Vaclav Havel ist tot:Vom Dissidenten zum Dichterpräsidenten

Er war erst politischer Gefangener - dann moralische Autorität von Weltrang. Er war erst Symbolfigur für den Widerstand gegen die Kommunisten - dann für die demokratische Wende in Tschechien. Vaclav Havel, der "Dichterpräsident", ist im Alter von 75 Jahren gestorben.

Verena Wolff

Absurdes Theater und politisches Tagesgeschäft: Viel gegensätzlicher können die Lebensinhalte eines Menschen nicht sein. Dass beides mitunter zahlreiche Berührungspunkte hat - zumal, wenn das System ein kommunistisches ist, hat Vaclav Havel in den sechziger und siebziger Jahren eindrucksvoll bewiesen.

Havel war während der kommunistischen Ära der Tschechoslowakei (1948-1989) die Schlüsselfigur im gewaltlosen Kampf gegen das Regime. Im Wendejahr 1989 wurde Havel zu einem der Repräsentanten des demokratischen Aufbruchs. Die Rufe der Massen auf dem Prager Wenzelsplatz - "Havel auf die Burg" - katapultierten ihn 1989 in das Präsidentenamt der neuen demokratischen Tschechoslowakei. Vier Jahre war er Präsident des Landes, danach, bis 2003, Staatsoberhaupt der neu gegründeten Tschechischen Republik.

Der Vater besaß Immobilien in Prag und ein Kabarett-Restaurant, wurde jedoch bald nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet - wegen dieser "bourgeoisen" Herkunft wurde Havel in seiner Ausbildung behindert. Er macht zunächst eine Lehre als Chemielaborant, holte das Abitur nach, studierte Verkehrswirtschaft. Doch er durfte das Studium nicht abschließen, weil er sich - vergeblich - an der Akademie der Musischen Künste beworben hatte. Schließlich wurde ihm ein Studium der Dramaturgie erlaubt, das er 1966 abschloss.

Schon als junger Mann schrieb Havel Kritiken in der Zeitschrift Květen (Mai), bald folgten Beiträge in allen wichtigen tschechischen Literaturzeitschriften. 1960 verfasste er sein erstes Stück, den Einakter Rodinný večer (Familienabend), das jedoch erst im Jahr 2000 uraufgeführt wurde. Nach einem Jahr als Kulissenschieber am Theater ABC in Prag arbeitete Havel von 1960 bis zum Sommer 1968 am Prager "Divadlo na zábradlí" (Theater am Geländer) zunächst als Bühnentechniker, später als Dramaturg und Hausautor. Nebenher stand er als Regieassistent an den Städtischen Bühnen Alfréd Radok zur Seite.

Im Dezember 1963 wurde Havels Drama "Das Gartenfest" uraufgeführt, zwei Jahre später "Die Benachrichtigung" - Satiren, die an das Werk des französischen Autors Eugène Ionesco erinnern. Mit den Mitteln des absurden Theaters persiflierte er die Bürokratie und die Erstarrung des gesellschaftlichen Lebens in der repressiven Zeit des Sozialismus. Die Gefahren totalitärer Machtansprüche für den Staat und den Einzelnen blieben zeit seines Lebens das Thema von Havels Arbeiten.

Während eines Schriftstellerkongresses im Juni 1967 griff er ebenso mutig wie scharf die staatliche Zensur und den Machtapparat der Kommunistischen Partei an. 1968 dann war Havel während des Prager Frühlings Vorsitzender des "Klubs unabhängiger Schriftsteller" und gehörte zu den 150 Unterzeichnern eines offenen Briefes an das Zentralkomitee der tschechischen KP. Ihre Forderung: mehr Demokratie.

Der Schriftsteller trat als Wortführer der nichtkommunistischen Intellektuellen auf, die den von Alexander Dubček eingeleiteten Reformprozess unterstützten. Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts durfte Havel nicht mehr publizieren - er lebte auf einem abgelegenen Bauernhof und verdiente seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter in einer Brauerei.

