Geheimvertrag mit Plattenfirma:Googles Kampf gegen sich selbst

Amerikanischen Gerichtsakten zufolge kann die Plattenfirma Universal selbstständig YouTube-Inhalte löschen. Gleichzeitig kämpft YouTubes Mutterkonzern Google aber gegen einen Gesetzesentwurf, der einen solchen Vorgang zur Regel machen würde. Welche Haltung hat der Konzern wirklich?

Kilian Haller

Das Video zum "Mega-Song" ist nicht nur originell, es ist ein Paradebeispiel für den Streisand-Effekt: Jemand möchte ein Bild oder Video unbedingt aus dem Netz tilgen, verhilft ihm aber gerade durch die verzweifelten Löschversuche zu noch größerer Bekanntheit. In diesem Fall war es der Musikriese Universal Music, der den Werbeclip mit Stars wie Alicia Keys, Chris Brown und P Diddy verschwinden lassen wollte.

Digitaler Radiergummi

Einen digitalen Radiergummi hat sich Universal im Vertrag mit YouTube zusichern lassen: Die Plattenfirma kann selbstständig auf der Video-Plattform löschen.

(Foto: SvenSimon)

In dem Clip äußern sich die Musiker positiv über den Filehoster Megaupload, der die Speicherung und Weitergabe von großen Dateien im Web erlaubt. Weil diese Dateien aber auch urheberrechtlich geschützte Filme oder Musik sein können und über die Filehosting-Plattform leicht verbreiten lassen, kämpft die Musikindustrie mit aller Macht gegen Megaupload und ähnliche Unternehmen.

Kim Dotcom (ehemals Kim Schmitz) ist der Chef von Megaupload und Macher der PR-Kampagne um den "Mega-Song". Nachdem Universal es gelungen war, das Lied bei YouTube verschwinden zu lassen, drohte Dotcom sofort mit einem Gerichtsverfahren: Der Musikkonzern habe fälschlicherweise Copyright-Rechte geltend gemacht, die Löschung sei sofort wieder rückgängig zu machen.

Das Video ging nach einigen Stunden tatsächlich wieder online, doch vor Gericht ging es dennoch. In der Verteidigungsschrift gab Universal Informationen zum Prozedere, die aufhorchen ließen: Der Musikkonzern hatte YouTube nicht gebeten, dass Video zu entfernen - die Plattenfirma konnte es durch einen entsprechenden Zugang zum Redaktionssystem selber löschen.

Löschen erlaubt - aber nur bei Videos von Live-Auftritten

Google und Universal haben einen Vertrag, der es dem Musikgiganten erlaubt, Videos zu löschen, wie auch ein YouTube-Sprecher sueddeutsche.de bestätigte: "In Einzelfällen dürfen unsere Partner Videos von YouTube entfernen. Dabei handelt es sich um Live-Performances von Künstlern mit Exklusiv-Verträgen."

Dieses Kriterium trifft auf den "Mega-Song" offensichtlich nicht zu, weshalb YouTube das Video auch wieder verfügbar gemacht habe. "Unsere Partner haben keine Superrechte bekommen, alles, was sie nicht mögen, aus unserem Service zu löschen", sagt der Sprecher weiter.

Man mag nun von dem dubiosen Geschäftsmann Kim Dotcom halten, was man will - in diesem Fall hatte er sich abgesichert. Die Rechte des Songs liegen nicht bei Universal, sondern bei Megaupload (Dotcom hat Medienberichten zufolge drei Millionen Dollar dafür gezahlt).

Im Fall des "Mega-Songs" war das Interesse der Internet-Gemeinde enorm - unklar ist aber, was passiert, wenn Universal ein weniger auffälliges Video löscht. Könnte der Zugang zum Redaktionssystem missbraucht werden, um ungeliebte Stimmen verstummen zu lassen?

Der YouTube-Sprecher wollte nicht kommentieren, ob Universals Eingriffe noch einmal von Mitarbeitern der Videoplattform überprüft werden. Es ist derzeit auch völlig unklar, wie viele andere Unternehmen und Organisationen bei YouTube selbstständig löschen dürfen.

Gleichzeitig will Google ein Radiergummi-Gesetz verhindern

An Brisanz gewinnt der Fall dadurch, dass YouTubes Mutterkonzern Google gerade ein umstrittenes Gesetz zur Bekämpfung von Internet-Piraterie verhindern möchte. Der "Stop Online Piracy Act" (SOPA) würde das Internet laut Experten drastisch verändern: Internet-Adressen, die auf einer schwarzen Liste stehen, würden dann in den USA nicht mehr abgerufen werden können und auch aus Suchmaschinen verschwinden.

Zudem soll SOPA den Rechteinhabern erlauben, Webseiten nur durch das Senden einer Benachrichtigung aus Bezahldiensten und Werbenetzwerken entfernen lassen zu können. Dabei müsse es nicht zwangsläufig Kriminelle treffen, wie , wie die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) auf ihrer Website schreibt: "Vordergründig zielt das Gesetz auf ausländische Webseiten mit illegalen Inhalten - die Kriterien sind aber so vage gehalten, dass enorme Mengen legaler Inhalte entfernt werden könnten, inklusive politischer Äußerungen." Es sei der Versuch, die rasante Entwicklung der Internet-Angebote mit einem Radiergummi zu beeinflussen.

Neben vielen anderen Internet-Größen unterschrieb Google-Mitgründer Sergei Brin einen offenen Brief gegen SOPA, bei einer Anhörung vor dem Justizausschuss des US-Repräsentantenhauses sprach sich die Google-Vertreterin vehement gegen das Gesetz aus.

Universal darf bereits löschen - wer noch?

Im Geheimen aber setzt der Konzern schon heute Teile der SOPA-Regelungen um: Schließlich zeigt der Megaupload-Fall, dass Universal den digitalen Radiergummi bereits in der Hand hält. Universal muss keine juristischen Instanzen einschalten, um YouTube-Inhalte entfernen zu können - die Plattenfirma muss YouTube noch nicht einmal um Erlaubnis fragen.

Weil die Verträge offenbar jede Transparenz verhindern, kann nun spekuliert werden, ob weitere Rechteverwerter und Unternehmen der Unterhaltungsindustrie bei YouTube löschen dürfen. Und das alles in einer Phase, in der Plattformen wie YouTube gerade gegen stärkere Zugriffsrechte von außen kämpfen.

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