Opposition in Syrien:"Wenn Assad geht, kommt alles noch schlimmer"

Altgediente syrische Oppositionelle kritisieren die Brutalität des Regimes. Zugleich aber fürchten sie, dass Assads Sturz das Land zerreißen könnte.

Tomas Avenarius

Adel Naisa ist verbittert, aber nicht gebrochen. Der "Nelson Mandela Syriens" saß 25 Jahre im Gefängnis. Ohne Gerichtsurteil. 1970 hatte der Damaszener Diktator Hafis al-Assad geputscht, seinen politischen Weggefährten in den Kerker werfen lassen. So wie alle anderen, aus denen Kritiker oder Konkurrenten hätten werden können. Naisa verbrachte zwei Jahre in Einzelhaft: keine Sonne, kein Kontakt, nichts. Auch wenn sein Leben später leichter wurde, blieb er in der Zelle. Als der Baath-Politiker Mitte der neunziger Jahre frei kam, zitierte ihn der Vater des heutigen Staatschefs Baschar al-Assad zu sich: "Hafis lächelte mich an: Wo sind deine Haare? Du hast ja eine Glatze."

Supporters of Syria's President Bashar al-Assad carry his pictures and Syrian flags during a rally at al-Sabaa Bahrat square in Damascus

Assad hat noch immer Anhänger. Teile der Bevölkerung würden seinen Rücktritt nicht akzeptieren, fürchten Oppositionelle.

(Foto: REUTERS)

Es war immer gefährlich, in Syrien Oppositioneller zu sein. Heute ist es noch schlimmer. Nach zehn Monaten Rebellion zählen die UN 5000 Tote, das Regime begegnet dem Aufstand mit Armee und Milizen. Ergeben hat sich ein blutiges Patt: Die Opposition auf der Straße ist zu schwach, Assad zu stürzen. Aber das Regime in Damaskus kann die Demonstranten trotz aller Brutalität auch nicht bezwingen. Der Aufstand ist eine soziale Rebellion - getragen von Jugendlichen, Arbeitslosen und Enttäuschten in den Städten, aus vernachlässigten Provinzen. Dazu kommen die jahrzehntelang blutig unterdrückten Islamisten. Vom Regime kurzerhand als "ausländische Terroristen" gebrandmarkt, verschaffen sie dem Widerstand gegen den Staat angeblich ein gewisses religiös-ideologisches Korsett.

In der komplexen syrischen Gesellschaft mit ihren Minderheiten, Religionsgruppen und ihren säkularen Elementen lassen sich politische Gemeinsamkeiten, die über den Protest hinaus tragen, schwer organisieren. "Reformen können in Syrien nur von oben kommen", sagt Ali Haidar. Er führt die Syrische Sozialistische Nationalpartei (SSNP), die als Oppositionspartei vom Regime akzeptiert wird. "Wir nehmen nur an friedlichen Protesten teil. Vor allem aber bemühen wir uns um einen echten Dialog mit dem Regime." Haidar klingt staatstragend, so wie Adel Naisa. Beide gehören zur "Volksfront für Wandel und Freiheit", einem regimenahen Oppositionsbündnis, das sich als "Brücke zwischen Regierung und Straße" versteht.

Die Argumente unterscheiden sich kaum von denen des Regimes. Syrien sei "in einer schweren Krise. Was hier geschieht, ist aber keine Revolution." Dem Sozialisten Haidar fehlen "politische Führung durch eine Elite, klare Forderungen, ein Programm". Der Volksaufstand sei längst "von Militanten und von ausländischen Kräften gekidnappt worden: Amerikaner und Europäer mischen sich ein, die Saudis finanzieren das Ganze".

Haidars Vorwürfe an die Assad-Adresse sind bei all dem unmissverständlich: Der Präsident habe mit unnötiger Gewalt auf den Aufstand reagiert. Ihm fehle die Entschlossenheit, gegen die Korruption vorzugehen, "für die einige bestens bekannte große Familien verantwortlich sind". Der Staatschef plane seine Reformen und die neue Verfassung zudem unter Ausschluss der Öffentlichkeit: "Da gehört die gesamte Opposition mit an den Tisch."

Diffuse neue Opposition

Oppositionelle wie Naisa und Haidar mögen staatsnah sein. Aber auch sie repräsentierten einen Teil der syrischen Gesellschaft. Sie sehen das Land mit seinem nationalen Mix aus religiösen und ethnischen Minderheiten an der "Arabellion" zerbrechen. "Wir müssen den Staat erhalten, seine Institutionen schützen." Sie sagen blutige Konflikte zwischen den Volksgruppen voraus, denken an den libanesischen Bürgerkrieg. Die Oppositionellen fürchten um Syriens säkulare Tradition und um den Schutz der religiösen Minderheiten, wenn Islamisten das Sagen hätten. "Am Ende haben wir Verhältnisse wie in Irak oder in Afghanistan", sagt Haidar.

Für Politiker wie Haidar ist Präsident Assad "trotz seiner sinkenden Popularität" noch immer in der Lage, das Land zusammenzuhalten und Reformen umzusetzen. "Teile der Bevölkerung würden seinen Rücktritt gar nicht akzeptieren. Wenn er geht, unter dem Eindruck der Gewalt, kommt alles nur noch schlimmer."

Syrien hat jenseits der neuen Aufständischen auch eine alteingesessene Opposition: Namen wie Riad Seif, Haitham Maleh, Anwar al-Bunni oder Michel Kilo stehen seit Jahren in allen Menschenrechtsberichten. Diese Regimegegner wurden hart verfolgt, konnten aber dann auch immer wieder auftreten. Meist säkular ausgerichtet, kritisieren auch sie die Menschenrechtsverletzungen und die Brutalität des Regimes im Umgang mit der Rebellion.

Zum Aufstand selbst halten diese Oppositionellen aber Abstand: Die neue syrische Opposition ist ihnen zu diffus. In den umkämpften Städten spielen Islamisten unbestreitbar eine Rolle, wächst die Militanz: Eine kleine Zahl an Fahnenflüchtigen aus den Streitkräften hat sich zur "Freien Syrischen Armee" erklärt, kämpft gegen Assads Truppen. Und in Istanbul bemüht sich der Syrische Nationalrat (SNC) um internationale Anerkennung als Exilregierung. Bisher vergebens: Dem Gremium unter Vorsitz des Soziologen Burhan Ghalioun wird vorgeworfen, die syrische Gesellschaft nicht zu repräsentieren: Die ist in mehr als drei Dutzend Religionsgruppen und Ethnien zersplittert.

Vertreter aus dem Untergrund haben eine eigene Sicht. Für sie stehen die sozialen Ursachen der Revolte im Vordergrund. Da sind die hohe Geburtenzahl, die Arbeitslosenzahlen und Perspektivlosigkeit der jungen Generation, die Brutalität des Regimes im Umgang mit dem Protest. Daher würden an den Demonstrationen ebenso Angehörige der nicht-sunnitischen Minderheiten teilnehmen: Christen, Drusen, Ismailiten.

Auch Alawiten, also Angehörige der Volksgruppe der Assad-Familie, seien zu finden. Dass islamische Elemente eine Rolle spielen bei der Mobilisierung des Protests, bestreiten sie nicht: "Das ist nicht verwunderlich. Das Land hat eine islamische Kultur." Der Islam spiele aber nur seine traditionelle Rolle, keine politische. Diese Vertreter der Opposition bestreiten die Behauptung des Regimes, dass militante Islamisten aus dem Ausland den Kern des Widerstands gegen Assad bildeten: "Die Protestierenden sind Syrer."

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