Literatur:Der Gott aus der Maschine

Daddeln für die Wissenschaft: Mit Büchern auf der Suche nach dem kulturtheoretischen Kanon des Computerspiels.

Sebastian Handke

(SZ vom 24.6.2002) - Als im April ein 19-jähriger Schüler in Erfurt sechzehn Menschen tötete, entbrannte eine bemerkenswerte Debatte über Gewaltdarstellungen im Computerspiel, in deren Verlauf es sogar zum direkten Austausch zwischen Counter-Strike-Gamern und dem seriösen Feuilleton kam - welches sich allerdings als schlecht informiert erwies. Mit einem mal stand da eine besorgte Erwachsenenöffentlichkeit staunend vor einer Jugendkultur, die sich unbemerkt zu einem komplexen Kosmos entwickelt hatte.

Insel der Kreaturen

Als die Pixel Laufen lernten. wurde aus Spiel bald Ernst und dieser zum Spielfeld der Kulturwissenschaft. Auf der "Insel der Kreaturen" vergnügen sich die menschlichen Schöpfungen beim Ballspiel.

(Foto: Screenshot: Electronic Arts)

Nachdem die Auseinandersetzung mit Computerspielen über lange Zeit fast ausschließlich unter dem Aspekt der Gewalt geführt wurde, sind nun in letzter Zeit gleich mehrere Publikationen erschienen, die sich darum bemühen, Computerspiele als Kultur- oder gar Kunstgattung ernst zu nehmen.

Linguisten mit Joystick

In solchen Fällen bedient sich die publizistische Erschließung von Popkultur gerne der Emphase des "Ich war dabei!", da machen auch Matthias Mertens und Tobias O. Meißner mit ihrem Buch "Wir waren Space Invaders" keine Ausnahme. Es gehört zu jenem Typ von Erbauungsliteratur, die das eigene Konsumverhalten als Kulturtechnik diskursfähig zu machen versucht. Von den quälenden ersten zwanzig Seiten einmal abgesehen, erweist sich die Mischung aus Geschichtsschreibung und Selbsterfahrungsbericht dennoch als gleichermaßen unterhaltsam wie informativ. Wer dann noch Konrad Lischkas solides und umfassendes Buch über den "Spielplatz Computer" hinzu nimmt, bekommt von "Pong" bis "Resident Evil" einen guten Überblick über Geschichten und Genres des Computerspiels. Sie erweisen sich schon heute als erstaunlich kanonisiert.

Das "unterschätzte Medium" Computerspiel steht auch im Mittelpunkt der aktuellen Ausgabe der Berliner Vierteljahreszeitschrift Ästhetik und Kommunikation. Kultur- und Medienwissenschaftler begeben sich auf die zaghafte Suche nach der Poetik des Computerspiels. Bisher standen dabei die an Popularkultur schon vielfach erprobten Methoden der Literatur- und Sprachwissenschaft im Vordergrund. Auch im vorliegenden Band verwendet beispielsweise Britta Neitzel für ihre Frage nach Gott im Computerspiel die klassischen Instanzen der Erzähltheorie - sogar die "Latenz der Technik" wird im Begriff des "impliziten Schöpfers" anthropomorphisiert. Gänzlich unangebracht sind sie im Fall der Computerspiele nicht, denn tatsächlich werden hier so viele Geschichten erzählt wie in sonst keiner Form des Ludischen.

Berechnete Bildpunkte fügen sich durch die Erzählung erst zum sinnvollen Kosmos: Tennisball oder Torpedo. Spätestens seit der Ausstattung der ursprünglich rein textbasierten Adventuregames mit komplexen und dynamischen Grafikwelten müssten aber unbedingt auch die Wissenschaften vom Visuellen und Theatralen zu ihrem Recht kommen. Karin Wenz bleibt in ihrem Beitrag über "Computerspiele als Hybridkultur" leider eher vage. Andreas Lange immerhin zeigt in seinem Beitrag "Storykiller", dass Narration und Regelwerk streng unterschieden werden müssen als zwei getrennte Funktionsebenen, die den unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten der Dramaturgie und der Logik gehorchen. Hochinteressant ist da Claus Pias' Text "Welt im Raster", in dem er das "Kriegsspiel" des Baron von Reißwitz und die gruppentherapeutischen "War Games" des amerikanischen Generalstabs beschreibt als die historischen Wurzeln der heute so beliebten Strategiespiele wie "Civilisation" oder "Sim City".

Handwerk des Kriegs

Wie eng Krieg und Computerspiel zusammen hängen, erklärt Hartmut Gieselmann in seinem Buch "Der virtuelle Krieg". Hier hat sich ein Autor tatsächlich einmal gründlich mit den drei verdächtigen Genres auseinander gesetzt: Echtzeitstrategie, semirealistische First-Person-Shooter und Militärsimulation. Sie werden zunächst in drei Einzelkapiteln dargestellt und schließlich auf die je möglichen "intermondialen Transfers", die Übertragung sogenannter "Schemata" auf die Realwelt, hin befragt.

Im Falle der Militärsimulation, in der vermeintlich "echte" Kriege in realistisch nachempfunden schweren Waffensystemen durchgespielt werden, können auf der "Fakt-Ebene" Übertragungen statt finden, welche den Krieg insgesamt als sauberes und gerechtes Planspiel erscheinen lassen - damit gehen diese Spiele eine ästhetische und propagandistische Komplizenschaft ein mit den Methoden moderner Kriegsführung, die bisher vollkommen unterbelichtet blieb.

Die Verflechtungen der Spieleentwickler mit der Rüstungsindustrie sprechen für sich. Militärsimulationen, so glaubt Gieselmann, seien gefährlicher als die in der Öffentlichkeit ungleich präsenteren Ego-Shooter: "Die Frage ist nicht, ob die Medien Gewalt produzieren, sondern wie sie es schaffen, die reale Gewalt in der Wahrnehmung zum Verschwinden zu bringen."

Nicht Erfurt also, sondern das Pentagon ist das Problem. Der Leser mag ihm hier nur teilweise folgen. Gieselmann verliert die Strukturen des Mediums aus den Augen. Sie erlauben ausschließlich die Erprobung von Schemata der Kontrolle und der Effektivität, das gilt gerade und ganz besonders für die Ego-Shooter. Wenn das Spielen am Computer tatsächlich, wie Friedrich Krotz in seinem Beitrag für Ästhetik und Kommunikation behauptet, "ein Fall sozialen Handelns" darstellt, dann sollte die Gesellschaft sich sehr genau Rechenschaft darüber ablegen, was das für eine Kulturtechnik ist, die da erlernt wird. Diese neuen Publikation jedenfalls sind dafür schon mal eine gute Handreichung.

MATTHIAS MERTENS / TOBIAS O. MEISSNER: Wir waren Space Invaders. Geschichten vom Computerspielen. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002. 192 Seiten, 17,90 Euro.

KONRAD LISCHKA: Spielplatz Computer. Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels. Heise Verlag, Hannover 2002. 187 Seiten, 15 Euro.

POTSDAM KOLLEG FÜR KULTUR UND WIRTSCHAFT (Hrsg.): Ästhetik und Kommunikation. Heft 115: Computerspiele. Berlin 2001. 126 S., 11 Euro.

HARTMUT GIESELMANN: Der virtuelle Krieg. Zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel. Offizin Verlag, Hannover 2002. 175 Seiten, 14,80 Euro.

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