Tatort-Kolumne:Echter Kerl in der Islamisten-Zelle

Handlungslöcher sind der "unique selling point" des deutschen Kriminalfilms. Das ist im vorletzten Tatort des Hamburger Undercover-Cops Cenk Batu nicht anders, der diesmal in einer Islamisten-Zelle ermittelt. Schauspielerisch ist das teilweise brillant, die Story aber manchmal so haarsträubend fahrlässig, dass man sich als Verantwortlicher in Hollywood nicht mehr aus dem Haus trauen dürfte.

Alexander Gorkow

Dies ist der vorletzte Tatort mit Kommissar Cenk Batu, es ist auch der letzte Tatort von 2011 - und wenn man ihn mit den 34 anderen des Jahres vergleicht, so wirkt diese Ausgabe aus Hamburg als eine Art summa summarum: Tolle Schauspieler, gute Idee, brillante Szenen, und im Detail mitunter so haarsträubend fahrlässig, dass man sich als Verantwortlicher in Hollywood nicht mehr aus dem Haus trauen dürfte.

Tatort: 'Der Weg ins Paradies'

"Der Weg ins Paradies" heißt der neue Hamburg-Tatort. Handlungslöcher sollten einfach ignoriert werden. Denn wie soll man einen Tatort genießen, während man nach Erklärungen für Unsinn sucht.

(Foto: dapd)

Batu ermittelt undercover in einer Islamisten-Zelle, und Mehmet Kurtulus spielt diesen Agenten ebenso bestechend wie Ken Duken das fanatisch verblendete Hamburger Jüngelchen aus besseren Kreisen.

Kurtulus ist ein sehr männlicher Kommissar - ein Kerl - was ja doch immer eine Freude anzuschauen war im Reigen all der quasidepressiven Ermittler. Allerdings schaut um 20.15 Uhr nicht zuletzt der quasidepressive Teil der Bevölkerung ARD, es herrscht also Sehnsucht nach verlebten, ratlosen Gesichtern plus vier Bratschen, die aus dem Off gegen die Handlung ansägen. Das ist der deutsche Groove, dann kann die Woche mit fünfmal Uli Jörges in der Talk-Schiene beginnen.

Diese Tatort-Folge hier geht auf das Konto des Großroutiniers Lars Becker, dem gelingt vieles, allerdings schämt man sich sofort fremd, wenn der angetrunkene Batu in einer Bar von einer angetrunkenen Schönheit im Stil der Aktenzeichen XY-Einspieler ungelenk angetanzt wird. Fast meint man übrigens zu sehen, dass Kurtulus sich auch etwas schämt.

Duken nun holt an einem schönen Sommertag die Bestandteile einer Monsterbombe - Großkanister für Großkanister für Großkanister - aus der Garage der Villa des Herrn Papa. Da sich der Vater offenbar nie die Frage gestellt hat, zu was all die gut gefüllten Großkanister mal gut sein sollen, stellt man sich als Zuschauer naturgemäß die Frage, wieso sich der Vater diese Frage nie gestellt hat. Zwar gibt es für alles eine Erklärung, aber wie soll man einen Tatort genießen, während man nach Erklärungen für unerklärliche Väter beziehungsweise für Unsinn sucht.

Handlungslöcher wie diese sind, immerhin, eine Art unique selling point des deutschen Kriminalfilms. Der zermürbte Kolumnist gibt sich nach 35 Tatorten im Jahr 2011 vorerst geschlagen, und er übergibt das Amt für das Jahr 2012 an den ebenso unbestechlichen, Hass wie Liebe versprühenden, tapferen Kollegen Holger Gertz. Schon am 1. Januar kommt der erste Tatort des Jahres 2012. Dass es der Kollege hier sogleich mit Kommissarin Odenthal aus Ludwigshafen zu tun hat, ist womöglich nur gut. Wie heißt es bei Rammstein: "Geadelt wird, wer Schmerzen kennt."

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: