirbelsäule." Martina F. verbringt die nächsten drei Wochen im Krankenhaus.

Polizeihauptmeister W. hingegen steht schon wenige Tage später vor Hunderten Schulkindern und erklärt, wieso er gerne Polizist sei: Es sei ein absolut spannender Beruf. Jeder Tag bringe etwas Neues.

Die zuständige Würzburger Polizeipräsidentin Liliane Matthes stellt sich schützend vor ihre Beamten. In den Aussagen von Frau F. habe sie nach mehrmaliger Durchsicht der Akten eindeutige Widersprüche entdeckt, schreibt sie dem Ehepaar F. in einem zweiseitigen Brief. Welche Ungereimtheiten sie meint, lässt sie offen. Auch die Ermittlungen der Aschaffenburger Staatsanwaltschaft sind recht bald beendet, die beiden Polizisten sagen aus, sie seien von einer schwer alkoholisierten Frau angegriffen worden. Martina F. hofft nun, den Fall wenigstens in einem zivilrechtlichen Verfahren noch einmal aufrollen zu können.

Unterstützung erhält das Ehepaar F. von der Grünen-Landtagsabgeordneten Susanna Tausendfreund. Die Juristin und innenpolitische Sprecherin der Fraktion hat den Fall eingehend geprüft und hält die Aussagen von Martina und Günter F. für so glaubwürdig, dass ihre Fraktion den Vorfall nun im Innenausschuss des Landtags thematisieren will.

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