SPD-Parteitag in Berlin:Wie alte Zaubersprüche gegen Kleinmut und Verzagtheit wirken

Sie hat aufgetankt, ihr Vorsitzender ist erwachsen geworden: Auf ihrem Parteitag zeigt die SPD, wie eine soziale Demokratie in Europa ausschauen könnte - und dass sie die Angst aus ihren Reihen vertrieben hat. Nun fehlt den Sozialdemokraten nur noch, dass man ihnen das auch glaubt - und ein Kanzlerkandidat.

Heribert Prantl

Sie hat Vergangenheit getankt, um in die Zukunft zu fahren. Der alte Helmut Schmidt hat geredet, der noch ältere August Bebel wurde zitiert. Die SPD erinnert sich lustvoll an ihre Geschichte, die lange vor Gerhard Schröder begonnen hat und die mit der Agenda 2010 nicht enden soll. Die Sozialdemokratische Partei besinnt sich wieder auf ihren Namen, und sie versucht, den Wählern eine Vorstellung dafür zu geben, wie eine soziale Demokratie in Deutschland und Europa ausschauen könnte.

Das bewegt sich alles noch sehr im Bereich des Gefühls, das alles hat noch ziemlich wenig inhaltliche Substanz; aber eine Partei, die ein Gefühl hat, ist immerhin lebendig. Zuletzt, vor zwei Jahren, beim Parteitag in Dresden, hatte man diesen Eindruck nicht. Das hat sich geändert: Kleinmut und Verzagtheit sind weg, von der damaligen Verzweiflung sind nur ein paar Zweifel übrig beblieben, die sich unter anderem an der Kanzlerkandidatenfrage festmachen.

Die SPD ist auf ihrem Berliner Parteitag eine politisch solvente, in ihrem neuen Selbstbewusstsein fast entspannte Partei - mit einem Vorsitzenden, der nun politisch erwachsen wirkt und die Partei mit guter Rhetorik einigen kann. Die SPD, die er aufgetankt hat, ist ein Beispiel dafür, wie schnell sich in der Politik die Dinge ändern können.

Gabriel stimmt seine Partei ein auf einen großen Gerechtigkeits-Bundestagswahlkampf 2013; er versucht zu diesem Zweck die verblichene sozialdemokratische Kernkompetenz wieder zu wecken - auch mittels der Zaubersprüche aus den Urtagen der Sozialdemokratie. "Nie kämpft es sich schlecht für Freiheit und Recht", so zitiert er Hoffmann von Fallersleben und Bebel und Liebknecht. "Nicht betteln nicht bitten, nur mutig gestritten."

Das sind zwar alte Schoten, aber in einer Partei, die zuletzt unglaublich ausgelaugt war, würzen sie immer noch. Die SPD traut sich wieder was - und sie traut sich auch wieder was zu: Die sozialdemokratischen Bindemittel, also Solidarität und soziale Gerechtigkeit, sollen wieder produziert werden.

August Bebel hat einst eine bessere Welt so wunderbar und zum Greifen nah darstellen können, dass die Leute den Hut vom Kopf nahmen und ehrfurchtsvoll Spalier standen, wenn er nach langer Rede den Saal verließ. Fast so ähnlich war es am Sonntag nach der Rede von Helmut Schmidt.

Früher neigte Schmidt der Meinung zu, Europa lasse sich durch zwei alte Männer beim Waldspaziergang machen. Jetzt hat er die SPD-Europaabgeordneten regelrecht zur demokratischen Revolte aufgerufen, weil er weiß, was Europa noch mehr braucht als Euro-Rettungsschirme: das Vertrauen seiner Bürger.

Schmidt hat der SPD den Weg in eine Fürchtet-euch-nicht-Zukunft gewiesen; Steinmeier hat diesen Optimismus aufgenommen und Gabriel die soziale Gerechtigkeit als Anti-Angst-Mittel präsentiert. Nun fehlt der SPD nur noch, dass man ihr das glaubt - und ein Kanzlerkandidat, der das alles verkörpert.

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