In den folgenden Jahren war Havel in seiner Heimat geächtet und wurde ignoriert - gleichzeitig festigte sich international sein Ruf als Dramatiker. Auf zahlreichen deutschsprachigen Bühnen feierten seine Stücke große Erfolge, Havel wurde mit einer Reihe von Literaturpreisen geehrt. In der Tschechoslowakei allerdings wurde er weiterhin schikaniert.

Im Oktober 1977 wurde er, nur wenige Monate nach der Gründung der Menschen- und Bürgerrechtsbewegung "Charta 77", zum ersten Mal wegen "subversiver" und "staatsfeindlicher" Aktivitäten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Ein Jahr später stellte ihn das Regime unter Hausarrest - weil er sich weiter für Bürgerrechte einsetzte und im Selbstverlag erscheinenden Stücke und Schriften im Ausland veröffentlichte. Nach Gründung eines "Komitees für die Verteidigung zu Unrecht Verfolgter" wurde er 1979 erneut verhaftet und schließlich wegen "Aufruhrs" zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Schwere Zeiten in der Heimat

Die zwischen 1979 und 1982 aus dem Gefängnis geschriebenen "Briefe an Olga", seine 1996 verstorbene erste Frau, gaben auch den Lesern im Westen einen Einblick in das Unrecht und die Hoffnungslosigkeit dieser Zeit. "Olga war seine Antenne zur Realität", erinnerte sich Jiri Grusa, Wegbegleiter und von 1990 bis 1997 Botschafter in Deutschland, in einem Radio-Interview. Sie war ein Gegengewicht zum philosophisch interessierten Literaten und versuchte ihn auch zu warnen, wenn das politische Engagement zu riskant wurde.

"Sie halten dich im Käfig - sie haben dich hinter Gitter gesperrt. Havlitschku - Havel". Das Protestlied wurde 1977 vom Liedermacher Jaroslav Hutka für seinen inhaftierten Freund Havel geschrieben. Der Dissident wurde zur Symbolfigur für den Widerstand gegen die Kommunisten. Das Lied begleitete auch die Tage der Samtenen Revolution im Jahr 1989.

Im Umbruchjahr 1989 siegte die "Macht der Machtlosen", so der Titel eines Havel-Essays aus dem Jahr 1978. Auf dem Wenzelsplatz erschallten die Rufe "Havel auf die Burg". Das Regime fiel, und Dissidenten wie Havel und der im Januar verstorbene Jiri Dienstbier bauten demokratische Strukturen auf. Als neuer Staatspräsident der Tschechoslowakei wählte Havel als erstes Ziel einer Auslandsreise die beiden deutschen Staaten. Er sprach damit den Beziehungen zum größeren Nachbarn eine Schlüsselrolle für die Zukunft zu.

In seinen Anfangsjahren als Präsident wurde Havel von den meisten seiner Landsleute verehrt. Er verkörperte die Hoffnungen der Tschechen auf einen demokratischen Neuanfang. Doch der Respekt schwand schnell - denn die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen forderten viele Opfer von den Tschechen. Und Havel, der Politiker, konnte nicht liefern. Stattdessen schwang er philosophische Reden, die nicht die Lebenswirklichkeit seines Volkes trafen. Im Ausland war der tschechische Präsident indes hoch angesehen - doch in seiner Heimat geriet er zunehmend in Abseits. Der einstige Dissident wurde zur Reizfigur. 2003 schied er aus dem Amt aus.

Politisch blieb der gesundheitlich seit Jahren schwer angeschlagene Havel bis zuletzt. Noch im Juli dieses Jahres drohte er mit der Rückgabe des deutschen Quadriga-Preises, nachdem dieser auch an den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin verliehen werden sollte. Die umstrittene Ehrung wurde abgesagt. Der Preis sollte lieber an den chinesischen Dissidenten und politischen Gefangenen Liu Xiaobo verliehen werden, ließ Havel anschließend mitteilen.

Havel wusste, was eine Freiheitsstrafe für einen Dissidenten bedeutet. Er starb am Sonntagmorgen im Alter von 75 Jahren.

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