Deutsches Neonazi-Netzwerk:Jeder kennt jeden

Nach der Entlarvung der Zwickauer Terror-Zelle wird deutlich: Dort, wo das Trio mordete, gibt es gewaltbereite Neonazi-Gruppen. Deutschlandweit scheint die rechte Szene besser vernetzt zu sein als bisher vermutet. Vor allem Kameradschaften stehen im Verdacht, gezielt gewaltbereite Jugendliche aufzunehmen. So fanden auch verurteilte Straftäter immer wieder den Weg zurück in rechtsextreme Kreise. Erstaunlich sind die guten Verbindungen vieler Gruppen zur NPD.

Jan Bielicki

Mehmet Kubasik stirbt mittags kurz vor eins. Wenig später wird die Leiche des 39-jährigen Familienvaters in seinem Kioskladen an der Dortmunder Mallinckrodtstraße gefunden, im Kopf mehrere Kugeln, abgefeuert aus einer Pistole der Marke Ceska 83. Ein Zeuge hatte zuvor zwei Männer neben dem Kiosk herumlungern sehen, kurze dunkelblonde Haare, so beschreibt er sie, vermutlich Deutsche. Es waren wohl Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die an diesem 4. April 2006 mit ihrer Ceska-Pistole das achte Opfer ihrer Mordserie erschossen.

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NPD-Demonstration im niedersächsischen Bad Nenndorf. Die deutsche Neonanazi-Szene scheint besser vernetzt zu sein, als bisher bekannt.

(Foto: dpa)

Wie sie auf Kubasik gekommen waren, warum sie gerade in Dortmund mordeten, ob sie sich ihr Opfer selber aussuchten oder ob ihnen örtliche Gesinnungsgenossen halfen - diese Fragen sind noch nicht geklärt, in Dortmund so wenig wie in den anderen Städten, in denen die Terrorzelle aus Zwickau Migranten tötete.

Auffällig ist die Nähe des Dortmunder Tatorts zu einem Treff der örtlichen Neonazi-Szene. Im Wirtshaus "Deutscher Hof", nicht weit von Kubasiks Kiosk ebenfalls an der Mallinckrodtstraße gelegen, feierte noch 2005 der mehrfach vorbestrafte Siegfried B., genannt "SS-Siggi", mit seiner Neonazi-Truppe Borussenfront. Dortmund gilt als ein Zentrum der Rechtsextremen in Nordrhein-Westfalen.

Im Jahr 2000 erschoss der Dortmunder Neonazi Michael Berger drei Polizisten und anschließend sich selbst. An Laternenmasten klebten danach Propaganda-Sticker: "3:1 für Deutschland - Berger war ein Freund von uns". 2005 tötete ein 17-jähriger Neonazi einen Punker in der U-Bahn. Die Extremisten nahmen den Täter nach dessen Haftentlassung sofort wieder auf. Erst im November wurde er wieder verhaftet, nachdem er einen 16-Jährigen zusammengeschlagen hatte.

Kontakte zum Umfeld der Zwickauer Terrorzelle sind vorhanden. Dennis G., führender Kopf der "Autonomen Nationalisten Dortmunds", redete 2009 auf dem "Thüringentag der nationalen Jugend" in Arnstadt. Zu dessen Organisatoren gehörte der als mutmaßlicher Helfer der Zelle inhaftierte NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Die Dortmunder Hetzband Oidoxie trat im Sommer auf einem "Heimattag" auf, den der ehemalige NPD-Bundesvorstand Thorsten Heise im thüringischen Eichsfeld abhielt.

Hohe Gewaltbereitschaft

Allerdings kennt in der überschaubaren und eng vernetzten Welt der rechtsextremen Kameradschaften jeder jeden, der es in der Szene zu einiger Prominenz gebracht hat - etwa wie Wohlleben, der zwischenzeitlich zum NPD-Landesvize in Thüringen aufstieg. Solche Verbindungen belegen darum mitnichten, dass westdeutsche Neonazis von dem mörderischen Treiben der Zwickauer Terrorzelle auch nur wussten. Sicher ist nur, dass es in allen Städten, in denen die Terroristen mordeten, zur Gewalt - also womöglich auch zur Hilfe für Gewalttäter - bereite Neonazis gibt. Die Ermittler gehen jedenfalls dem Verdacht nach, dass die Zelle Helfer im Westen gehabt haben könnte.

In Nürnberg, wo die Täter drei Menschen erschossen, ging bei den örtlichen Nürnberger Nachrichten eine Selbstbezichtigungs-DVD der Zelle ein - und zwar nicht per Post. Wer hatte sie eingeworfen? Warum wurden Kopien der DVD an das Nürnberger "Rote Zentrum" oder eine Hamburger Hinterhof-Moschee geschickt, beide überörtlich völlig unbekannt? In der Region Nürnberg sind rechtsextreme Kameraden seit langem aktiv. Das "Freie Netz Süd" um den vorbestraften Neonazi Matthias F. pflegt enge Kontakte ins benachbarte Thüringen. Fränkische Extremisten wie F. oder der seit 2005 spurlos untergetauchte Gerhard Ittner traten mehrmals bei Kundgebungen der Thüringer Kameraden auf.

Die Franken sind wiederum eng mit Münchens Neonazis vernetzt. In der Landeshauptstadt fielen zwei Menschen Schüssen aus der Ceska-Pistole zum Opfer. Und es gab dort Neonazis, die sich anschickten, Terroranschläge zu begehen: 2003 wurden Mitglieder der Kameradschaft Süd um Martin Wiese festgenommen und später verurteilt. Sie hatten sich Sprengstoff und Waffen für einen Anschlag auf die Grundsteinlegung der Münchner Synagoge besorgt.

In Schleswig-Holstein und Hamburg, wo 2001 die Serienmörder von Zwickau ihren dritten Mord begingen, zerschlug die Polizei 2003 eine Neonazi-Gruppe namens "Combat 18". 18 steht für Adolf Hitler und der Gruppenname verweist auf den terroristischen Arm des internationalen, in Deutschland verbotenen Skinhead-Netzwerks "Blood & Honour". Führungsfiguren der Kameradschaften beherrschen auch Hamburgs NPD. Landeschef Torben Klebe und sein Vize Thomas Wulff gehören zu den bundesweit bekanntesten Köpfen der Neonazi-Szene.

Auch in Rostock, 2004 Tatort eines Terrormordes, sind die örtlichen Kameradschaften eng mit der NPD verflochten. Der in der Hansestadt wohnende NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit war führender Kopf der inzwischen verbotenen "Mecklenburgischen Aktionsfront". Aus der Umgebung Kassels führt gar ein direkter Link ins Jenaer Umfeld der Terrorzelle: Kevin S., verurteilter Neonazi-Schläger aus dem nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis, soll einige Monate im dem von Wohlleben eingerichteten "Braunen Haus" in Jena gewohnt haben. Im April 2006, als der Kasseler Internetcafé-Betreiber Halit Yozgut ermordet wurde, war S. allerdings erst 16 und lebte noch nicht im Raum Kassel.

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